Es fehlt nicht mehr viel: In etwa zwei Jahren könnte weltweit endlich das Hongkong-Übereinkommen für das sichere und umweltgerechte Recycling von Schiffen der UN-Schifffahrtsorganisation IMO in Kraft treten. Das langwierige Ratifizierungsverfahren ist jetzt mit der Zustimmung von Bangladesh einen wesentlichen Schritt vorangekommen; allerdings wird die Wirksamkeit der Konvention nach wie vor bezweifelt.
Seit Jahrzehnten protestieren zivilgesellschaftliche Initiativen weltweit gegen die menschenunwürdigen und ökologisch verheerenden Verhältnisse beim Abwracken ausgedienter Handelsschiffe an den Stränden (vor allem) von Pakistan, Indien und Bangladesh. 2009 hatte sich die International Maritime Organization (IMO) nach langem Zaudern und Zanken auf das kurz Hongkong Konvention genannte Übereinkommen verständigt, das diesem Treiben ein Ende setzen sollte. Aber die Konvention blieb 14 Jahre lang in der Schwebe, weil die erforderliche Zustimmungsquote seitens der IMO-Mitglieder bislang nicht erreicht war.
Update 27. Juni 2023: Hongkong
Konvention tritt 2025 in Kraft!
Nach Bangladesh als einem der größten Schiffsrecyclingländer der Welt hat jetzt mit Liberia auch einer der größten (Billig-)Flaggenstaaten die Hongkong Konvention ratifiziert. Das meldete heute das maritime Info-Portal HANSA. Das bedeutet, dass nach Ablauf der unten beschriebenen Zwei-Jahres-Frist das Übereinkommen am 25. Juni 2025 weltweit rechtskräftig wird, bestätigte laut HANSA der Generalsekretär der IMO, Kitack Lim.
Bei der IMO werden Konventionen wie diese zwar satzungsgemäß mit Stimmenmehrheit beschlossen, nur werden die entsprechenden Abkommen damit noch lange nicht rechtswirksam. Im Falle der Hongkong Konvention gilt Folgendes: Zunächst müssen mindestens 15 Staaten das Übereinkommen ratifizieren – aber nicht irgendwelche. Vielmehr müssen die zustimmenden Staaten mindestens 40 Prozent der weltweiten Bruttotonnage der Handelsschifffahrt repräsentieren und zugleich mindestens drei Prozent der weltweiten Recyclingkapazität vertreten. Mit Bangladesh haben jetzt 21 IMO-Mitglieder dem Abkommen zugestimmt, die aber nur über knapp 31 Prozent der Welthandelstonnage verfügen.
Zwar gilt mit der Ratifizierung durch Bangladesh die Recyclingquote als erfüllt, dennoch bedarf es erst noch der Erfüllung des Tonnagesolls, bevor der Prozess des Inkrafttretens fortgesetzt werden darf; und der dauert dann noch einmal zwei Jahre. Ob Bangladesh oder Indien mit seinen gleichfalls ebenso stark frequentierten wie umstrittenen Abwrackstränden, das bereits vor einiger Zeit die Hongkong Konvention ratifiziert hat (Pakistan fehlt aktuell immer noch) – NGOs wie die Shipbreaking Platform warnen seit langem davor, dass die künftigen Anforderungen bei weitem nicht ausreichen, um ein ethisches, sicheres und umweltverträgliches Schiffsrecycling zu gewährleisten. Es bestehe die Gefahr besteht, dass auch nach Inkrafttreten der Hongkong Konvention geltende Gesetze und aktuelle Bemühungen zur Reform der gefährlichen und umweltschädlichen Praktiken untergraben werden.
Zurück zum Verfahren: Für Laien ist es schwer nachvollziehbar, dass eine Weltorganisation wie die IMO sich selbst eine gefasste Mehrheitsbeschlüsse so verschleppende Satzung gegeben hat. Der Grund ist ebenso einfach wie brutal: Es geht um Macht und Geld. Denn diese Prozedur garantiert über demokratische Prinzipien hinaus immer auch eine Vorherrschaft der wichtigsten Schifffahrtsnationen – und damit sind nicht Weltmächte im ökonomischen oder politischen Sinne gemeint, sondern die größten Flaggenstaaten.
Abwrack-Volumen wächst rapide
Ein baldiges Inkrafttreten der Hongkong Konvention samt wirksamer Umsetzung wäre übrigens auch deshalb besonders wichtig, weil allgemein damit gerechnet wird, dass in den nächsten Jahren das Schiffsaufkommen auf Abwrackwerften deutlich zunehmen wird. Bereits Mitte Mai hatte der internationale Reederverband Baltic and International Maritime Council (BIMCO) darauf hingewiesen, dass sich in den kommenden zehn Jahren die Menge der zum Abwracken ausgemusterten Handelsschiffe im Vergleich zum vorherigen Zehn-Jahres-Zeitraum mehr als verdoppeln werde.
Zwischen 2023 und 2032 würden vorwiegend in den 2000er Jahren gebaute Schiffe recycelt, so die BIMCO – zu Beginn dieses Jahrtausends sei aber mehr als das Zweifache an Tonnage gebaut worden als in den 1990er Jahren. Konkret erwartet die Organisation, dass bis 2032 deutlich mehr als 15.000 Schiffe mit einer Tragfähigkeit von über 600 Millionen Tonnen recycelt werden, während es seit 2014 nur rund 7800 Schiffe mit einer Tragfähigkeit von 285 Millionen Tonnen gewesen seien.
Es ist nach wie vor – unter Missachtung des Seerechtsübereinkommens der UNO – üblich, Handelsschiffe nicht unter der Flagge des Reeder-Heimatlandes fahren zu lassen, sondern sie in die Schiffsregister von Staaten „auszuflaggen“, deren Regeln dem Reeder günstigere Tarife, Steuern oder andere Normen gegenüber dem Heimatland bescheren. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) spricht von Billigflaggenstaaten und kritisiert nicht nur soziale Folgen für Seeleute, sondern betont, dass Schiffe unter diesen Flaggen oft auch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für Ladung, Mensch und Umwelt darstellten. Diese Billigflaggenstaaten verdienen gut am Geschäft mit der Registrierung fremder Schiffe. Deshalb blockieren sie in der IMO häufig Beschlüsse, die zwar in der Sache wirksam, aber für die Reeder oft auch teuer sind: Man will die Geschäftspartner von jetzt und morgen ja nicht verprellen.
Deutschland hatte 2019 als weltweit 13. Staat die Hongkong Konvention offiziell ratifiziert. Im selben Jahr ist eine 2013 beschlossene EU-Schiffsrecycling-Verordnung in Kraft getreten, die deutlich schärfere Kriterien festlegt als die Hongkong Konvention; Brüssel wollte so den Druck in Sachen Abwrack-Regelung erhöhen. Ungeachtet dessen sind deutsche Reeder – bei anhaltend staatlicher Subventionierung – nicht nur maßgeblich Nutznießer üblicher Ausflaggungspolitik, sondern auch mal in Abwrack-Skandale verwickelt.
Aktuell fahren laut dem Verband Deutscher Reeder (VDR) deren Schiffe zu mehr als 50 Prozent unter Billigflaggen solcher Länder, die bislang alle nicht ratifiziert haben – Antigua & Barbuda, Liberia oder Zypern etwa. Wenn also VDR und andere EU-Reeder es ernst meinten mit ihren ständig artikulierten hehren Ansprüchen, könnte sie eigentlich ihren nicht unerheblichen Einfluss auf diese Flaggenstaaten geltend machen, um so die Zustimmung dieser Länder zur Hongkong Konvention und damit das Inkrafttreten des Regelwerks zu beschleunigen – es wäre eine deutliche Geste für Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz.