Der Seehafen Brake – seit vielen Jahren trotz wiederholter Modernisierung auf Steuerzahlerkosten nur sehr mäßig wachsend – hat am Wochenende Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz bekommen. Das ist zum einen beachtlich, weil dabei sogleich weitere teure Ausbaupläne bekannt gegeben wurden, und zum anderen, weil die Gegner der Weservertiefung den Kanzler mit einem Offenen Brief „begrüßten“.
Die landeseigene Hafenbetriebsgesellschaft Niedersachsen Ports (NPorts) freute sich wie der sprichwörtliche Schneekönig: „Diesen Freitag hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Seehafen Brake und das dort seit über 200 Jahren tätige Umschlagunternehmen J. Müller besucht.“ Der Kanzler, so NPorts weiter, habe sich „von der Vielseitigkeit und Leistungsfähigkeit der Hafenanlagen beeindruckt“ gezeigt. Ob das zutrifft, lässt sich skurrilerweise nicht nachvollziehen, denn der Rest der Pressemitteilung zitiert zwar jede Menge Eigenlob von NPorts-Geschäftsführer Holger Banik, aber nicht ein Wort des Kanzlers. Wahrscheinlich hat’s dem die Sprache verschlagen… – :-)) !
Wichtig sind hier und jetzt an diesem Besuchsereignis nur zwei Dinge: Zum einen der Banik-Hinweis auf einen geplanten weiteren Ausbau – der Niedersachsenkai werde „unter anderem wegen der Energiewende und dem damit wachsenden Bedarf an Windenergieanlagen und deren Elementen bald seine Kapazitätsgrenzen erreichen“. Daher habe der NPorts-Aufsichtsrat beschlossen, „im kommenden Jahr die Planungen für seine nördliche Verlängerung und damit für einen dritten Liegeplatz zu beauftragen“. Das ist, mit Verlaub, ziemlich unverschämt. Gerade am Niedersachsenkai herrscht immer wieder tagelang gähnende Leere, das war nicht nur 2012 nach Eröffnung so, das wiederholt sich auch heute noch in unregelmäßiger Häufigkeit. Und wenn an dieser Kaje Schiffe liegen, ist allzu oft zu beobachten, dass insbesondere größere Frachter viele Tage, manchmal sogar Wochen, dort festgemacht bleiben, ohne dass akutes Umschlagsgeschehen erkennbar wäre. Beides mag triftige Gründe haben – aber von Überschreiten der Kapazitätsgrenzen kann nicht die Rede sein. Zudem wäre eine Erweiterung in nördlicher Richtung nur machbar unter Beeinträchtigung der bestehenden Fährverbindung und/oder eines angrenzenden Naturschutzareals.
Zum anderen ist dieses bedeutsam: Das Aktionsbündnis gegen die Weservertiefung, getragen vom Weserschutzverein und der BUND-Kreisgruppe Wesermarsch, hat den Kanzler-Besuch zum Anlass genommen, einen „Offenen Brief“ an Scholz zu richten, den wir hier dokumentieren. Es ist bislang nicht bekannt, ob und wie der Kanzler darauf reagiert hat…
Offener Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz
anlässlich des geplanten Besuchs bei J. Müller in Brake und
Steelwind in Nordenham am Freitag 12.5.23
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Olaf Scholz,
wir als Bürgerinnen und Bürger der Wesermarsch freuen uns, dass Sie zu Besuch in unseren Landkreis kommen. Gerne hätten wir Sie auch bei einem öffentlichen Termin begrüßt und laden Sie ein, einen solchen zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen.
Wir sind eine lebendige und vielfältige Marsch- und Moorregion mit speziellen Bedingungen. Die bisherigen Weservertiefungen haben uns vor große Herausforderungen gestellt: Unsere Weidegräben versalzen massiv durch die Zuwässerung von Weserwasser. Neben dem unwiederbringlichen Verlust der Süßwasserflora und -fauna wird auch die Viehtränke aufs Spiel gesetzt. Unsere Häfen, Siele und Industrieanleger verschlicken, ohne Entschädigung für die Betroffenen. Hochwasserschutz ist für die Wesermarsch essentiell, doch die veränderte Tidedynamik in der Weser steigert unser Risiko erheblich. In der Folge könnten weitergehende kostspielige Baumaßnahmen notwendig werden - wenn wir die Dynamik überhaupt bewältigen können.
Der Kreistag des Landkreises Wesermarsch hat sich angesichts dieser umfassenden Problematik im letzten Jahr ohne Gegenstimme gegen eine weitere Vertiefung der Weser ausgesprochen. Bei einer Betrachtung des gesamtwirtschaftlichen Effekts auf unsere Region stellen wir fest: Wir möchten Landwirtschaft, Industrie, Tourismus und Lebensqualität in der Wesermarsch nicht durch weitere Vertiefungen gefährdet sehen. Der Braker Hafen, der sich als einziger im Kreis und auch in ganz Niedersachsen Vorteile von einer Weservertiefung erwartet, ist so gut aufgestellt und weiß seine Nische als kleinerer Flusshafen zu nutzen, sodass wir ihm voll zutrauen, sein Potential auch ohne eine weitere Weservertiefung zu nutzen.
Auch das Land Niedersachsen, von Ihrer Partei gemeinsam mit den Grünen regiert, kündigt im aktuellen Koalitionsvertrag eine Betrachtung der Gesamteffekte der Maßnahme als Grundlage für die Erteilung seines Einvernehmens an und erwartet vom Bund, die Kosten der bisher entstandenen Schäden zu tragen. Desweiteren möchte das Land Niedersachsen eine Herausnahme der Weservertiefung aus dem
Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz und strebt ein normales Planfeststellungsverfahren an.
Der Rotterdamer Hafen hat 24 Meter Tiefgang, was die deutschen Flusshäfen sowieso nie erreichen werden. Wie tief also noch? Es gibt naturräumliche Grenzen von Flussvertiefungen. Dies hat insbesondere die letzte Elbvertiefung mit Stintsterben, exponentiell anwachsender Schlick- und Baggerproblematik und zeitweiliger Rücknahme des angestrebten Tiefgangs deutlich gezeigt. Die Lösung liegt auf der Hand: Flussvertiefungen können ohnehin weltwirtschaftliche Dynamiken in der Schifffahrt nicht aushebeln, und unsere Flusshäfen kennen ihre Stärken für die jeweiligen Schiffsgrößen ganz genau. Wir haben einen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven, der bisher nicht ausgelastet ist. Eine Kooperation aller deutschen Häfen ist unumgänglich, um unserer Volkswirtschaft eine steigende Kostenlast, unseren Flüssen ein unnötiges bis unmögliches Ausbaggern und unseren Anliegerregionen einen Verlust an Lebensqualität und Wirtschaftskraft zu ersparen.
Wir bitten Sie als Bundeskanzler, sich
- gegen weitere Flussvertiefungen
- für Gespräche und Verträge zu einer Hafenkooperation sowie
- für eine Kostenübernahme der bisher entstandenen Schäden durch den Bund einzusetzen.
Vielen Dank.
Das Aktionsbündnis gegen die Weservertiefung
Mirko Baacke, 0172 5827508, mirko.baacke@web.de
Annette Chapligin, 0172 8432129, annette.chapligin@web.de