Es ist geschehen – gestern hat Hamburgs Bürgerschaft am späten Nachmittag dem heftig umstrittenen Einstieg der Genfer Mega-Reederei MSC beim lokalen Hafenlogistiker HHLA zugestimmt. Allerdings gelang es der Opposition per Geschäftsordnung, eine zweite Lesung und so die endgültige Beschlussfassung zumindest vorübergehend bis Anfang September zu blockieren.
Der nicht unerwarteten Entscheidung vorausgegangen war eine Debatte, in der sich die Regierungskoalitionäre von SPD und Grünen in beeindruckender Überheblichkeit präsentierten. Sie ließen alle spüren, dass sie an der Elbe mit 86 von insgesamt 123 Bürgerschaftsmandaten regieren. Anwesend waren allerdings nur 105 Parlamentarier, von denen 71 die Vorlage des Senats unterstützten, 34 votierten dagegen. Nach Angaben des NDR waren vor allem einige Abgeordnete von SPD und Grünen, „die im Vorfeld Bedenken zu erkennen gegeben hatten“, der Sitzung ferngeblieben. Peinlich und irgendwie feige: Zwar hätten Gegenstimmen von diesen Abgeordneten am Ergebnis der Abstimmung nicht geändert – aber es wäre ein deutlicheres öffentliches Signal gewesen. Tatsächlich stemmte sich mit dem Haushaltsausschuss-Vorsitzenden Matthias Petersen nur ein einziger Koalitionär sowohl in der Aussprache als auch in der namentlichen Abstimmung deutlich gegen den HHLA-MSC-Deal.
Von einem „wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit“ ist die Rede, von jährlicher Wertschöpfung im zweistelligen Milliardenbereich, von der Sicherung etwa 600.000 hafenbezogener Arbeitsplätze – „davon rund elf Prozent in Hamburg“: Der Entwurf des Vertrages zwischen dem Hamburger Senat und der Genfer Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC) lobt Hamburgs Hafen über alles. Dennoch soll knapp die Hälfte des momentan noch überwiegend staatseigenen Logistikkonzerns HHLA an die Schweizer übereignet werden: In Abwesenheit des Ersten Bürgermeisters Peter Tschentscher hatte eingangs der Parlaments-Debatte SPD-Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard den Deal ungeachtet aller Kritik als „wohlüberlegt“ und die Rechte der Beschäftigten als „gesichert“ gelobt.
Lauter und vielseitiger Widerstand
Gerne hätte Hamburgs Regierungskoalition den HHLA-MSC-Deal in kurzer Zeit protest- und geräuschlos über die Bühne gebracht. Aber daraus wurde bekanntlich nichts: Hafenarbeiter und Gewerkschaft ver.di mobilisierten von Anfang an wiederholt zu Kundgebungen, auch mit spontanem Streik. Oppositionsparteien, mehrere Einzelaktionäre, Hafenexperten, Umweltverbände, Wirtschaftswissenschaftler und selbst Teile der heimischen Hafenwirtschaft warnen vor diesem Schritt. Von staatlichem Verzicht auf die Kontrolle über die HHLA ist die Rede, angesichts der starken lokalen Position dieses Konzerns – er managte 2023 gut 75 Prozent des Hamburger Containerumschlags – sprechen manche auch vom bevorstehenden „Ausverkauf des Hafens“.
Bis heute hält der Senat wesentliche Teile der neben dem veröffentlichten Vertragsentwurf (s. o.) getroffenen Vereinbarungen mit MSC geheim, selbst Abgeordnete beklagen unzureichende Information. Niemand weiß, was der Genfer Reederei außer 49,9 Prozent der HHLA-Aktien alles versprochen worden ist – oder welche verbindlichen Zusagen diese gegeben hat. Die wenigen bekannt gewordenen Details – nur fünf Jahre Tariftreue, lange Vertragslaufzeit, ungünstige Kündigungsoptionen, Mitbestimmungsrisiken etc. – lösen eher Empörung aus. Insofern prägten viele offene Fragen – nicht nur zur Laufzeit, sondern ebenso zu Ausstiegs- und Rückkaufrechten, zur Absicherung angeblicher Zusagen und anderes mehr – auch die gestrige Bürgerschaftssitzung. SPD-Mann Jan Koltze formulierte zwar den dauerhaften Erhalt gut bezahlter Jobs nur als „Ziel“, zeigte sich aber überzeugt, dass das „Gemeinwohl“ vom MSC-Einstieg bei der HHLA profitiere.
Finanzsenator Andreas Dressel übte sich in teilweise durchsichtigen Rechenspielchen, aber auch in unverbindlich formuliertem Optimismus: „Wir wollen dafür sorgen, dass alles eingehalten wird.“ Die Grünen-Abgeordnete Zohra Mojadeddi sang ein Loblied auf MSC, weil es in der Pandemie keine Entlassungen gegeben habe. Einerseits vergaß sie, dabei zu erwähnen, dass der Genfer Familienkonzern eben diese Jahre genutzt hat, durch massiven Flottenausbau den langjährigen Primus der Containerschifffahrt, Dänemarks Mærsk, zu überholen. Andererseits ignorierte sie aber auch den mehr als zweifelhaften Ruf des Schweizer Familienkonzerns, der nie Geschäftszahlen veröffentlicht und dessen Chef Gianluigi Aponte sich medial meist verschlossen zeigt. Firmenintern wird Aponte „Comandante“ genannt, das manager magazin bezeichnete den ehemaligen Seemann auch mal als „Käpt‘n Gnadenlos“. Ihm und seiner Ehefrau Rafaela wurde jüngst in der so genannten Milliardärs-Liste des US-Magazins „Forbes“ ein Privatvermögen von je 28 Milliarden Dollar zugeschrieben. Neben dem Containersektor – hier bestreitet MSC aktuell 20 Prozent des globalen Geschäfts mit deutlichem Aufwärtstrend – ist die Genfer Familie nicht nur im Kreuzfahrtgeschäft aktiv, sondern kauft auch transnationale Bahnnetze etwa in Westafrika oder weltweit Terminals, betreibt eigene Hafenservice- oder Schleppunternehmen. Auch mit Drogenschmuggel gab es in der Vergangenheit schon Ärger; vor fünf Jahren war ein MSC-Schiff in den USA in einen Kokain-Skandal verwickelt, der die Firma rund 700 Millionen Dollar Bußgeld kostete.
Grüne blamieren sich – mehrfach
Weder derartige Berichte über globale MSC-Aktivitäten noch lokaler gewerkschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Widerstand – „macht den MSC-Deal platt!“ – konnten Hamburgs SPD-Grünen-Senat bislang davon abbringen, den umstrittenen Plan weiter zu verfolgen. Ausschuss-Anhörungen brachten massive Kritik, dennoch stimmte die jeweilige Ausschussmehrheit dem Deal zu. Selbst Parteiaustritte und Warnungen einzelner, teils prominenter SPD-Mitglieder änderten daran nichts. Zaghafte Vorbehalte der Grünen-Basis – „einen Ausverkauf wird es mit uns … nicht geben“ hatte es in einem Beschluss geheißen – konterkarierte Fraktionschef Dominik Lorenzen unter anderem mit den eigentlich skandalösen Worten, die HHLA habe „meines Erachtens … keinen hohen Stellenwert … im Alltag“ und sei „auch kein Bestandteil der Daseinsvorsorge“. Peinlich präsentierte sich Lorenzen in der Bürgerschaftsdebatte, als er alle Kritik am Deal als „Spielchen“ und „Konfetti“ lächerlich zu machen versuchte und die Bevölkerung durch ein von der Linken vorgeschlagenes Referendum als „überfordert“ bezeichnete. Sein Ja zum Deal indes blamierte er selbst, als er von „Mut zur Entscheidung“ sprach „auch auf die Gefahr hin, mal einen Fehler zu machen“. Es wäre ein auf lange Zeit unumkehrbarer Fehler!
Die Unsicherheit der Koalition über ihr eigenes Vorhaben zeigte sich gestern übrigens in einem kurzfristig eingebrachten Änderungsantrag: Angesichts der heftigen öffentlichen Kritik am vereinbarten Fünf-Jahres-Verzicht auf „betriebsbedingte Kündigungen“ bei der HHLA sieht sich nun der Senat vom Parlament aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Tarifbindung dauerhaft erhalten bleibt – was für eine windelweiche Floskel. Norbert Hackbusch, als Hafenexperte der Linken einer der führenden Kritiker des Deals, konnte gar nicht anders: Das sei nur ein schöner Wunsch, ätzte er, denn dem müsse MSC ja erst einmal zustimmen. Es zeige aber, dass die Koalition selbst schon „kalte Füße“ bekomme.
Mahnungen der CDU-Opposition, mit dem HHLA-Einstieg von MSC werde Staatsvermögen weiter unter Wert verkauft, ignoriert der Senat bislang ebenso wie den Ruf der Linken nach einem Volksentscheid „wie bei Olympia“: Norbert Hackbusch verlangt, „die ganze Stadt“ über die Zukunft ihres Hafens entscheiden zu lassen. Technikhistoriker Jürgen Bönig sieht gar die Speicherstadt in Gefahr, weil die als Immobilie der HHLA gehöre und entgegen anderslautender Beteuerungen im Aktiendeal enthalten sei. Sowohl die Linke als auch die FDP warnen eindringlich davor, MSC Einfluss auf den gesamten Hafen zu gewähren. Auch Hinweise beispielsweise vom Förderkreis „Rettet die Elbe“, der Deal könne gegen die Landesverfassung verstoßen, lassen den Senat kalt. Zwar prüft aktuell die EU-Kommission das Vorhaben unter Wettbewerbs- und Subventions-Aspekten, jedoch hat dies bislang keine aufschiebende Wirkung. Auch gestern rieben sich Hackbusch ebenso wie Götz Wiese von der CDU – eloquent, aber eben bislang vergeblich – zum wiederholten Male an den mehrfach dargestellten Gefahren und Unsicherheiten dieses Megageschäfts. Die aus der Linken zum BSW gewechselten, daher „fraktionslosen“ Abgeordneten Martin Dolzer und Mehmet Yildiz reihten sich ein in die Phalanx der Kritiker, nannten den Deal für Hamburg „gefährlich“ und verlangten erneut umfassende Akteneinsicht.
Ladungsverluste aus Ärger über MSC-Deal?
Die jüngste Warnung kam am vergangenen Wochenende von ver.di-Fachbereichsleiter André Kretschmar: „Nach unseren Informationen … plant die Reederei COSCO den Abzug von Ladung von dem HHLA-Terminal Tollerort. … Wir vermuten, dass diese Entscheidung eine Reaktion auf den angestrebten Verkauf der HHLA-Aktien an den Konkurrenten MSC sein könnte.“ Auch Hapag-Lloyd hat bereits Ladung vom HHLA-Terminal Altenwerder, an dem Deutschlands größte Reederei eine Minderheitsbeteiligung hat, abgezogen.
„Senat droht ‚Schiffbruch‘“, hatte jüngst eine Schlagzeile des maritimen Fachblatts Täglicher Hafenbericht (THB) prognostiziert. Momentan sieht das bedauerlicherweise nach einer Fehleinschätzung aus. Allerdings war und ist an der gesamten Debatte in und um Hamburg über den geplanten HHLA-MSC-Deal eines sehr auffällig: Bislang hat niemand die Frage aufgeworfen, geschweige denn erörtert, ob es nicht vielleicht einen Zusammenhang gibt zwischen diesem trotz aller Risiken geplanten Deal – und der anhaltenden Unterfinanzierung der deutschen Seehäfen durch die Bundesregierung. Als die HHLA die chinesische Staatsreederei COSCO (s. o.) am Terminal Tollerort beteiligen wollte, gab es massive Proteste und sogar Intervention aus Berlin. Zum ungleich schwerer wiegenden Einstieg von MSC nicht bei einem Terminal, sondern im Mutterkonzern, schweigt die Ampel – vielleicht, weil ihr das in den Hafenfinanzierungsfrage weiteren Aufschub verschaffen würde?