Schüler-Streik „for future“ – vor 50 Jahren

Von Früh­jahr bis Herbst 1969 hat an (west)deutscher Nord- und Ost­see ein damals und bis heu­te ein­zig­ar­ti­ger Aus­stand statt­ge­fun­den, der den Lehr­be­trieb an allen See­fahrt­schu­len ent­lang der Küs­ten qua­si lahm­leg­te – gewis­ser­ma­ßen ein Schü­ler­streik „for future“, der aktu­ell, quer durch alle „50-Jahre-Rückblick“-Erinnerungen, viel zu wenig beach­tet wird.   Am 23. Mai jenes Jah­res hat­te nach zuvor ver­ein­zel­ten Aktio­nen flä­chen­de­ckend an den See­fahrt­schu­len von Leer bis Lübeck ein unbe­fris­te­ter Aus­stand begon­nen, mit dem mehr als 1200 ange­hen­de Nau­ti­ker und Inge­nieu­re ihrer Ableh­nung einer geplan­ten neu­en Schiffs­be­set­zungs­ord­nung (SBO) Aus­druck ver­lei­hen und öffent­li­che Auf­merk­sam­keit schaf­fen woll­ten. Erst ab der vor­letz­ten Oktober-Woche erschie­nen die künf­ti­gen See­fah­rer wie­der zum Unter­richt, aller­dings immer noch unzu­frie­den und daher nur unter
Vor­be­halt und Pro­test, denn eine neue SBO ließ wei­ter auf sich warten.

Anlass des mehr­mo­na­ti­gen Aus­stands war ein vom Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um (BMV) – in Abstim­mung mit dem Ver­band Deut­scher Ree­der (VDR) – vor­ge­leg­ter Ent­wurf für eine Neu­fas­sung der (SBO) von 1931. Eigent­lich regel­te die­se SBO im Detail die „Beset­zung der Kauf­fahrt­ei­schif­fe mit Kapi­tä­nen und Schiffs­of­fi­zie­ren“, also letzt­lich, wie viel Per­so­nal mit wel­chen Qua­li­fi­ka­tio­nen zum Betrieb eines Han­dels­schif­fes erfor­der­lich sein soll­te. Aber das galt nur auf dem Papier, denn tat­säch­lich erteil­te das BMV nahe­zu belie­big Aus­nah­me­ge­neh­mi­gun­gen, mit denen es den Ree­de­rei­en ermög­licht wur­de, Schif­fe ohne aus­rei­chen­de Besat­zung – qua­li­ta­tiv und/oder zah­len­mä­ßig – aus­lau­fen zu las­sen, um Kos­ten zu spa­ren. Einem Bericht im Maga­zin SPIEGEL zufol­ge konn­ten damals selbst die Zustän­di­gen im Minis­te­ri­um auf Anfra­ge nicht ange­ben, wie vie­le sol­cher Aus­nah­men erteilt wor­den waren und wurden.

Eine neue SBO soll­te die­sen Zustand been­den – aller­dings nicht durch ein Stop­pen die­ser Aus­nah­men, son­dern durch deren Ver­ewi­gung. Gegen die­sen Ent­wurf gab es brei­ten Wider­stand nicht nur sei­tens der See­fahrt­schü­ler, son­dern teil­wei­se auch von Berufs­ver­bän­den und sogar – sehr ver­ein­zelt – von eini­gen Ree­dern. Sie alle kri­ti­sier­ten unter ande­rem die Sicher­heits­ri­si­ken der gän­gi­gen Pra­xis, die schon wie­der­holt wegen Unter­be­set­zung oder Min­der­qua­li­fi­zie­rung zu Pro­ble­men geführt hat­te und führ­te. Ohne hier in die Details zu gehen: Die neue SBO soll­te durch Neu­re­ge­lung der Anfor­de­run­gen an Schiffs­füh­rung und -besat­zung in Abhän­gig­keit unter ande­rem von Schiffs­grö­ße oder Fahrt­ge­biet eine „fle­xi­ble­re“ Beman­nung der Schif­fe erlau­ben. Das soll­te dazu bei­tra­gen, unter dem bekann­ten Unwort von der „inter­na­tio­na­len Wett­be­werbs­fä­hig­keit“ den Ree­de­rei­en erheb­li­che Ein­spa­run­gen bei den Per­so­nal­kos­ten – und so letzt­lich mas­si­ven Druck auf das Heu­er­ni­veau zu ermöglichen.

Tat­säch­lich wur­de erst 1970 die SBO von 1931 durch eine „Schiffsbesetzungs- und Aus­bil­dungs­ord­nung“ (SBAO) ersetzt, die den Ree­dern höhe­re Anfor­de­run­gen abver­lang­te; ein spä­ter, wenn­gleich unzu­rei­chen­der Erfolg des vor­jäh­ri­gen Aus­stands, des­sen For­de­run­gen sich nur teil­wei­se umge­setzt fan­den. Zugleich gelang es aber den damals zustän­di­gen Gewerk­schaf­ten ÖTV und DAG, deut­lich höhe­re Heu­er­ta­ri­fe durch­zu­set­zen. Bei­des – die ihnen unbe­que­me SBAO eben­so wie die höhe­ren Tari­fe – nutz­ten die Ree­de­rei­en in der Fol­ge­zeit als will­kom­me­nen Vor­wand, ihre Schif­fe aus­zu­flag­gen: Bis 1970 zähl­te die BRD-Handelsflotte aus­schließ­lich Schif­fe unter BRD-Flagge. Das änder­te sich nun rapi­de – und bis heu­te wer­den die Ree­der dabei von der Bun­des­re­gie­rung mas­siv unter­stützt und subventioniert.

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WATERKANT-Redaktion