Die Kieler Staatsanwaltschaft hat Anklage erhoben gegen eine Rendsburger Reederei wegen illegalen Abwrackens im indischen Alang. Das berichtete der NDR Anfang dieser Woche. Parallel werde gegen weitere Firmen ermittelt, unter anderem gegen die Reederei Peter Döhle (PD), deren Geschäftsführerin Gaby Bornheim zugleich amtierende Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder (VDR) ist.
Der Beitrag des NDR-Magazins „Panorama 3“, ausgestrahlt am vergangenen Dienstag Abend und basierend auf gemeinsamen Recherchen mit der „Süddeutschen Zeitung“, ist eine kleine Sensation: Erstmals würde, falls die Anklage vom zuständigen Gericht zugelassen und verhandelt wird, die Praxis, sich eines Schrottschiffs bequem und kostengünstig zu entledigen, die deutsche Justiz beschäftigen. Die Anklage soll sich gegen zwei Verantwortliche der namentlich nicht genannten Reederei aus Rendsburg richten; es geht um ein Schiff, das – unter detailliert beschriebenen Umständen – auf den berüchtigten Strand von Alang gefahren und dort zerlegt worden sei. Auf der Webseite der internationalen Nichtregierungsorganisation „Shipbreaking Platform“, die seit langem die menschenunwürdigen und ökologisch verheerenden Praktiken des Abwrackens ausgedienter Handelsschiffe an den Stränden (vor allem) von Pakistan, Indien und Bangladesh bekämpft, liest man Erschreckendes: Seit 2009 seien dort 7073 Schiffe zerlegt worden, 430 Arbeiterinnen und Arbeiter hätten dabei ihr Leben verloren.
Darüber hinaus berichtet der NDR-Beitrag von weiteren Ermittlungen anderer Staatsanwaltschaften, unter anderem eben gegen die Hamburger PD; sie soll den Rendsburgern bei ihrem Coup geholfen haben. Natürlich ist es pikant, dass PD-Chefin Bornheim seit seit Dezember vergangenen Jahres zugleich VDR-Präsidentin ist: Kurz nach ihrem Amtsantritt hatte Bornheim sich in ihrer neuen Rolle als Vorreiterin für Umwelt- und Klimathemen zu positionieren versucht: „Jetzt ist Klimaschutz Trumpf.“ – Vielleicht wäre dem nun ein „außer an den Abwrackstränden“ hinzuzufügen? Ironie beiseite: Nicht nur in Hamburg, auch in Mecklenburg-Vorpommern soll es dem NDR-Bericht zufolge weitere Ermittlungen geben, „gegen eine zweistellige Zahl von Beschuldigten“.
Eigentlich ist die Sache einfach: Handelsschiffe, die außer Dienst gestellt werden, gelten wegen ihrer komplexen Zusammensetzung nach europäischem Recht als gefährlicher Abfall, müssen sorgfältig zerlegt, gereinigt und – soweit möglich – recycelt werden. Das erfordert besondere Kenntnisse und Anlagen auf spezialisierten Abwrackwerften und ist entsprechend teuer. Weitaus billiger ist da die „asiatische Variante“, wo die Schiffe einfach auf den Strand gefahren und dann von oft ungeschulten Kräften – auch Kindern – unter nach hiesigen Normen katastrophalen Arbeitsbedingungen und ohne Rücksicht auf Umwelt- oder Gesundheitsfolgen von Hand zerlegt werden.
Seitens der International Maritime Organization (IMO) der Vereinten Nationen gibt es dagegen zwar die „Hongkong Convention“, aber die ist bislang erst von 17 Vertragsstaaten mit knapp 30 Prozent der Welthandelstonnage ratifiziert worden und daher noch nicht in Kraft getreten. Weil der EU das zu lange dauerte, hat Brüssel 2013 eine Schiffsrecyclingverordnung verabschiedet, die schon Anfang 2019 in Kraft getreten ist – und deutlich schärfere Kriterien festlegt als die Hongkong Convention.
Allerdings ist der Geltungsbereich der europäischen Verordnung auf Schiffe unter EU-Flagge beschränkt. Da aber die EU bislang über keine eigene, einheitliche Flagge für ihre Handelsschifffahrt verfügt, meint dieser Begriff eine Flagge eines der EU-Mitgliedsstaaten – und da finden sich laut Internationaler Transportarbeiter-Föderation (ITF) auch etliche Billigflaggen. Und eben das zeigt die Dimension des Problems: Reedereien sind bekanntlich erfahren im Um- und Ausflaggen ihrer Schiffe, um ihre Kosten zu senken. Also werden auch ausgediente Einheiten gerne mal verkauft und umgeflaggt, um ein billiges Abwracken zu „legalisieren“. Im vorliegenden Fall indes scheinen die Beteiligten wohl laut NDR auf eben diesen Umweg verzichtet zu haben.
Eine ähnliche Version dieses Textes erschien
heute in der Tageszeitung „junge Welt“.