Keine Tonnagesteuer in der Schweiz

Der Schwei­zer Stän­de­rat (die par­la­men­ta­ri­sche Kam­mer der Kan­to­ne und damit dem hie­si­gen Bun­des­rat ver­gleich­bar) hat es heu­te Vor­mit­tag mit 29:15 Stim­men abge­lehnt, auch in der Alpen­re­pu­blik die hei­mi­schen Ree­der, allen vor­an den Fami­li­en­kon­zern MSC, durch eine so genann­te Ton­na­ge­steu­er mil­li­ar­den­schwer zu sub­ven­tio­nie­ren: ein begrü­ßens­wer­ter Beschluss – mit einer skan­da­lö­sen Vorgeschichte. 

Ton­na­ge­steu­er – eigent­lich ist der Begriff grund­falsch, denn gemeint ist ja das Gegen­teil von Besteue­rung, näm­lich weit­ge­hen­der Besteue­rungs­ver­zicht. Man­che sagen, die irre­füh­ren­de Bezeich­nung sei poli­ti­sche Absicht, um zu ver­schlei­ern, dass die­se Sub­ven­ti­on die Öffent­lich­keit sehr viel Steu­er­geld kos­tet; etwas zutref­fen­der sei es, von Tonnage-Besteuerung zu reden. Es geht um staat­li­che Begüns­ti­gung von Ree­de­rei­en. In Deutsch­land die­ses Ver­fah­ren seit 1999 üblich (sie­he Kas­ten) und längst auch in ande­ren Län­dern weit ver­brei­tet. Hier­zu­lan­de hat­te es 2022 zwar von der Spit­ze der größ­ten natio­na­len Ree­de­rei, dem Ham­bur­ger Kon­zern Hapag-Lloyd, vor­sich­ti­ge Kri­tik gege­ben, lei­der blieb die bis­lang ohne poli­ti­sches Echo. In Däne­mark gab es dem Maga­zin Han­sa zufol­ge jüngst Rufe, eini­ge bestehen­de För­de­run­gen abzu­schaf­fen – zum Ent­set­zen natio­na­ler Reeder.

Tonnage-Besteuerung:
Leider weit verbreitet.

23 euro­päi­sche und min­des­tens sechs außer­eu­ro­päi­sche Staa­ten prak­ti­zie­ren die­se Sub­ven­ti­on in jeweils leicht unter­schied­li­chen For­men. In Deutsch­land wur­de sie 1999 von der SPD-Grünen-Koalition ein­ge­führt. Eigent­lich war ein Quid-pro-quo-Deal geplant: Das neu aus­ge­ru­fe­ne „Mari­ti­me Bünd­nis“ soll­te Ree­der mas­siv begüns­ti­gen und die­se dafür hun­der­te aus­ge­flagg­te Schif­fe zurück­ho­len unter Schwarz­rot­gold. Dar­aus wur­de nichts – die Ree­der kas­sier­ten zwar, aber die Aus­flag­gungs­quo­te ging von 65,6 Pro­zent Ende 2000 erst etwas run­ter, wie­der rauf und beträgt heu­te rund 85 Prozent.

Das führt zu der Fra­ge, wie viel Geld dem Staat, also der All­ge­mein­heit, etwa für Infra­struk­tur oder Sozi­al­leis­tun­gen, denn vor­ent­hal­ten wird? Der jüngs­te Sub­ven­ti­ons­be­richt der Bun­des­re­gie­rung vom August 2023 bezif­fert die Steu­er­min­der­ein­nah­men durch Tonnage-Besteuerung für die Jah­re 2021-2024 auf 22,58 Mil­li­ar­den Euro; das sind teil­wei­se zwar Schätz­zah­len, aller­dings addie­ren sich meh­re­re hun­dert Mil­lio­nen Euro hin­zu für ande­re Schifffahrtssubventionen.

Ein kon­kre­tes Bei­spiel lie­fer­te Nor­bert Hack­busch von der Links-Fraktion in Ham­burgs Bür­ger­schaft im Jah­re 2022: „Allein Hapag-Lloyd hat im Jahr 2021 bei einem Gewinn von 9,4 Mil­li­ar­den Euro nur 61,3 Mil­lio­nen Euro Steu­ern bezahlt. Das sind genau 0,65 Pro­zent.“ Immer­hin gab Hapag-Chef Hab­ben Jan­sen zu, es kön­ne even­tu­ell „fair“ sein, an die­sem Sys­tem etwas zu ändern. Unfair ist übri­gens auch, dass der Steu­er­satz für gro­ße Schif­fe ein Vier­tel des Sat­zes für Klei­ne­re beträgt; und dass Tonnage-Besteuerung im Unter­schied zu ande­ren Sub­ven­tio­nen selbst für aus­ge­flagg­te Schif­fe gewährt wird: Der Ree­der gewinnt also nichts durch Rückflaggung.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist die aktu­el­le Ent­wick­lung in der Schweiz eine genaue­re Betrach­tung wert. Denn laut einem Bericht des mehr­fach prä­mi­ier­ten Recherche-Magazins Reflekt geht es dort vor allem um poli­ti­sche Beein­flus­sung durch die in Genf ansäs­si­ge welt­größ­te Ree­de­rei, den Fami­li­en­kon­zern Medi­ter­ra­ne­an Ship­ping Com­pa­ny (MSC). Deren Name ist bekannt­lich in Deutsch­land gera­de in den Schlag­zei­len, weil der Ham­bur­ger Senat die Gen­fer ger­ne mas­siv am loka­len Hafen­be­trei­ber HHLA betei­li­gen möch­te. MSC ist mit einem Markt­an­teil von knapp 20 Pro­zent die mit Abstand welt­größ­te Con­tai­ner­ree­de­rei, besitzt die dritt­größ­te Flot­te an Kreuz­fahrt­schif­fen und kon­trol­liert zudem glo­bal noch etli­che Häfen.

Reflekt ent­hüll­te jüngst, wie MSC mas­si­ven Druck aus­ge­übt hat, um auch in der Schweiz eine Tonnage-Besteuerung ein­zu­füh­ren. Das Recher­che­team hat­te, unter Aus­nut­zung natio­na­len Infor­ma­ti­ons­rechts, inter­ne Verwaltungs-Dokumente aus­ge­wer­tet – mit sen­sa­tio­nel­lem Ergeb­nis: MSC, so Reflekt, habe über einen Schwei­zer Ree­der­ver­band direkt „Ein­fluss auf die Eid­ge­nös­si­sche Steu­er­ver­wal­tung genom­men“. In einem per E-Mail über­mit­tel­ten Schrei­ben an die Finanz­be­hör­de habe ein MSC-Mitarbeiter bereits im Jah­re 2019 gedrän­gelt, „man fra­ge sich, war­um der Bun­des­rat (die Schwei­zer Regie­rung) die Kon­sul­ta­tio­nen zur neu­en Ton­na­ge­steu­er noch immer nicht gestar­tet habe“. Im Früh­jahr 2020 folg­te dann ein per­sön­li­ches Gespräch des MSC-Patriarchen Gian­lui­gi Apon­te mit dem dama­li­gen Finanz­mi­nis­ter Ueli Maurer.

Wie bereits ange­ris­sen, bezweckt die­se Rege­lung eine mas­si­ve Begüns­ti­gung von Ree­dern: Sie müs­sen sich kei­ner nor­ma­len Gewinn­ver­steue­rung unter­wer­fen, wie sie für ande­re Unter­neh­men gilt. Statt­des­sen kön­nen sie ihre Steu­er­schuld nur aus der Grö­ße eines Schiffs und der Anzahl sei­ner Betriebs­ta­ge berech­nen las­sen – trans­por­tier­te Fracht oder erziel­te Gewin­ne blei­ben unbe­rück­sich­tigt. Gera­de mit Blick auf die teil­wei­se ful­mi­nan­ten Pro­fi­te, die vie­le Ree­de­rei­en in jün­ge­rer Zeit ein­strei­chen konn­ten, wird die­se Form von Sub­ven­tio­nie­rung immer öfter kri­tisch gese­hen. MSC ver­öf­fent­licht kei­ne Bilan­zen, aber die Schwei­zer Zei­tung Blick schätz­te jüngst den Kon­zern­ge­winn für das Jahr 2022 auf umge­rech­net knapp 31 Mil­li­ar­den Euro; und wenn man das deut­sche Bei­spiel (sie­he Kas­ten) auf die ungleich grö­ße­re Gen­fer Ree­de­rei über­trägt, lässt sich erah­nen, um wie viel Geld es in der Schwei­zer Debat­te geht.

Laut Reflekt hat MSC einen zuvor unbe­deu­ten­den Lob­by­ver­ein „geka­pert“, dort einen MSC-Steuerexperten als Gene­ral­se­kre­tär eta­bliert und dann zu einem ein­fluss­rei­chen Ree­der­ver­band umge­baut. Aus­führ­lich doku­men­tiert das Maga­zin die direk­te Ein­fluss­nah­me die­ser Swiss Shipow­ners Asso­cia­ti­on auf den nach besag­ter E-Mail vom Bun­des­rat und Mau­rer folg­sam begon­ne­nen Gesetz­ge­bungs­pro­zess. Her­aus kam ein Gesetz­ent­wurf, der Reflekt zufol­ge Verfassungs-Bedenken eben­so igno­riert wie Gewerkschafts-Widerstand, der nach­weis­lich For­mu­lie­run­gen aus dem Hau­se MSC wört­lich wider­gibt, als unge­nü­gend kri­ti­sier­te Rege­lun­gen ent­hält und die Fol­gen für den Natio­nal­haus­halt ausklammert.

Trotz­dem ver­ab­schie­de­te der Natio­nal­rat (das Schwei­zer Par­la­ment) das Gesetz im Dezem­ber 2022 mit 99:85 Stim­men. Was indes fehl­te, war die Zustim­mung des Stän­de­rats. Dort kon­zen­trier­te sich in der Fol­ge­zeit der Wider­stand, die Kam­mer zoff­te sich län­ger als ein Jahr Steu­er­ver­wal­tung, Ree­der­ver­band und wei­te­ren Lob­by­is­ten. Mit über­ra­schen­dem Erfolg: Vori­ge Woche lehn­te die Kam­mer der Kan­to­ne das Vor­ha­ben Tonnage-Besteuerung mit deut­li­cher Mehr­heit ab.

Die­ses Pri­vi­leg lässt sich dem Volk nicht erklä­ren“, kom­men­tier­te die Neue Zür­cher Zei­tung die­sen Beschluss. Ob das The­ma final erle­digt ist, muss sich erst zei­gen. Min­des­tens ein Nach­spiel steht noch aus: Eine Natio­nal­rä­tin der Grü­nen ver­langt unter Hin­weis auf die Reflekt-Enthüllungen eine Unter­su­chung des Zustan­de­kom­mens. Zumin­dest aber ist die Öffent­lich­keit jetzt sen­si­bi­li­siert, auch für Reak­tio­nen sei­tens Ree­der­ver­band oder MSC.

www.jungewelt.de

Über waterkant

WATERKANT-Redaktion