Die Volksrepublik China hat ihre nächste Logistik-Offensive gestartet: Als Ergänzung zum transozeanischen Konzept der „Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts“ hat Beijing jetzt in einem „Arktisches Weißbuch“ die Vision einer „Polaren Seidenstraße“ entwickelt, um die Arktis künftig stärker als Schifffahrtsstraße zu nutzen.
Während Ruhrgebiets-Enthusiasten den Ausbau der Zugverbindung zwischen Duisburg und China als „zweiten Frühling“ für das ehemalige Kohlerevier feiern und mit „Pioniergeist“ von bevorstehendem Strukturwandel und neuen Arbeitsplätzen schwärmen, hat die Volksrepublik ebenso gelassen wie entschlossen ihre so genannte „Belt-and-Road-Initiative“ (BRI), zu der auch die „Maritime Seidenstraße“ zählt (siehe WATERKANT 4/2017), um eine Konzeption für die Nutzung der „Nordostpassage“ erweitert: Der Seeweg zwischen dem nördlichen Pazifik durch das einst für ewig gehaltene Eis an Sibirien vorbei nach Nordwesteuropa ist für die Schifffahrt ein uralter Traum. Vor knapp 140 Jahren gelang es dem schwedischen Polarforscher Nils Adolf Erik Nordenskiöld erstmals, diese damals noch gefährliche Reise zu absolvieren.
Hundert Jahre später war es zwar immer noch abenteuerlich, aber mit brachialer Maschinenkraft möglich, dass sowjetische Eisbrecher jährlich rund 1000 Frachtschiffen den Weg zwischen Leningrad und Wladiwostok freimachten. Um die Jahrtausendwende nahmen dann die Begehrlichkeiten nach einem schnellen West-Ost-Seeweg zu, der rapide Klimawandel machte es möglich. Kurz vor seiner spektakulären Insolvenz schickte 2009/2010 der „Beluga“-Reeder Niels Stolberg Schiffe seiner Flotte durch die zu dieser Zeit jährlich gut acht Wochen eisfreie Nordostpassage.
In seinem „Arktischen Weißbuch“ nimmt Beijing klaren Bezug auf die Folgen der zunehmenden Erderwärmung und verspricht, man werde Unternehmen und Staaten ermutigen und fördern, um entlang der Route Infrastruktur aufzubauen und kommerzielle Probefahrten zu unternehmen. Wortreich versuchte Chinas stellvertretender Außenminister Kong Xuanyou dabei Sorgen zu zerstreuen, das Konzept der „Polaren Seidenstraße“ könne irgend etwas zu tun haben mit Ressourcengier oder Missachtung von Umweltgefahren: Selbstverständlich werde man die Märkte für Öl, Gas und nicht-fossile Energien, für Bodenschätze, Fischerei oder Tourismus in der Region sorgfältig beobachten – aber dies geschehe „gemeinsam mit den Arktisstaaten“ und unter Respekt gegenüber den „Traditionen und Kulturen der Bewohner der Arktis, einschließlich der indigenen Völker, und den Belangen der natürlichen Umwelt“.
Die Zusicherung kommt nicht von ungefähr, es wird sich zeigen, wie glaubhaft sie ist. Nicht nur Russland, das bereits vor fünf Jahren eine eigene Administration für die maritime Nordroute gründete, auch andere nautische Großmächte schielen seit Jahren auf den mit Rückgang des Packeises zunehmenden Verkehr nicht nur auf dieser Strecke: Auch die Nordwestpassage von der Beringstraße durch US-amerikanische und kanadische Gewässer ist bekanntlich längst in den Fokus der Handelsschifffahrt und vor allem auch des Kreuzfahrttourismus gerückt. Mehr Verkehr bedeutet mehr Abgase und andere Emissionen, verursacht erhöhte nautische Risiken und Havariegefahr, bringt sensiblen Küsten und ihren angestammten Bewohnern mehr Frequentierung mit unnachhaltigen Folgen.
Andererseits ist die „Polare Seidenstraße“ ein Vorhaben, das Verständigung voraussetzt: Schiffsverkehr über die Nordostpassage ist undenkbar ohne die Zustimmung Russlands – egal, welche der derzeit noch umstrittenen Optionen zur Grenzregelung nach dem Seerechtsübereinkommen zum Tragen kommt. Im November vergangenen Jahres hatten Präsident Xi Jinping und Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew in Beijing schon Kooperation bei der Entwicklung der Nordostpassage vereinbart. Darüber hinaus aber setzt wirtschaftlich sinnvolle Nutzung dieser Verbindung auch eine Verständigung beider Staaten etwa mit Japan und beiden Koreas voraus, um unnötige Umwege zur beziehungsweise von der Bering-Straße zu vermeiden.
Nachtrag: siehe auch „junge Welt“ vom 1. Februar 2018