Besorgnis über Offshore-Ausbau

Eigent­lich gebie­te das so genann­te Vor­sor­ge­prin­zip, seit mehr als 30 Jah­ren Bestand­teil des EU-Rechts, ein Mora­to­ri­um beim Aus­bau der Offshore-Windkraft auf Nord- und Ost­see: So oder so ähn­lich äußer­ten sich etli­che Teil­neh­men­de des 32. Meeresumwelt-Symposiums (MUS) Anfang die­ser Woche in Ham­burg. Auch sonst war­te­te der tra­di­ti­ons­rei­che Kon­gress mit eini­gen Über­ra­schun­gen auf. 

Seit Jahr­zehn­ten ver­an­stal­tet das in Ham­burg ansäs­si­ge Bun­des­amt für See­schiff­fahrt und Hydro­gra­phie (BSH) gemein­sam mit Bun­des­um­welt­mi­nis­te­ri­um (BMUV), Umwelt­bun­des­amt (UBA) und Bun­des­amt für Natur­schutz (BfN) die­se Meeresumwelt-Symposien. Ein­mal jähr­lich (unter­bro­chen nur durch die Pan­de­mie) tref­fen sich meh­re­re hun­dert Mee­res­exper­ten aus Wis­sen­schaft, Wirt­schaft und Zivil­ge­sell­schaft. Gera­de die „Corona-Jahre“ haben übri­gens für eine von meh­re­ren Neue­run­gen gesorgt: Bis 2019 waren es immer aus­schließ­lich „phy­si­sche Ver­an­stal­tun­gen“, 2020 muss­te das geplan­te MUS dann aus­fal­len, 2021 fand es erst­mals und eben­so aus­schließ­lich in „digi­ta­ler“ Form statt. 2022 gab es dann ers­te Ansät­ze zu einer „hybri­den“ Ver­an­stal­tungs­or­ga­ni­sa­ti­on – aber erst in die­sem Jahr gelang es, dies so aus­zu­bau­en, dass wirk­lich von einer par­al­le­len Teil­nah­me sowohl der Vor­tra­gen­den als auch des Publi­kums in Ham­burg und anders­wo gespro­chen wer­den kann. Chapeau!

Geblie­ben ist in all den Jah­ren eines: Irgend­wie haben die Sym­po­si­en immer ein biss­chen den Cha­rak­ter eines „Eier­tan­zes“. Einer­seits ist das ver­an­stal­ten­de BSH Genehmigungs- und Auf­sichts­be­hör­de nicht nur für Schiff­fahrt, son­dern zuneh­mend auch für ande­re Mee­res­nut­zun­gen wie ins­be­son­de­re die Instal­la­ti­on von immer mehr Offshore-Windparks. Ande­rer­seits doku­men­tie­ren vie­le der Vor­trä­ge nicht nur die Besorg­nis vie­ler For­schen­der über zuneh­mend mul­ti­ple Gefah­ren für Fau­na und Flo­ra der Mee­re – son­dern zugleich auch ihre Hilf­lo­sig­keit ange­sichts jedes Mal auch vor­ge­tra­ge­ner Ansprü­che wei­te­rer Nut­zung und Ausbeutung.

Anlass der ein­gangs erwähn­ten indi­vi­du­el­len Plä­doy­ers für besag­tes Mora­to­ri­um waren meh­re­re wis­sen­schaft­lich fun­dier­te Hin­wei­se auf Gefah­ren etwa für Schweins­wa­le, Vögel oder Fle­der­mäu­se durch Bau und Betrieb der immer grö­ßer wer­den­den Windkraft-Rotoren auf See. Es ist zwar nicht damit zu rech­nen, dass jene Regie­run­gen, die gera­de das Meer zum „grü­nen Kraft­werk“ erklärt haben, einen der­ar­ti­gen Aus­bau­stopp ernst­haft in Erwä­gung zie­hen – aber viel­leicht hel­fen ja die jetzt in Ham­burg vor­ge­stell­ten War­nun­gen wenigs­tens, die Aus­wir­kun­gen auf die Mee­res­um­welt zu mindern.

Vie­le Warnungen

Es war nicht erstaun­lich, dass nach den jüngs­ten Beschlüs­sen über die Auf­rüs­tung der Offshore-Windkraft ein Vor­trags­block zu die­sem The­ma beim aktu­el­len MUS für Auf­merk­sam­keit sor­gen wür­de. Ein­drucks­voll stell­te etwa Ommo Hüpp­op vom Insti­tut für Vogel­schutz in Wil­helms­ha­ven vor, wie mit­tels Wet­ter­ra­dars der Zug klei­ne­rer Vögel – „Amsel, Dros­sel, Fink und Star“ – übers Meer doku­men­tiert wird. Weil dies über­wie­gend nachts statt­fin­det, ist die Gefähr­dung durch Rie­sen­ro­to­ren beträcht­lich. Nicht min­der auf­schluss­reich waren Unter­su­chun­gen, wie mit Hil­fe klei­ner GPS-Tracker der Zug – hier aller­dings grö­ße­rer – Vögel übers Meer iden­ti­fi­ziert und ihre Reak­tio­nen beim Anflie­gen der Tur­bi­nen erfasst wer­den kön­nen. Phil­ipp Schwem­mer vom Forschungs- und Tech­no­lo­gie­zen­trum Büsum appel­lier­te bilan­zie­rend, sol­che Zug­kor­ri­do­re nicht zu bebau­en und tem­po­rä­re Abschal­tung der Roto­ren zu erwä­gen. Was übri­gens Rein­hold Hill vom NABU unter­stütz­te, als er, sei­ne Kol­le­gin Ant­je Seebens-Hoyer ver­tre­tend, deren For­schun­gen zur Fle­der­maus­mi­gra­ti­on über See vorstellte.

Der Ros­to­cker Bio­lo­ge Hen­ning von Nord­heim, lang­jäh­ri­ger Lei­ter der BfN-Meeresschutzabteilung auf der Insel Vilm, ergänz­te in der Debat­te, im Umfeld von Wind­parks sei­en dras­ti­sche Redu­zie­run­gen von Schweins­wal­be­stän­den regis­triert wor­den: Sum­miert man das, darf man sich über Rufe nach Mora­to­ri­en eben­so wenig wun­dern wie über – zu Kon­gress­be­ginn – fest­ge­stell­te Pro­ble­me mit der Umset­zung der seit 15 Jah­ren gel­ten­den EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL): BfN-Experte Jochen Krau­se bei­spiels­wei­se merk­te sar­kas­tisch an, die Kli­ma­kri­se habe es eigent­lich gut – sie ver­lie­fe im Unter­schied zur Kri­se der mari­nen Bio­di­ver­si­tät line­ar und auf­fäl­lig und bekä­me folg­lich deut­lich mehr (wenn­gleich immer noch zu wenig) Auf­merk­sam­keit. Jeden­falls sei­en die Mee­re vom MSRL-Ziel „guter Zustand“ weit entfernt.

Ursa­che sind aktu­el­le Nut­zungs­be­geh­ren eben­so wie jahr­zehn­te­lan­ge Ver­säum­nis­se amt­li­cher Mee­respo­li­tik: Schiff­fahrt oder indus­tri­el­le Instal­la­tio­nen sor­gen für zuneh­men­den Lärm im Meer. Bet­ti­na Tay­lor vom BUND-Meeresbüro erläu­ter­te etwa, dass nicht nur Mee­res­säu­ger, son­dern auch Wir­bel­lo­se, Fische oder Vögel dadurch gestresst und ihre Fort­pflan­zung behin­dert wür­den. Oder: Seit rund 75 Jah­ren wird die Ber­gung in Nord- und Ost­see ver­klapp­ter 1,6 Mil­lio­nen Ton­nen Muni­ti­ons­alt­las­ten ein­schließ­lich che­mi­scher Kampf­stof­fe ver­schleppt. Seit gut 20 Jah­ren for­dern Mee­res­um­welt­schüt­zer (anfangs übri­gens exklu­siv in unse­rer Zeit­schrift WATERKANT) Maß­nah­men zur Besei­ti­gung: Jetzt erst hat die Bun­des­re­gie­rung Schrit­te ein­ge­lei­tet, die 2024/25 zu ers­ten Ber­gungs­ver­su­chen füh­ren sol­len – Ende offen.

Vie­le Neuerungen

Kein Ende, son­dern Fort­set­zung fin­den hof­fent­lich drei wei­te­re Neue­run­gen im Ablauf der jähr­lí­chen Meeresumwelt-Symposien:

  • Zum zwei­ten Male ist – nach 2022 – auch in die­sem Jahr die Ver­an­stal­tung berei­chert wor­den durch eine viel­fäl­ti­ge Poster-Ausstellung. Im Foy­er des Kon­gress­saa­les wer­den dabei von For­schen­den ein­zel­ner Insti­tu­te sowie von Umwelt­ver­bän­den aus­ge­wähl­te Pro­jek­te in Wort und Bild vor­ge­stellt; die ein­zel­nen Schau­wän­de wer­den dem Audi­to­ri­um kurz erläu­tert und kön­nen dann von Inter­es­sier­ten zum Ende des ers­ten Tages mit den jewei­li­gen Aus­stel­len­den dis­ku­tiert wer­den – sehr belebend.
  • Das gilt (zwei­tens) auch für den in die­sem Jahr erst­mals ver­an­stal­te­ten Abschluss des MUS: Vier aus­ge­wähl­te Science-Slam-Präsentationen zu mari­nen The­men fan­den regen Zuspruch – den größ­ten Erfolg hat­te dabei Maria Ele­na Vor­rath von der Uni­ver­si­tät Ham­burg, deren Bei­trag „Oli­vin gegen den Kli­ma­wan­del? – Das ist kei­ne Lösung“ in einer Abstim­mung die meis­ten Stim­men erhielt. Aber auch die übri­gen drei Slams fan­den regen Zuspruch, man darf gespannt sein auf die Fort­set­zung 2024.
  • Und auch das ist neu: In den ein­schlä­gi­gen Android- und Apple-Stores steht die App „Meeresumwelt-Symposium 2023“ zum kos­ten­lo­sen Down­load zur Ver­fü­gung – ein ech­ter Fort­schritt! Sie ermög­licht nicht nur einen Über­blick über Pro­gramm und Teil­neh­men­den­ver­zeich­nis, son­dern auch direk­te Kon­takt­auf­nah­me oder Down­load der vor­ge­stell­ten Pos­ter oder Teil­nah­me an der Science-Slam-Abstimmung (Letz­te­res natür­lich nur wäh­rend der Ver­an­stal­tung). Eine echt tol­le Ergän­zung des MUS, wenn­gleich – wie bei so vie­lem Neu­en – auch in der Gestal­tung die­ser App noch „Luft nach oben“ ist. So las­sen sich bei­spiels­wei­se die meis­ten Prä­sen­ta­tio­nen des Kon­gres­ses anschlie­ßend über die Web­sei­te her­un­ter­la­den, bis­lang aber nicht auch via App. Zudem wür­den Ver­lin­kun­gen zu den Slam-Präsentationen sowohl die App als auch die Web­sei­te durch­aus bereichern.

Alles in allem: Ob’s an der Pandemie-Pause liegt oder am Gene­ra­tio­nen­wech­sel in der MUS-Organisation oder an bei­dem – die neu­en Impul­se und Erwei­te­run­gen haben’s in sich.

 

Zur Ergän­zung von unse­rer Sei­te haben wir hier die Links zu den vier Sci­ence Slams herausgesucht:
Methan aus der Nord­see: Ein Fall für EDGAR & WALLACE
(Chris­ti­an Scha­run, Karls­ru­her Insti­tut für Technologie)

Oli­vin gegen den Kli­ma­wan­del? Das ist kei­ne Lösung
(Maria Ele­na Vor­rath, Uni­ver­si­tät Hamburg)

Tal­king Tsunami
(Andre­as Schä­fer, Karls­ru­her Insti­tut für Technologie)

Fan­tas­ti­sche Rei­se ins Mikro‑(Plastik‑) Wunderland
(Georg Dier­kes, Bun­des­an­stalt für Gewässerkunde)

Auch wenn’s dabei par­tout nicht nur um Unter­hal­tung geht, wün­schen wir den­noch viel Spaß!

 

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WATERKANT-Redaktion