EU schränkt Sonderrechte für Schifffahrt ein

Heu­te ist eine fast 30 Jah­re alte und fast eben­so lan­ge hef­tig umstrit­te­ne EU-Schifffahrtsregel außer Kraft getre­ten: Die so genann­te Grup­pen­frei­stel­lungs­ver­ord­nung für Kon­sor­ti­en in der Lini­en­schiff­fahrt (GFO) nahm Ree­de­rei­en und ihre Alli­an­zen von den EU-Kartellvorschriften aus, beschleu­nig­te so den mas­si­ven Kon­zen­tra­ti­ons­pro­zess und ver­half den ent­ste­hen­den Oli­go­po­len zu mas­si­ven Profiten. 

Ange­la Titz­rath, Prä­si­den­tin des Zen­tral­ver­bands der deut­schen See­ha­fen­be­trie­be (ZDS) und Vor­stands­che­fin des Ham­bur­ger Terminal- und Logis­tik­kon­zerns HHLA, zeig­te sich zufrie­den: Wäh­rend die Schiff­fahrt die GFO – ver­ständ­li­cher­wei­se – immer begrüßt hat­te, gab es seit vie­len Jah­ren wach­sen­den Wider­stand sei­tens der Häfen, der Ver­la­der und der Spe­di­teu­re. Zudem zeig­ten sich nicht nur inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen wie die UNCTAD oder die OECD zuneh­mend skep­tisch. Auch mari­ti­me Gewerk­schaf­ten wie die Dach­or­ga­ni­sa­ti­on Euro­pean Trans­port Workers’ Fede­ra­ti­on (ETF) plä­dier­ten seit lan­gem für eine Been­di­gung die­ser Ausnahmeklausel.

Grund­sätz­lich ist es nach EU-Recht Unter­neh­men ver­bo­ten, unter­ein­an­der Abspra­chen zu tref­fen, wenn dies den ver­herr­lich­ten „frei­en Wett­be­werb“ ein­schrän­ken könn­te. Aber kei­ne Regel ist ohne Aus­nah­me: Der Schiff­fahrt wur­de schon seit 1995 eine sol­che „Frei­stel­lung“ gewährt, weil ja die Ver­tei­lung von Gütern nicht beein­träch­tigt wer­den dür­fe. Daher durf­ten fahr­plan­ge­bun­de­ne See­ver­kehrs­diens­te zur Fracht­be­för­de­rung von an sich kon­kur­rie­ren­den Ree­de­rei­en gemein­sam erbracht wer­den. Auf Grund­la­ge so genann­ter „Kon­sor­ti­al­ver­ein­ba­run­gen“ bil­de­ten Lini­en­ree­de­rei­en „Alli­an­zen“ und stimm­ten sich ab, wel­che ihrer Schif­fe wie häu­fig wel­che Häfen und Umschlag­be­trie­be anlau­fen. Begrün­det wur­de dies unter ande­rem mit den hohen Inves­ti­tio­nen, die für die Orga­ni­sa­ti­on sol­cher Lini­en­diens­te erfor­der­lich sind, effek­ti­ve­re Nut­zung von Schiffs­raum oder zuver­läs­si­ge­re Fahr­p­lan­dich­te soll­ten so begüns­tigt wer­den. In der zuletzt gül­ti­gen Form bestand die GFO in der EU seit 2009 und ist mehr­fach ver­län­gert wor­den. Weil aber der Druck zunahm, lei­te­te die EU-Kommission im Som­mer 2022 eine Eva­lua­ti­on ein und befrag­te die meist betrof­fe­nen Part­ner in den mari­ti­men Lieferketten.

Dumm gelau­fen: Rege­lung „nicht mehr angemessen“

Wie ein­gangs bereits ange­ris­sen, haben ins­be­son­de­re die den Welt­han­del majo­ri­sie­ren­den Ree­de­rei­kon­zer­ne in und nach der Pan­de­mie nicht nur gut, son­dern exor­bi­tant ver­dient, haben ihre ohne­hin star­ke Markt­macht wei­ter aus­ge­baut. Viel Kapi­tal haben sie in benach­bar­te Diver­si­fi­zie­rung inves­tiert, näm­lich Betei­li­gun­gen an Ter­mi­nals und Häfen sowie an land­sei­ti­gen Logis­tik­un­ter­neh­men erwor­ben. Das hat nicht nur, sie­he oben, den Wider­stand der betrof­fe­nen Bran­chen von See­hä­fen bis hin zu gro­ßen Indus­trie­ver­bän­den zuneh­men las­sen, son­dern das ist – sozu­sa­gen „dumm gelau­fen“ – den Ree­dern letzt­lich auch auf die eige­nen Füße gefal­len: „Unse­re Eva­lu­ie­rung hat erge­ben“, zitier­te das Fach­ma­ga­zin HANSA im Herbst ver­gan­ge­nen Jah­res den Interims-Wettbewerbskommissar Didier Reyn­ders, „dass eine spe­zi­el­le Grup­pen­frei­stel­lung für Schiff­fahrts­li­ni­en unter die­sen neu­en Markt­be­din­gun­gen nicht mehr ange­mes­sen ist. Daher haben wir beschlos­sen, den der­zei­ti­gen Rah­men nicht zu ver­län­gern, son­dern ihn am 25. April 2024 aus­lau­fen zu lassen“.

In der GFO war unter ande­rem fest­ge­legt, dass der Markt­an­teil eines Kon­sor­ti­ums den Wert von 30 Pro­zent nicht über­schrei­ten dür­fe – eine Regel, die im Con­tai­ner­ver­kehr von den (der­zeit im Umbruch befind­li­chen) füh­ren­den Alli­an­zen schon seit Jah­ren miss­ach­tet wor­den ist. Auch wenn deren Part­ner nur teil­wei­se in EU-Mitgliedsstaaten behei­ma­tet sind, bleibt doch abzu­war­ten, wie sich das Ende der GFO auf die Markt­struk­tu­ren der euro­päi­schen und glo­ba­len Schiff­fahrt aus­wir­ken wird. Die EU-Kommission betont, eine Zusam­men­ar­beit zwi­schen Ree­de­rei­en sei künf­tig nicht in jedem Fall rechts­wid­rig. Hapag-Lloyd-Chef Rolf Hab­ben Jan­sen etwa rech­net nicht mit Ein­wän­den der Kar­tell­be­hör­den gegen die geplan­te Koope­ra­ti­on mit Mærsk. Der ZDS hin­ge­gen ver­langt von Brüs­sel, dem „Markt­ge­ba­ren gro­ßer Alli­an­zen kla­re Gren­zen“ zu set­zen und Bei­hil­fe­re­geln wie die wei­ter­hin bestehen­de Ton­na­ge­steu­er zu überprüfen.

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WATERKANT-Redaktion