Fehmarnbelt: Natur wird „platt“ gemacht

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) in Leip­zig hat am gest­ri­gen Mitt­woch zwei erneu­te Kla­gen von Umwelt­ver­bän­den gegen den Bau der seit Jahr­zehn­ten umstrit­te­nen Fehmarnbelt-Untertunnelung abge­wie­sen und damit die Zer­stö­rung und Beein­träch­ti­gung natür­li­cher Rif­fe in der Ost­see höchst­rich­ter­lich als zuläs­sig abgesegnet. 

Es wirkt irgend­wie pein­lich: Laut Pres­se­mit­tei­lung ihres Hau­ses von heu­te Mit­tag hat Bun­des­um­welt­mi­nis­te­rin Stef­fi Lem­ke (Grü­ne) heu­te vor der gegen­wär­tig im kana­di­schen Mont­re­al tagen­den 15. UN-Weltnaturschutzkonferenz mit Nach­druck fol­gen­den Vor­satz bekräf­tigt: „Wir müs­sen alle wich­ti­gen Ursa­chen der Zer­stö­rung von bio­lo­gi­scher Viel­falt ange­hen.“ Und sie hat betont, dabei sei es auch „wich­tig, die Rech­te (unter ande­rem) von … loka­len Gemein­schaf­ten zu respektieren“.

Bio­di­ver­si­tät schüt­zen? Deutsch­lands poli­ti­sche Pra­xis in die­ser Fra­ge sieht anders aus, wie das aktu­el­le Urteil aus Leip­zig zeigt. Rif­fe sind bekannt­lich wert­vol­le Lebens­räu­me vie­ler Arten – zum Bei­spiel von Muscheln, Schwäm­men, See­nel­ken oder so genann­ten Moos­tier­chen –, sind Rück­zugs­raum und Kin­der­stu­be für Kreb­se und Fische sowie wegen die­ser (Nahrungs-)Vielfalt äußerst attrak­tiv für See­vo­gel­ar­ten oder Schweins­wa­le. Die Rif­fe der Ost­see sind als natür­li­cher Lebens­raum geschützt nach der euro­pa­recht­li­chen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH), aller­dings läuft in Brüs­sel ein Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren gegen Deutsch­land wegen unzu­rei­chen­der Mel­dung von FFH-Gebieten.

Mög­li­cher­wei­se ist die­ser Man­gel eine Ursa­che dafür, dass das BVerwG in sei­nem Urteil nun der Ver­kehrs­pla­nungs­be­hör­de des Bun­des­lan­des Schleswig-Holstein Recht geben konn­te – oder muss­te. Man erin­ne­re sich: Gegen den Bau des Tun­nels hat­ten mehr als 100.000 Men­schen über­wie­gend von der Insel Feh­marn und aus der angren­zen­den Regi­on Ost­hol­stein per Unter­schrift pro­tes­tiert – sozu­sa­gen eine beträcht­li­che „loka­le Gemein­schaft“ – und waren den­noch vor zwei Jah­ren vor dem BVerwG geschei­tert. Das Gericht hat­te damals bereits das Bau­vor­ha­ben grund­sätz­lich geneh­migt, aber Aus­gleichs­maß­nah­men für bekannt gewor­de­ne Rif­fe angeordnet.

Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fung? – Verzichtbar…

Als nach­träg­lich wei­te­re Rif­fe ent­deckt wur­den, erteil­te die Behör­de eine so genann­te Befrei­ung vom Beeinträchtigungs- und Zer­stö­rungs­ver­bot und ord­ne­te zugleich qua­si eigen­mäch­tig zusätz­li­che Aus­gleichs­maß­nah­men an. Natur­schüt­zer hiel­ten das für unzu­rei­chend, klag­ten – und unter­la­gen nun: Die Pla­ner hät­ten dies­be­züg­lich zu Recht von der Durch­füh­rung einer erneu­ten Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fung abge­se­hen, urteil­te das Leip­zi­ger Gericht.

Wäh­rend die Tun­nel­bau­ge­sell­schaft Femern A/S eben­so wie die Landes-CDU sich zufrie­den zeig­ten mit dem BVerwG-Urteil, sind nicht nur die Klä­ger vom Natur­schutz­bund Deutsch­land (NABU) oder das hei­mi­sche „Akti­ons­bünd­nis gegen eine Fes­te Feh­marn­belt­que­rung“ empört über die höchst­rich­ter­li­che Frei­ga­be der bereits lau­fen­den Tun­nel­bau­ar­bei­ten. Auch Feh­marns Bür­ger­meis­ter Jörg Weber kri­ti­sier­te laut Syker Kreis­zei­tung das Urteil, die ost­hol­stei­ni­sche SPD-Bundestagsabgeordnete Bet­ti­na Hage­dorn zeig­te sich „erschüt­tert“. Und selbst die sel­ten fort­schritt­li­che Fun­ke Medi­en­grup­pe pos­te­te auf ihrem digi­ta­len „Moin“-Por­tal die mar­kan­te Schlag­zei­le „Ost­see: Men­schen machen Natur an der Küs­te platt – ohne Kon­se­quen­zen!“; das könn­te fast als Mah­nung an die Adres­se Lem­kes und ande­rer ver­stan­den werden.

Ob der NABU wei­te­re Schrit­te unter­nimmt, wird erst nach Ver­öf­fent­li­chung der Urteils­be­grün­dung ent­schie­den. Einst­wei­len dür­fen die Bau­ar­bei­ten am Feh­marn­belt­tun­nel, uralter Traum deut­scher Faschis­ten und euro­päi­scher Indus­trie­bos­se, fort­ge­setzt werden.

Eine ähn­li­che Ver­si­on die­ses Bei­trags erscheint am
17. Dezem­ber 2022 auch in der Tages­zei­tung „jun­ge Welt“.

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WATERKANT-Redaktion