Am späten Nachmittag des vergangenen Dienstag hat die Fachgruppe Maritime Wirtschaft der Gewerkschaft ver.di eine Tarifeinigung mit dem Zentralverband deutscher Seehafenbetriebe (ZDS) bekannt gegeben. Nach harten Auseinandersetzungen ist ein Abschluss zustande gekommen, der unter den rund 12.000 Beschäftigten in den Seehäfen von Emden, Wilhelmshaven, Bremerhaven, Brake, Bremen und Hamburg nicht nur auf Zustimmung stoßen dürfte.
Zwar nannte ver.di-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth die Entscheidung der Bundestarifkommission (BTK) anschließend „relativ eindeutig“ und sprach von einem „sehr guten Ergebnis“. So ganz sicher war man sich aber anscheinend nicht – einerseits wurde der hier und da laut gewordene Ruf nach einer regulären Mitgliederbefragung verworfen, andererseits sollen aber „angesichts des besonderen Charakters dieser Tarifrunde“ noch die Mitglieder in den betroffenen Betrieben unterrichtet und befragt werden. Erst anschließend soll die BTK dann am 5. September über Annahme – oder Ablehnung? – des Tarifkompromisses beschließen.
Eine detaillierte Bewertung des erzielten Kompromisses würde einen Vergleich der Ausgangs-Forderungen der Gewerkschaft mit den wechselnden Angeboten des ZDS erfordern – das aber ist mangels Bekanntgabe von Details zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Es bleibt also vorerst unklar, ob der erzielte Abschluss nun eigentlich als durchschlagender Erfolg, hinnehmbarer Kompromiss – oder als ungenügend anzusehen ist. Tatsächlich werden die erzielten Vereinbarungen nur „häppchenweise“ bekannt gegeben – warum auch immer. Dabei ergibt sich folgender – grober – Überblick:
Vorgesehen ist laut ver.di-Mitteilung, dass die Entgelte in Vollcontainerbetrieben rückwirkend ab 1. Juli um 9,4 Prozent angehoben werden. Das sind nach interner Klassifizierung die so genannten Kategorie-A-Unternehmen. Etwas weniger gibt es für die Beschäftigten in den „B-Betrieben“, in denen alles umgeschlagen wird, was nicht containerisiert ist – Stückgut, Projektladung, Massengut und ähnliches. Hier steigen die Entgelte, ebenfalls rückwirkend, um 7,9 Prozent. Ab 1. Juni 2023 gibt es dann für beide Bereiche eine weitere Erhöhung um je 4,4 Prozent.
Frust statt Solidarität?
Aber es gibt noch eine dritte Kategorie, das sind die so genannten „C-Betriebe“ – Unternehmen, die wegen aktueller wirtschaftlicher Probleme vorübergehend unter einem gesonderten Beschäftigungssicherungs-Tarifvertrag arbeiten. Der verlangt zwar den Betroffenen einiges ab, etwa Mehrarbeit oder Zulagenkürzungen – trotzdem sind für diese ohnehin Benachteiligten gerade mal 3,5 Prozent Erhöhung im ersten und 2,5 Prozent im zweiten Laufzeitjahr vorgesehen: Dabei hatte die diesjährige Tarifrunde hatte begonnen mit dem erklärten solidarischen Ziel – gerade auch getragen von A- und B-Beschäftigten –, vor allem die C-Betriebe überproportional anzuheben. Insbesondere bei deren Beschäftigten sei jetzt „der Frust am größten“, formulierte es Jana Kamischke, Vertrauensleutesprecherin bei der HHLA und Mitglied der BTK, kürzlich in einem Interview des Hallenser Senders Corax.
Für den Fall, dass die Inflation auch im nächsten Jahr noch so hoch ist, wurde ein Sonderkündigungsrecht vereinbart, das von ver.di zwar als der angestrebte „Inflationsausgleich“ gefeiert wird – ob dieser hehre Anspruch aber realistisch ist, bleibt angesichts tatsächlicher Inflationsraten von knapp unter zehn Prozent erst einmal abzuwarten. Während der ZDS sich bislang einer inhaltlichen Wertung enthält und die „weitere Entscheidungsfindung“ bei ver.di abwarten will, zeigen sich die Hafenlogistikwirtschaft und branchenspezifische Medien wie Hansa oder die DVZ erleichtert über die Einigung: Weitere Arbeitskämpfe in den Häfen seien „mit großer Wahrscheinlichkeit vom Tisch“. Allerdings meldet der ebenfalls eher wirtschaftsfreundliche THB Vorbehalte an und sieht die vorliegende Tarifvereinbarung „in Teilen des Arbeitnehmerlagers offenkundig unter einem wachsenden Druck“.
Wie das ausgeht, muss sich erst noch zeigen – bei den Kundgebungen der Hafenbeschäftigten sowohl beim jüngsten Warnstreik Ende Juli als auch Anfang dieser Woche in Bremen gab es relativ starke Signale hoher Unzufriedenheit. Und kurz nach Bekanntgabe des Abschlusses textete ein sichtbar Unzufriedener im Facebook-Profil der Verdi-Fachgruppe Maritime Wirtschaft die harschen Worte: „Das Ergebnis ist lächerlich!“. Zwar sind – derzeit – im Web und etlichen Netzwerken mehr positive als ablehnende Kommentare zum erzielten Tarifabschluss zu finden. Aber das ist bekanntlich nicht unbedingt repräsentativ. Auffällig ist vielmehr, dass die Phalanx der Neinsager und Zweifler deutlich höher ausfällt als bei früheren oder vergleichbaren Tarifabschlüssen. Und immer wieder wird auch der Ruf nach einer Urabstimmung laut.
Laufzeit-Wirrwarr
Klar: Nach anfänglichen Informations-Lücken werden Tag für Tag immer mehr Details des Abschlusses bekannt (siehe oben) – und enthüllen klare Schwächen der Vereinbarung zwischen ver.di und dem ZDS. Dazu zählt neben der beschriebenen Staffelung der Lohnerhöhungen vor allem die vereinbarte Laufzeit von zwei Jahren rückwirkend ab 1. Juli: Es scheint offensichtlich, dass sich also der ZDS mit seiner Laufzeit-Forderung durchgesetzt hat, es ist allerdings nicht bekannt, ob die von Arbeitgeberseite geforderte Kopplung an die Umschlagsentwicklung ebenfalls vereinbart worden ist. Problematisch dabei scheint das verwirrende Hin und Her: Zum einen war ver.di von Anfang an und auf Druck aus den Betrieben mit der Forderung „12 Monate“ in die Verhandlungen gestartet und hatte dies auch bis kurz vor dem Abschluss immer wieder angemahnt. Zum anderen hatte der ZDS selbst anfangs eine 24-Monate-Laufzeit verlangt, dies aber Ende Juni unter dem Eindruck der ersten Warnstreiks auf 18 Monate reduziert. Eine Erklärung von ver.di, warum unter solchen Gegebenheiten nun doch zwei Jahre vereinbart wurden, ist in den bisherigen Stellungnahmen nicht zu finden.
Jana Kamischke und ihr Kollege Deniz Askar Dreyer vom Eurogate-Konzern (beide hatten den Aufruf gegen die „Einschränkung des Streikrechts“ gestartet) sehen das Ergebnis des Tarifstreits jedenfalls mit großer Skepsis. Und sie bedauern mit Nachdruck, dass nur die beschriebene Rückkopplungsphase – ohne Verbindlichkeit für die BTK-Beschlussfassung – beschlossen worden sei und eben nicht die verbindliche Mitgliederbefragung. Die Bewertung „Wir können stolz sein“ im BTK-Tarifinfo teilen die beiden jedenfalls nicht.
Nachtrag 5. September: Laut ver.di-Pressemitteilung von heute hat die BTK dem Tarifabschluss zugestimmt – ein detailliertes Abstimmungsergebnis wurde nicht bekannt gegeben.
Hinweis: Obwohl dieser Text auf den 25. August datiert ist, sind einzelne Inhalte an nachfolgenden Tagen ergänzt worden – je nach Bekanntwerden weiterer Details.