Seegerichtshof stärkt Inselstaaten

Der Inter­na­tio­na­le See­ge­richts­hof (ITLOS) in Ham­burg hat vor­ges­tern für eine Sen­sa­ti­on gesorgt: In über­ra­schen­der Klar­heit erklär­te er in einem Gut­ach­ten sei­ne Unter­stüt­zung für das Bemü­hen etli­cher Insel­staa­ten, sich gegen ihre schlei­chen­de Ver­nich­tung durch Kli­ma­wan­del und Mee­res­spie­gel­an­stieg zu wehren. 

Anthro­po­ge­ne Treib­haus­gas­emis­sio­nen stel­len eine Mee­res­ver­schmut­zung im Sin­ne des Para­gra­phen 1, Absatz 1, Satz 4 des UN-Seerechtsübereinkommens dar“ – so lau­tet in sinn­ge­mä­ßer Über­set­zung der ers­te Satz jenes Gut­ach­tens, dass der ITLOS am Diens­tag die­ser Woche ver­kün­det hat. Es ist ein Satz, der geeig­net scheint, die glo­ba­len Debat­ten um den Kli­ma­schutz gehö­rig auf­zu­mi­schen. Denn aus die­ser Fest­le­gung ergibt sich, nach ein­stim­mi­ger Inter­pre­ta­ti­on des Gerichts, aus dem See­rechts­über­ein­kom­men (United Nati­ons‘ Con­ven­ti­on on the Law of the SeaUNCLOS) die „spe­zi­fi­sche Ver­pflich­tung“ der Ver­trags­staa­ten, „alle erfor­der­li­chen Maß­nah­men zu ergrei­fen, um (die­se) Mee­res­ver­schmut­zung … zu ver­hin­dern, zu ver­rin­gern und zu kon­trol­lie­ren“. Die Ent­schei­dung gilt als nicht weni­ger denn sen­sa­tio­nell, ins­be­son­de­re, weil sie so ein­deu­tig for­mu­liert wor­den ist.

Im Okto­ber 2021 hat­ten die Commonwealth-Mitglieder Anti­gua und Bar­bu­da (Kari­bik) und Tuva­lu (Pazi­fik) im Vor­feld der Welt­kli­ma­kon­fe­renz von Glas­gow (COP26) ein inter­na­tio­na­les Bünd­nis der vom Mee­res­spie­gel­an­stieg bedroh­ten Insel­staa­ten gegrün­det, um den Kli­ma­wan­del als des­sen Ursa­che juris­tisch anzu­pran­gern und zu bekämp­fen. Die­ser Com­mis­si­on of Small Island Sta­tes on Cli­ma­te Chan­ge and Inter­na­tio­nal Law (COSIS) gehö­ren der­zeit neben den Grün­dern auch die Baha­mas, fer­ner aus der Kari­bik St. Lucia, St. Vin­cent und Gre­na­di­nen, St. Kitts und Nevis sowie aus dem Pazi­fik Niue, Palau und Vanua­tu an. Im Fol­ge­jahr hat­te COSIS als ers­ten Schritt beim ITLOS eine Rechts­aus­kunft bean­tragt, ob Treib­haus­gas­emis­sio­nen unter UNCLOS als Ver­schmut­zung ein­zu­stu­fen sei­en und wel­che Fol­gen sich dar­aus ergäben.

Kein Urteil, aber gewichtig

Viel­fach wird in Medi­en von der ITLOS-Entscheidung als „Urteil“ berich­tet, das ist juris­tisch so nicht halt­bar: Der Gerichts­hof kann Urtei­le nur spre­chen in kon­kre­ten Ein­zel­fall­kla­gen. Rechts­exper­ten sind indes über­zeugt, dass die gewähl­te Form eines Rechts­gut­ach­tens nicht nur künf­ti­ge Fall­ent­schei­dun­gen des ITLOS prä­gen, son­dern auch Ver­fah­ren ande­rer Instan­zen beein­flus­sen wird (COSIS hat bei­spiels­wei­se auch den Inter­na­tio­na­len Gerichts­hof in Den Haag angerufen).

Den 169 Staa­ten, die UNCLOS bis­lang rati­fi­ziert haben, gibt ITLOS vor, dass ande­re Abkom­men wie etwa das Pari­ser Kli­ma­ab­kom­men von 2015 sie von den defi­nier­ten Ver­pflich­tun­gen nicht ent­bin­den. Das gilt somit auch für Deutsch­land und die EU, nicht aber für die USA, die UNCLOS bis heu­te nicht aner­ken­nen. Das Ham­bur­ger Gericht weist jedoch dar­auf hin, dass laut sei­ner UNCLOS-Auslegung nicht nur Schutz, son­dern auch Wie­der­her­stel­lung geschä­dig­ter mari­ti­mer Lebens­räu­me sowie Ent­schä­di­gung betrof­fe­ner Län­der und deren finan­zi­el­le Unter­stüt­zung bei Abwehr von Kli­ma­wan­del­fol­gen ver­pflich­tend seien.

Betrof­fe­ne Regie­run­gen schweigen

Von­sei­ten poten­ti­ell betrof­fe­ner Regie­run­gen scheint es bis­lang kei­ne Reak­tio­nen zu geben, das schließt die Ampel in Ber­lin eben­so ein wie die im Wahl­kampf befind­li­che EU-Kommission oder euro­päi­sche Ein­zel­staa­ten. Für COSIS nann­te Payam Akha­van, kana­di­scher Jurist ira­ni­scher Abstam­mung, die ITLOS-Entscheidung einen „his­to­ri­schen juris­ti­schen Sieg für die klei­nen Insel­staa­ten“. Die gro­ßen Ver­schmut­zer müss­ten kata­stro­pha­le Schä­den für klei­ne Insel­staa­ten ver­hin­dern – und wenn sie das nicht tun, für die Ver­lus­te und Schä­den aufkommen.

Von Umwelt­schutz­sei­te lob­te neben Green­peace und WWF etwa Mee­res­bio­lo­ge James Ker­ry für die Schwei­zer Orga­ni­sa­ti­on Oce­an­Ca­re, dass das Gericht in sei­ner Ent­schei­dung aus­drück­lich den Vor­sor­ge­an­satz betont habe. Dar­aus erge­be sich die Ver­pflich­tung, auch die kumu­la­ti­ven Aus­wir­kun­gen jed­we­der Maß­nah­me zu berück­sich­ti­gen. Für das Forum Nach­hal­tig Wirt­schaf­ten aus Mün­chen nann­te Marie Bier­mann den ITLOS-Spruch einen „Mei­len­stein“ und einen „wich­ti­gen Prä­ze­denz­fall für den künf­ti­gen kli­ma­recht­li­chen Dis­kurs“. Zwar kri­ti­sier­te sie das Feh­len kon­kre­ter Maß­nah­men, das Gut­ach­ten blei­be „hin­ter dem zurück, was drin­gend not­wen­dig ist“ – die­se Erwar­tung dürf­te aber die Kom­pe­tenz des Gerichts übersteigen.

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WATERKANT-Redaktion