Es wird eng – nicht nur – auf der Nordsee

Auf den Mee­ren wird’s eng – zumin­dest auf eini­gen Mee­ren wie etwa der Nord­see: Das ist, grob zusam­men­ge­fasst, der Tenor einer aktu­el­len Stu­die der nor­we­gi­schen Klas­si­fi­ka­ti­ons­ge­sell­schaft „Det Nor­ske Veri­tas“ (DNV), die sich mit Ver­lauf und Aus­sich­ten der fort­schrei­ten­den Indus­tria­li­sie­rung auf See aus­ein­an­der setzt. 

Der grund­le­gen­de Kon­flikt zwi­schen Mee­res­schutz und „blau­er Öko­no­mie“, so hat­te Ende 2022 Chris­toph Spehr vom meeres- und ent­wick­lungs­po­li­ti­schen Pro­jekt „Fair Oce­ans“ in Bre­men gewarnt, spit­ze sich dras­tisch zu. Jetzt bekommt die­se War­nung mit der DNV-Studie Unter­stüt­zung von uner­war­te­ter Sei­te: Die Nach­fra­ge nach Mee­res­raum – kon­kret: die von Anla­gen beleg­te Mee­res­flä­che – wer­de bis 2050 um das Fünf­fa­che stei­gen, haben die For­schen­den der DNV ermit­telt; von wegen „end­lo­se Wei­te“ auf dem Meer…

Erst kürz­lich hat­ten sich die UN-Mitgliedsstaaten in New York auf Aus­wei­sung grö­ße­rer Mee­res­schutz­ge­bie­te geei­nigt, aber das betrifft, so es denn umge­setzt wird, die bio­lo­gi­sche Viel­falt auf Hoher See: Die so genann­te blue eco­no­my, die wirt­schaft­li­che Nut­zung und Aus­beu­tung von Mee­res­res­sour­cen und -regio­nen, kon­zen­triert sich aber vor­wie­gend auf küs­ten­na­he Gewäs­ser – vor allem die natio­na­len Hoheits­ge­bie­te (12 See­mei­len) der Küs­ten­staa­ten sowie ihre in der See­rechts­kon­ven­ti­on defi­nier­ten Aus­schließ­li­chen Wirt­schafts­zo­nen (AWZ – 200 See­mei­len). „Obwohl es reich­lich Platz auf dem Meer gibt, wird die Indus­trie haupt­säch­lich in Küs­ten­nä­he ange­sie­delt sein“, spitzt die DNV-Studie aus­drück­lich zu.

Eine mari­ti­me Klas­si­fi­ka­ti­ons­ge­sell­schaft ist, das sei betont, kei­ne Meeresumweltschutz-Institution. Ursprüng­lich hat­ten Fir­men wie DNV die Auf­ga­be, vor allem im Han­dels­schiff­bau Konstruktions- und Bau­vor­schrif­ten zu ent­wer­fen und ihre Ein­hal­tung zu über­wa­chen – sie sind, salopp for­mu­liert, eine Art Schiffs-TÜV. Mitt­ler­wei­le sind sol­che Kon­zer­ne auch Zer­ti­fi­zie­rer in nahe­zu allen mari­ti­men Wirt­schafts­be­rei­chen, Bera­ter bei Ratio­na­li­sie­rung oder Digi­ta­li­sie­rung und Gut­ach­ter in Sicher­heits­fra­gen. DNV ist in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren stark gewach­sen vor allem durch Fusi­on mit dem eins­ti­gen deut­schen Kon­kur­ren­ten Ger­ma­ni­scher Lloyd (GL).

Offshore-Anlagen auf See neh­men dras­tisch zu

Die DNV-Studie mit dem Titel „Spa­ti­al Com­pe­ti­ti­on Fore­cast“ – deutsch etwa „Raumplanungs-Vorhersage“ – beinhal­tet folg­lich kei­ne War­nung vor zu viel Mee­res­nut­zung, son­dern will kon­kur­rie­ren­de Nut­zun­gen – natür­lich unter dem Anspruch so genann­ter „Nach­hal­tig­keit“ – opti­mie­ren. Bis 2050, so die Kern­aus­sa­ge, wür­den Offshore-Anlagen ins­be­son­de­re durch Aus­bau des Ener­gie­sek­tors bis zu 80 Pro­zent der sta­tio­nä­ren Infra­struk­tur auf See aus­ma­chen, heu­te sei­en es 15 Pro­zent. Bis zur Mit­te des Jahr­hun­derts könn­ten welt­weit bis zu 335.000 Qua­drat­ki­lo­me­ter von Mee­res­in­stal­la­tio­nen bean­sprucht wer­den. Der Flä­chen­ver­brauch vor allem für Wind­kraft­an­la­gen und Aqua­kul­tur wer­de erheb­lich stär­ker zuneh­men als Flä­chen durch Rück­gang von Öl- und Gas­an­la­gen frei wür­den; hin­zu kämen Nut­zun­gen wie Schiff­fahrt oder Fischerei.

Zwar beschreibt DNV die Stu­die als „ers­ten Ver­such“, auch die sozia­len, öko­lo­gi­schen und wirt­schaft­li­chen Aus­wir­kun­gen des räum­li­chen Wett­be­werbs ver­schie­de­ner Mee­res­in­dus­trien zu unter­su­chen. Tat­säch­lich aber gip­felt der Bericht vor allem in der ein­dring­li­chen For­de­rung, die Zusam­men­ar­beit zwi­schen den ver­schie­de­nen Mee­res­in­dus­trien zu inten­si­vie­ren, „damit der schnel­le Aus­bau der Offshore-Windkraft und der Aqua­kul­tur nach­hal­tig mit ande­ren Indus­trien und dem Öko­sys­tem koexis­tie­ren kann“. Das gel­te vor allem für Euro­pa, denn hier sei der Druck auf den Mee­res­raum vor allem „in der Nord­see, in der Kel­ti­schen See bis hin­un­ter zur Bis­ka­ya und in der Ost­see beson­ders stark“.

Auch wenn die Stu­die ein­räumt, dass „vie­le Mee­res­öko­sys­te­me bereits unter gro­ßem Druck ste­hen“, geht es vor­ran­gig doch um inten­si­ve­re Zusam­men­ar­beit für beschleu­nig­tes Wachs­tum. Kli­ma­wan­del ist kein Argu­ment für weni­ger Nut­zung, dem DNV genügt eine Anpas­sung mari­ti­mer Raum­pla­nung an sich ver­än­dern­de Mee­res­be­din­gun­gen, das hel­fe, die Kli­ma­an­fäl­lig­keit mari­ner Öko­sys­te­me und der blue eco­no­my zu ver­rin­gern. Wie for­mu­lier­te es doch Spehr sei­ner­zeit? Wäh­rend durch „nach­hal­ti­ge“ Inbe­sitz­nah­me der Ozea­ne enor­me Gewin­ne wink­ten, las­se der anthro­po­ge­ne Kli­ma­wan­del Inseln ver­sin­ken, Küs­ten ero­die­ren, stö­re oder zer­stö­re Fau­na und Flora.

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WATERKANT-Redaktion