Während deutsche Reeder Millionensubventionen kassieren ohne vereinbarte Gegenleistungen (wie Rückflaggung) zu erbringen, werden Jobs für deutsche Seeleute immer seltener, nautische Berufe für junge Leute folglich immer unattraktiver. Gegen einen Teilaspekt dieser Entwicklung wendete sich eine Bundestags-Petition, die leider nicht annähernd genug Unterstützung erhalten hat. Bitter…
Die vorgeschriebene „Mitzeichnungsfrist“ endete am 6. Januar 2016. Trotz deren Ablauf bleibt die Nachricht hier „online“, weil das Anliegen grundsätzlich zu begrüßen ist (Update vom 8. Januar 2016).
Es geht um die so genannte Schiffsbesetzungs-Verordnung (SchBesV), die vorschreibt, mit welcher Besatzungsstärke Schiffe gefahren werden müssen – eine unerlässliche Regelung sowohl aus Gründen der Arbeitssicherheit an Bord als auch der Schifffahrtssicherheit auf den Meeren. Auf Druck des Verbands Deutscher Reeder (VDR) wird diese vorgeschriebene Besatzungsstärke aber seit Jahrzehnten stückweise zurückgeschraubt; aktuell versucht die Petition, eine formale Lücke in der geltenden Fassung von 2013 auszunutzen, um den Zustand von 1998/2006 wiederherzustellen und so zugleich eine geplante Neufassung zu stoppen, die weiteren Personalabbau ermöglichen soll.
Während die Petition (Wortlaut, Diskussionsbeiträge und Unterstützungsmöglichkeit hier) darauf abzielt, dass auf größeren Schiffen mindestens der Kapitän, zwei Schiffsoffiziere, ein Schiffsmechaniker sowie ein weiteres wachbefähigtes Besatzungsmitglied EU-Bürger sein müssen, machen die Reeder Druck, durch Neufassung der SchBesV dieses Minimum auf zwei (Kapitän plus 1) zu drücken. Dazu muss man wissen,
- dass die Besatzungsstärke insgesamt von den Reedern nach Sicherheitsvorgaben und nur in Abstimmung mit der Seeberufsgenossenschaft relativ frei geregelt werden darf; im aktuellen Fall geht es um den Anteil, der mindestens mit EU-Bürgern zu besetzen ist;
- dass die deutsche SchBesV, obwohl sie nur für Schiffe unter deutscher Flagge im so genannten Erstregister (siehe unten) gilt, wegen der europäischen Freizügigkeitsnormen nicht „deutsche“ Seeleute vorschreiben darf, sondern dies auf Seeleute mit EU-Pass ausweiten muss.
Als weiterer Hintergrund hier Auszüge aus dem Beitrag „Seemann, lass‘ das Träumen!“ aus unserer Ausgabe 3 / 2015, Seite 13 ff.:
„Die Gesamtzahl der Beschäftigten in der deutschen Seeschifffahrt (bezogen auf die BRD) wurde Ende 1970 noch mit 49.085 angegeben, darunter 741 aus EWG-Staaten und 10.562 aus Nicht-EWG-Staaten – unterm Strich also 37.782 deutsche Seeleute. (…) 15 Jahre später listete eine Bundestags-Drucksache nur noch 23.273 Mann Besatzung auf Schiffen unter deutscher Flagge, davon 4773 nicht näher differenzierter fremder Nationalitäten. (…) 1995 kontrollierten die VDR-Reeder exakt 1542 Schiffe, davon aber nur 825 unter deutscher Flagge – bemannt mit 15.376 Seeleuten, darunter 4488 Ausländer.“
Während der VDR aktuell behauptet, es gebe noch 6700 deutsche Seeleute, nannte ein Vertreter der Gewerkschaft ver.di während der 9. Nationalen Maritimen Konferenz Mitte Oktober in Bremerhaven eine Zahl von rund 4000.
„Der massive Rückgang im Bestand deutscher Seeleute und die Tatsache, dass die Ausbildung gegen Null tendiert, hat auch an Land schwerwiegende Folgen: Die gesamte maritime Peripherie – Hafenverwaltungen, Schifffahrtsämter, Lotsenbrüderschaften, Seenotretter, Logistik und viele andere mehr – ist existenziell auf das Knowhow erfahrener Nautiker angewiesen. Es hat aber Tradition, dass diese Bereiche sich für diesen spezifischen Bedarf gerne und bequem aus dem Pool ausscheidender Seeleute bedienen, statt in ausreichendem Maße selbst für Nachwuchs zu sorgen.“
Eben solchen Nachwuchs gibt es aber immer weniger, weil immer weniger Deutsche sich für nautische Berufe entscheiden: Die Ausbildungsmöglichkeiten werden sowohl durch Abbau des staatlichen Angebots als auch durch fehlende Praxismöglichkeit mangels Bordarbeitsplätzen immer stärker eingeschränkt – eine Entwicklung mit System und Geschichte:
„Das heute ‚Schiffsbesetzungsverordnung‘ (SchBesV) genannte Regelwerk … ist an die Flaggenführung geknüpft, gilt also nur auf Schiffen unter deutscher Flagge. Inzwischen weitgehend abgestumpft, schreibt diese Verordnung aktuell selbst für Schiffe unter Schwarzrotgold nur noch sinkende Anteile nicht einmal mehr deutschen, sondern europäischen Fachpersonals vor. Auf allen anderen Schiffen deutscher Reeder gelten die Bedingungen des fremden Flaggenstaats.
Wesentlicher Teil dieser Entwicklung war die Ende der 1980er Jahre vom VDR mit dem Druckmittel anhaltender Ausflaggungsdrohungen politisch erpresste Einführung des so genannten ‚Zweitregisters‘, offiziell ‚Internationales Schiffsregister‘ (ISR) genannt. Erstmals musste seither auch unter deutscher Flagge nur noch ein Teil der Seeleute aus Deutschland stammen, der überwiegende Teil der Kollegen hingegen kam fortan aus Staaten der so genannten Dritten Welt und wurde nach dort üblichen Konditionen beschäftigt – ungelernt, angelernt, in Leih- und Zeitarbeit und zu Bruchteilen hiesiger tariflicher Heuer. Das Prinzip ‚gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ wurde abgeschafft und es begann zugleich die Aushebelung der bis dahin breiten Ausbildung seemännischen Nachwuchses. (…)
Natürlich sind hochqualifizierte hiesige Fachkräfte mit fundierter Ausbildung oder Studium und entsprechenden Lebenshaltungskosten stets ‚teurer‘ als Kollegen aus so genannten Drittweltstaaten, die sich aus Not ohne Sozialversicherung und befristet für ein Drittel hiesiger Heuern ausbeuten lassen. Festzustellen, dass die ‚teuren‘ Fachkräfte gegenüber der ‚billigen‘ Konkurrenz ohne entsprechendes internationales Regelwerk keine Chance haben, hat nichts mit Nationalismus oder Ausländerfeindlichkeit zu tun. Die deutsche Flagge bleibt über die Schiffsbesetzungsverordnung das letzte Mittel, einigermaßen akzeptable Arbeitsbedingungen zu erhalten – für hiesige Beschäftigte und nicht gegen Ausländer. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), weltweit aktiv gegen Dumpinglöhne, zählt auch das deutsche ISR zu den ausbeuterischen Billigflaggen!“
Über den Initiator der Petition liegen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Textes nur unbestätigte Angaben vor, deshalb wird vorerst auf eine Namensnennung verzichtet – es soll sich um einen langjährigen Gewerkschafter und ehemaligen Seebetriebsrat handeln.
WATERKANT ruft auf, diese Petition unbedingt zu unterstützen. Danke.
Wortlaut der aktuellen Schiffsbesetzungs-Verordnung (SchBesV) hier;