Raketenboom oder Meeresumweltschutz?

Die Idee, mit­ten auf der Nord­see mas­sen­haft Rake­ten­starts zu insze­nie­ren, um Satel­li­ten „ins All“ (genau­er: erst ein­mal bis zur Stra­to­sphä­re) zu schie­ßen, wird zwar seit Jah­ren pro­pa­giert, war aber bis­lang nicht so recht vor­an gekom­men. Nun soll es angeb­lich ernst wer­den: Laut Nordsee-Zeitung soll in der zwei­ten Monats­hälf­te Juni „die so genann­te ‚Demo Mis­si­on #1‘ durch­ge­zo­gen werden. 

Über das Vor­ha­ben an sich hat WATERKANT bereits mehr­fach berich­tet – sowohl über ent­spre­chen­de Initia­ti­ven des Bun­des­ver­bands der deut­schen Indus­trie (BDI), zu des­sen Vor­stän­den damals (2020) auch der Bre­mer Raumfahrttechnik-Industrielle Mar­co Fuchs gehör­te, als auch über die anschlie­ßen­de Grün­dung einer schlag­kräf­ti­gen Lob­by­or­ga­ni­sa­ti­on namens Ger­man Off­shore Space­port Alli­ance (GOSA), was sei­tens der loka­len Poli­tik nach­drück­lich begrüßt und vom Bund auch sub­ven­tio­niert wird. WATERKANT hat zwar damals schon die Kräf­te des Mee­res­um­welt­schut­zes zur erhöh­ten Wach­sam­keit auf­ge­ru­fen, lei­der bis­lang ohne nen­nens­wer­ten Erfolg.

Nun will die GOSA also ernst machen: Wie die Nordsee-Zeitung (NZ) berich­tet, sol­len in einer ers­ten Ver­suchs­rei­he vier aus­ge­wähl­te Anbie­ter ihre Rake­ten­mo­del­le in Bre­mer­ha­ven ver­la­den und dann von einem Pon­ton im nord­west­li­chen Zip­fel der deut­schen Aus­schließ­li­chen Wirt­schafts­zo­ne (AWZ) aus star­ten dür­fen. Dabei sol­len unter­schied­li­che Höhen zwi­schen sie­ben­ein­halb und knapp 50 Kilo­me­tern erreicht wer­den – wenn’s denn klappt. Geschickt „ver­kau­fen“ die GOSA-Marketingexperten das vor­erst als äußerst inno­va­tiv, beto­nen die unter­schied­li­chen und über­wie­gend bis­lang uner­prob­ten Antriebs­tech­ni­ken der vier selbst zum Teil in ihren Anfän­gen ste­cken­den Entwicklerteams.

Und selbst­ver­ständ­lich sind ihnen auch die loka­len Medi­en mehr als gewo­gen, schließ­lich han­delt es sich bei den GOSA-Mitgliedern über­wie­gend um nam­haf­te Fir­men aus der Unter­we­ser­re­gi­on; zudem ist der­zeit Bre­mer­ha­ven als logis­ti­scher Kno­ten­punkt für Umschlag und Ver­sor­gung des Start­pon­tons – „die ers­te schwim­men­de Start­platt­form für klei­ne Trä­ger­ra­ke­ten in der Nord­see“ – sowie aller zuge­hö­ri­gen Begleit­fahr­zeu­ge im Gespräch. Und klar ist auch, dass die Len­kung und Über­wa­chung von Bre­men aus statt­fin­den soll, wo OHB, der Kon­zern von Fuchs, sei­nen Stamm­sitz hat: „Bre­men und Bre­mer­ha­ven bie­ten einen opti­ma­len Hei­mat­ha­fen für den Space­port“, so GOSA.

Über die geplan­te ers­te Test­se­rie wird fer­ner berich­tet, dass die in der deut­schen AWZ gestar­te­ten Rake­ten „im benach­bar­ten bri­ti­schen Teil der Nord­see run­ter­ge­hen“ wür­den, drei sol­len gebor­gen wer­den, „eine wer­de im Meer ver­sin­ken“. Über die Umwelt­fol­gen sol­cher zusätz­li­chen Ver­mül­lung oder der vier ver­schie­de­nen Treibstoff- und Technik-Tests, über die Kli­ma­re­le­vanz sowohl der Ver­su­che als auch des logis­ti­schen Auf­wands wird bis­lang eben­so wenig gere­det wie etwa über die Fol­gen der erzeug­ten Lärm­emis­sio­nen für Mee­res­säu­ger und Fische. Green­peace, erläu­tert die NZ immer­hin, sehe das Vor­ha­ben „kri­tisch“ und beto­ne, das Vor­ha­ben wer­de „das bereits stark belas­te­te Mee­res­öko­sys­tem zusätz­lich schä­di­gen“ – aber nach Details die­ser Kri­tik sucht man auf der Web­sei­te der Orga­ni­sa­ti­on vergebens.

Zwei Nach­trä­ge vom 19. Mai 2024:

  • Die über­wie­gend von küs­ten­na­hen Gebiets­kör­per­schaf­ten getra­ge­ne Schutz­ge­mein­schaft Deut­sche Nord­see­küs­te (SDN) hat zwar heu­te in einer Pres­se­mit­tei­lung ein­dring­lich zum „selbst­kri­ti­schen Inne­hal­ten des tech­ni­schen Ausbau- und Nut­zungs­wahns gegen den Lebens­raum Nord­see“ gemahnt – Anlass der Mit­tei­lung war aber das ange­kün­dig­te Aus für die Ölbohr­in­sel Mit­tel­p­la­te A, „wenn auch erst in 17 Jah­ren“. In der Auf­zäh­lung zum Stich­wort „Nut­zungs­wahn“ ist zwar auch von „Start­an­la­gen für Welt­raum­ra­ke­ten“ die Rede, mehr aber lei­der nicht.
  • Die NZ berich­te­te just heu­te über ein neu­es, die oben beschrie­be­nen Plä­ne mas­siv stüt­zen­des Gut­ach­ten des BDI, dar­in fin­det sich die­ses Zitat: „Bis 2030 wür­den vor­aus­sicht­lich 20.000 neue Satel­li­ten zu den aktu­ell akti­ven 6.000 hin­zu­kom­men, so (Mat­thi­as) Wach­ter, der Geschäfts­füh­rer der NewSpace Initia­ti­ve beim BDI ist.“

 

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WATERKANT-Redaktion