Heute endet in Lissabon die zweite United Nations Ocean Conference (UNOC), auf der – wieder einmal – über den Schutz der Meere geredet worden ist. Im Kongressaufruf heißt es unter anderem, die Meere seien „durch menschliche Aktivitäten in nie dagewesenem Maße bedroht“. Das ist unbedingt richtig. Aber das ist leider auch nicht neu und bleibt dennoch vorerst wieder folgenlos.
„Wieder einmal“ – diese UNOC ist nicht das zweite, sondern nur das aktuellste einer langen Reihe internationaler Treffen, auf denen über Meeresschutz verhandelt worden ist. Das erste Treffen unter diesem Namen hatte 2017 in New York stattgefunden, die Fortsetzung musste pandemiebedingt von 2020 auf diese Woche vertagt werden. Abgesehen von etlichen regionalen Meeresschutzkongressen hat es darüber hinaus auch auf Ebene der UNO schon diverse Versuche gegeben, den Ozeanen mehr oder weniger wirksam zu helfen. Erinnert sei hier nur an die Beschlussfassung über die 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung einschließlich ihrer 17 „Sustainable Development Goals“ (SDG) im vorigen Jahrzehnt, die jetzt auch in Lissabon wieder thematisiert worden ist.
Mehrere tausend Menschen aus Politik, Wissenschaft, Industrie und Zivilgesellschaft haben sich im Altice Arena Convention Center der portugiesischen Hauptstadt versammelt, von rund 150 teilnehmenden Staaten ist bei Nachrichtenagenturen die Rede – aber, so traurig es klingt, lediglich rund 30 Staats- und Regierungschefs wurden erwartet. Dazu passt, dass auch diese UNOC wieder einmal nur Appell-Charakter hat, es wird keine völkerrechtlich verbindlichen Beschlüsse geben. Nicht zu vergessen: Keines der Themen ist wirklich neu, kaum eine in Lissabon diskutierte Bedrohung der Meere durch anthropogenes Tun (oder Unterlassen) wurde nicht schon mal erörtert.
In Deutschland hatte im Frühjahr 2020 ein Bündnis von rund anderthalb Dutzend Organisationen anlässlich der geplanten und dann pandemisch vertagten zweiten UNOC einen Aufruf „Meeresoffensive 2020“ veröffentlicht: Die damalige Auflistung, was dringend zu tun oder zu unterlassen ist, um die Meere wirksam zu schützen, ist überwiegend aktuell – teilweise aber auch überholt, weil seinerzeit Gesagtes längst nicht mehr ausreicht.
Von rasant zunehmender Plastikvermüllung ist jetzt in Lissabon erneut die Rede, von etlichen dadurch gefährdeten Arten. Auch über den Klimawandel wird gesprochen, über die folgenschwere Erwärmung und Versauerung der Ozeane sowie den Anstieg des Meeresspiegels. Über Ernährungssicherheit und insbesondere über Fischerei – im Konflikt zwischen industrieller Ausbeutung und existenziell bedeutender Kleinfischerei vor allem im Globalen Süden – wird debattiert, über Biodiversität und Energieressourcen, über Tiefseebergbau und Meeresgovernance. Hunderte Menschen aus den beteiligten zivilgesellschaftlichen Gruppierungen haben am Rande der UNOC für besseren Schutz der Weltmeere demonstriert. Sie riefen Parolen wie „Die Politiker reden, die Ozeane sterben!“ oder „Hört auf die Wissenschaft, Klimarevolution sofort!“
Wachstum, Wachstum über alles… ?
UN-Generalsekretär António Guterres hat am Montag zur UNOC-Eröffnung vom „Notstand der Ozeane“ gesprochen und von der Notwendigkeit, mittels Meeresschutzpolitik „katastrophale Folgen für Umwelt und Menschheit abzuwenden“. Was das aus Sicht der UNO bedeutet, signalisiert das in Lissabon vorgestellte „Ozean Versprechen“ des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP): Demnach sollen rund einhundert Küstenstaaten, „darunter alle kleinen Inselentwicklungsstaaten“, Hilfen in Höhe von mindestens einer Milliarde US-Dollar (rund 950 Millionen Euro) erhalten, um deren „sozioökonomische Verluste“ durch Missmanagement der Ozeane auszugleichen. Das klingt nur auf den ersten Blick toll – beim zweiten wird schnell klar, dass UNDP selbst die Höhe der beschriebenen Verluste auf jährlich rund eine Billion US-Dollar schätzt und dass die Gelder aus dem „Ozean Versprechen“ vor allem gedacht sind für „Schlüsselsektoren, um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen“. Genauer: „Das Ozeanversprechen ist unsere Vision der blauen Wirtschaft … (und) … zielt auch darauf ab, Ländern dabei zu helfen, neue und aufstrebende Meeressektoren für mehr meeresbezogene sozioökonomische Möglichkeiten zu erschließen“.
Kai Kaschinski vom Projekt Fair Oceans des bremischen Vereins für Internationalismus und Kommunikation (IntKom), der in Lissabon selbst so genannte Side Events über Probleme des Globalen Südens organisiert, kritisiert derartige Missverhältnisse: „Das Überleben dieser Küstengemeinschaften ist davon abhängig, dass ihre Meeresökosysteme, der Küstenschutz und die Fischbestände intakt sind.“ Sie seien zwar auf der UNOC stark vertreten, aber sie kämpften sowohl gegen die Zeit als auch den Mainstream: „Der Ozean wird ihnen mehr und mehr genommen.“
Apropos Mainstream: „Um die offensichtlichen Schwächen im Meeresschutz zu überwinden“, unterstreicht Kaschinski die Kritik am beschriebenen UNDP-Ansatz, „wird auf der UNOC vermehrt für Privatinitiativen und Mittel vom internationalen Finanzmarkt geworben. Dem liegt die abstruse Idee einer Blue Economy zugrunde, die vorgibt, die dramatisch wachsende Ausbeutung der Meeresressourcen mit Meeresschutz vereinbaren zu können – die aber scheitern wird.“ Die auf der Konferenz überwiegende wirtschaftliche Sichtweise auf die Ozeane könne die Probleme nicht lösen, weil sie nach wie vor auf einer Ideologie ungebremsten Wachtums basiere. „Letztlich benötigen wir einen nachhaltigen Schutz und eine nachhaltige Nutzung der Meere auf 100 Prozent ihrer Fläche.“
Details zum ocean promise des UNDP sind hier nachzulesen;
zum Auftritt von Fair Oceans bei der Lissaboner UNOC gibt’s hier weitergehende Informationen.