Niels Stolberg vor Gericht

Am kom­men­den Mitt­woch – 20. Janu­ar 2016 – beginnt vor dem Land­ge­richt Bre­men der lan­ge erwar­te­te Straf­pro­zess gegen den ehe­ma­li­gen Ree­der Niels Stol­berg (und drei wei­te­re Ange­klag­te) wegen Bilanz­fäl­schung, Kre­dit­be­trugs (in 16 Fäl­len) und Untreue im Zusam­men­hang mit dem ika­ri­schen Absturz der „Beluga“-Reederei.

Ende 1995 hat­te der heu­te 55 Jah­re alte Nau­ti­ker und Schiff­fahrts­kauf­mann Stol­berg in Bre­men sei­ne Ree­de­rei gegrün­det. Von Anfang an spe­zia­li­sier­te er sich auf einen Nischen­markt, der schon Jahr­zehn­te zuvor von einer frü­he­ren Bre­mer Ree­de­rei bedient wor­den war: Wie einst die legen­dä­re „DDG Han­sa“, so wickel­te nun auch Stol­bergs „Belu­ga“ welt­weit Auf­trä­ge der oft kom­pli­zier­ten Schwergut- und Pro­jekt­schiff­fahrt ab. Inner­halb von gut zwölf Jah­ren wur­de er Welt­markt­füh­rer in die­sem Segment.

In Bre­men und auch Nord­deutsch­land ließ sich der Auf­stei­ger gebüh­rend fei­ern; ideen­reich und mit guten Medi­en­kon­tak­ten sorg­te er für immer neu­es Auf­se­hen. Das war ihm dann auch sicher, als sein Schiff­fahrts­im­pe­ri­um Anfang 2011 kol­la­bier­te: Meh­re­re hun­dert Beschäf­tig­te muss­ten sich damals neue Jobs suchen, Staats­an­wäl­te ermit­tel­ten jah­re­lang, Insol­venz­ver­wal­ter hat­ten ein kaum durch­schau­ba­res Fir­men­ge­flecht abzuwickeln.

Niels Stol­berg war der Erfolg­rei­che und wur­de vor allem in Bre­men ent­spre­chend hofiert und hono­riert: Zehn Jah­re ist es her – 2006 –, dass die bre­mi­sche Wirt­schaft ihn zum loka­len „Unter­neh­mer des Jah­res“ gekürt hat­te. 2008 war er einer der jähr­lich wech­seln­den Gast­ge­ber des so genann­ten „Schaf­fer­mahls“, einer 472 Jah­re alten han­sea­ti­schen Tafel- und Mau­schel­run­de wohl­ha­ben­der Män­ner. Skur­ri­ler Zufall (oder auch nicht): Zu der immer aus drei Män­nern bestehen­den Grup­pe der „kauf­män­ni­schen Schaf­fer“ zähl­ten 2008 neben Stol­berg der soeben (2016) frisch gekür­te Bre­mer Handelskammer-Präses Harald Emig­holz eben­so wie des­sen Amts­vor­gän­ger Chris­toph Weiss! Um die „Ehren­ta­fel“ zu ver­voll­stän­di­gen: 2009 folg­te Niels Stol­bergs Auf­nah­me bei den „Eiswett-Genossen“. Auch dies eine Bre­mer Tra­di­ti­on; die nen­nen sich „Genos­sen“, obwohl es in Wirk­lich­keit gleich­falls sehr betuch­te Män­ner sind, die all­jähr­lich Geld sam­meln für die Deut­sche Gesell­schaft zur Ret­tung Schiff­brü­chi­ger (DGzRS). Und das geschieht mit viel Fir­le­fanz: Gewet­tet wird, ob die Weser zufriert oder nicht – wobei, platt ver­ein­facht, aus­ge­rech­net die­je­ni­gen wet­ten, die mit ihren wirt­schaft­li­chen Akti­vi­tä­ten wesent­lich dazu bei­tra­gen, dass der Fluss gar nicht mehr zufrie­ren kann…

Aber Stol­berg wur­de nicht nur in die­sen Krei­sen geehrt. Der Mann ließ – eher geschickt als wohl­ge­sinnt – ande­re teil­ha­ben an sei­nem Erfolg, ver­mark­te­te sich gekonnt als Mäzen und Spen­der. Er enga­gier­te sich beim loka­len Bun­des­li­gis­ten Wer­der Bre­men, er finan­zier­te ein Hilfs­pro­jekt für jugend­li­che Tsunami-Opfer in Thai­land, unter­stütz­te loka­le Ein­rich­tun­gen der Hil­fe für Men­schen mit Behin­de­run­gen, grün­de­te und unter­hielt ein Galerie- und Künst­ler­haus auf der Nord­see­insel Spie­ker­oog. Hier übri­gens war sein Enga­ge­ment durch­aus umstrit­ten, weil er sich nicht mit einer Immo­bi­lie begnüg­te, son­dern ten­den­zi­ell bemüht schien, die Insel aufzukaufen.

Im eige­nen Hau­se galt Niels Stol­berg als sehr bestim­mend und for­dernd. Es gab zyni­sche Scher­ze, er habe eine Peti­ti­on für den 26-Stunden-Tag ein­ge­reicht – von teil­wei­se guten Gehäl­tern und Prä­mi­en war eben­so die Rede wie von hoher Per­so­nal­fluk­tua­ti­on oder geschei­ter­ten gewerk­schaft­li­chen Ver­su­chen einer Betriebs­rats­grün­dung. Und sei­ne am Ende 71 Schif­fe zäh­len­de Flot­te mit knapp 1500 See­leu­ten ließ er zu mehr als 90 Pro­zent unter Bil­lig­flag­ge fah­ren. Aber – gute Medi­en­kon­tak­te! – sei­nem loka­len Image haben sol­che Prak­ti­ken, zumal sie bran­chen­üb­lich sind, nie wirk­lich geschadet.

Stol­berg war mehr als nur irgend­ein Unter­neh­mer mit Gemeinnützigkeits-Attitüde: Er erreg­te auch immer wie­der Auf­se­hen mit sei­nen mari­ti­men Akti­vi­tä­ten – und die reich­ten weit über das ori­gi­nä­re Schwergut- und Projektschifffahrts-Segment hin­aus. Er spiel­te prak­tisch und medi­al mit mari­ti­men Innovationen:

  • So ließ er bei­spiels­wei­se schon 2008 – gebüh­rend gefei­ert als „Branchen-Vorreiter“ – einen sei­ner neu­en Mehrzweck-Schwergutfrachter mit einem so genann­ten „SkySails“-Antrieb aus­rüs­ten. Zwei Jah­re lang fuhr die MS „Belu­ga Sky­Sails” unter­stützt von einer spe­zi­el­len Bese­ge­lung über die Mee­re und wur­de gehypt als „fah­ren­der Beweis“ dafür, dass Nach­hal­tig­keit und wirt­schaft­li­cher Erfolg in der Schiff­fahrt mög­lich seien.
  • Und im Som­mer 2009 schick­te Stol­berg zwei sei­ner Frach­ter, „Belu­ga Fra­ter­ni­ty“ und „Belu­ga Fore­sight“, mit korea­ni­schen Kraft­werks­tei­len von Wla­di­wos­tok durch die Bering­stras­se über die legen­dä­re ark­ti­sche Nord­ost­pas­sa­ge nach Novyy Port in der Ob-Mündung; ein drit­tes Schiff, die „Belu­ga Fami­ly“, erreich­te den­sel­ben Hafen auf weni­ger pro­ble­ma­ti­schem Kurs vom west­li­chen Mur­mansk. Rund 13.000 Kilo­me­ter lang sei der Weg von Euro­pa nach Asi­en durch die Nord­ost­pas­sa­ge, rech­ne­te Stol­berg öffent­lich vor, gegen­über 21.000 Kilo­me­tern durch den Suez­ka­nal – bei dama­li­gen Treib­stoff­prei­sen eine erheb­li­che Ersparnis.

Vor allem aber tat Stol­berg etwas, was sei­ne sons­ti­gen Reeder-Kollegen immer nur for­dern, aber nicht auch bezah­len wol­len (zumin­dest nicht unsub­ven­tio­niert): Er inves­tier­te in see­män­ni­sche Aus­bil­dung und schuf die „Belu­ga Sea Aca­de­my“, für die er nicht nur auf eini­gen sei­ner Schif­fe spe­zi­el­le Lehr- und Wohn­ein­rich­tun­gen unter­hielt. Viel­mehr koope­rier­te er mit regio­na­len Hoch­schu­len und bezu­schuss­te zum Teil – beim Nautik-Fachbereich der Jade Hoch­schu­le in Els­fleth – deren Moder­ni­sie­rung und Aus­bau in Auf­se­hen erre­gen­dem Maße.

Nega­ti­ve Schlag­zei­len über Stol­berg gab es sel­ten, die folg­ten erst nach dem Aus für „Belu­ga“. So ent­hüll­te 2013 der Radio-Bremen-Reporter Rai­ner Kahrs Ver­stri­ckun­gen Stol­bergs in dubio­se Rüstungs- und Atom­ge­schäf­te: „Bau­tei­le für Atom­bom­ben für den liby­schen Dik­ta­tor Gad­da­fi, Pan­zer­lie­fe­run­gen trotz Waf­fen­em­bar­gos an das Mili­tär­re­gime in Myan­mar, Geschüt­ze für Krisen- und Kriegs­ge­bie­te in Afri­ka.“ Vie­le Fäden habe der Bun­des­nach­rich­ten­dienst (BND) gezo­gen, des­sen Infor­mant Stol­berg gewe­sen sei. Der Kahrs-Beitrag ist aktu­ell lei­der nicht über die ARD-Mediathek abruf­bar, ist aber hier bei You­Tube verfügbar.

Aber all dies ist nicht Gegen­stand des nun begin­nen­den Straf­pro­zes­ses. Aller­dings könn­ten sich im Lau­fe die­ses Ver­fah­rens etli­che der Stolberg’schen Wohl­ta­ten – die ab 2011 sämt­lich in den Stru­del der „Beluga“-Insolvenz gerie­ten – nach­träg­lich als Popanz zur Ver­schleie­rung zwei­fel­haf­ter Geschäf­te ent­pup­pen: Um sein rasan­tes Flot­ten­wachs­tum mit immer neu­en Bank­kre­di­ten finan­zie­ren zu kön­nen, soll Stol­berg laut Ankla­ge der Staats­an­walt­schaft sei­ne Bücher mit Schein­ge­schäf­ten und getricks­ten Ver­mö­gens­wer­ten auf­ge­hübscht haben. Als aber in der gro­ßen Schiff­fahrts­kri­se die Ban­ken auch nicht mehr mit­spiel­ten, ließ er sich 2010 von einer US-„Heuschrecke“, dem Finanz­in­ves­tor „Oakt­ree Capi­tal“, hel­fen. Der ließ sich die­se Unter­stüt­zung mit immer wei­te­ren Fir­men­an­tei­len „ver­gü­ten“ – bis er im März 2011 einer­seits die Macht hat­te, den Kon­zern zu über­neh­men, ande­rer­seits aber als­bald her­aus­fand, auf Luftnummern-Buchungen in den Bilan­zen her­ein­ge­fal­len zu sein. Über Nacht wur­de Stol­berg ent­mach­tet, buch­stäb­lich aus dem eige­nen Hau­se gejagt, Oakt­ree erstat­te­te Straf­an­zei­ge und zer­schlug den „Beluga“-Konzern in kür­zes­ter Zeit.

Aus­drück­lich weist das Bre­mer Land­ge­richt zu Pro­zess­be­ginn die Bild- und Film­be­richt­erstat­ter der Medi­en dar­auf hin, dass Stol­berg „schon lan­ge vor Beginn des … Straf­ver­fah­rens auf­grund sei­ner beruf­li­chen, aber auch außer­be­ruf­li­chen Tätig­keit … zur rela­ti­ven Per­son der Zeit­ge­schich­te gewor­den“ sei. Das zumin­dest hat in Bre­men ohne­hin nie­mand je bezwei­felt. Stol­berg selbst zeig­te sich nach Anga­ben des Bran­chen­fach­blatts „LT Mana­ger“ ange­sichts der Ter­min­set­zung für den Straf­pro­zess „zuver­sicht­lich und erleich­tert“. Es sei gut, dass die Zeit des War­tens vor­bei sei: „Vie­les wird sich im Zuge der Ver­hand­lung rela­ti­vie­ren, davon bin ich über­zeugt.“ Der Opti­mis­mus fußt mög­li­cher­wei­se auch auf der Tat­sa­che, dass Stol­berg – sie­he oben: eher geschickt als wohl­ge­sinnt – nach sei­nem Raus­wurf bei „Belu­ga“ und der nach­fol­gen­den Insol­venz weit schnel­ler wie­der bei­de Füße auf den Boden bekam als ver­mut­lich manch einer sei­ner ehe­ma­li­gen Beschäf­tig­ten: Laut „LT Mana­ger“ wur­de Niels Stol­berg schon weni­ge Mona­te nach dem ´„Beluga“-Crash von sei­ner Ehe­frau zum Geschäfts­füh­rer ihrer soeben gegrün­de­ten Con­sul­ting Agen­tur beru­fen. „Momen­tan“, zitiert das Blatt den Ex-Reeder, „arbei­te ich mit der Best Ship Con­sult GmbH (so heißt die neue Fir­ma) sehr inten­siv mit Pro­jekt­spe­di­teu­ren und Ree­dern zusam­men, … ers­te erfolg­rei­che Abschlüs­se spre­chen für sich. Per­sön­lich wer­de ich die­sen geschäft­li­chen Weg wei­ter­ge­hen und bin sehr zuver­sicht­lich, dass sich hier noch so Eini­ges bewe­gen lässt“. Und der Bre­mer „Weser-Kurier“ berich­tet aktu­ell, dass Stol­berg vor dem Hin­ter­grund sei­ner Pri­vat­in­sol­venz mit die­sen Tätig­kei­ten maxi­mal 3600 Euro im Monat ver­die­nen dür­fe – wie das wohl sei­ne Ex-Mitarbeiter empfinden?

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WATERKANT-Redaktion