Der Vorsitzende der Schifffahrtssektion der Internationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft (ITF), Dave Heindel, hat von den nationalen Regierungen mehr Verantwortungsbewusstsein für unter ihrer Flagge fahrende Schiffe verlangt. Heindel nimmt dabei Bezug auf aktuelle Schlagzeilen über Kreuzfahrtschiffe, die im Zuge der Corona-Pandemie entweder vorübergehend festgehalten werden oder Häfen nicht anlaufen dürfen. Insbesondere kritisierte er in diesem Zusammenhang das weltweit herrschende Billigflaggen-System.
Unter anderem verwies Heindel auf den Fall der „Diamond Princess“ – das derzeit unter britischer Flagge (zuvor Bermudas) fahrende, knapp 290 Meter lange Kreuzfahrtschiff für 2670 Passagiere hatte im Februar weltweit für Aufsehen gesorgt, als es wegen mehrerer hundert infizierter Passagiere wochenlang im japanischen Hafen Yokohama unter Quarantäne gestellt worden war. Es blieb einzelnen Staaten – wie Kanada, Australien oder Israel – überlassen, ihre jeweiligen Landsleute unter den Passagieren zurückzuholen. Weder der Flaggenstaat noch die Reederei – die zum marktbeherrschenden britisch-amerikanischen Carnival-Konzern gehörende Princess Cruises mit Sitz in Kalifornien – zeigten verantwortungsbewusstes Verhalten. Kein Einzelfall: Laut Heindel wurde jüngst der „Grand Princess“ derselben Reederei – ebenfalls 290 Meter lang, 2600 Passagiere – von kalifornischen Behörden ein Einlaufen verweigert, weil einige Passagiere und Besatzungsmitglieder positiv auf das Corona-Virus getestet worden waren. Dieses Schiff fährt unter der Billigflagge der Bermudas, aber auch der Flaggenstaat unternahm – nichts.
Deutlich warf Heindel in diesem Zusammenhang den Regierungen der atlantischen Inselstaaten der selbstständigen Bahamas und des britischen Überseegebiets der Bermudas vor, sich ihrer Verpflichtungen gegenüber Schiffen, Besatzungen und Passagieren zu entziehen. Als weiteres Beispiel nannte er die unter Bahamas-Flagge fahrenden „Braemar“ der norwegischen Reederei Fred Olsen Cruise Lines: Das mittelgroße Schiff – knapp 200 Meter lang – war vor kurzem mit aktuell 682 Passagieren und 381 Besatzungsmitgliedern an Bord, darunter fünf Corona-Infizierte, von mehreren karibischen Häfen abgewiesen worden. Erst Kuba erklärte sich Anfang dieser Woche hilfsbereit: Das vor Havanna liegende Schiff darf Crew und Passagiere von Bord lassen, wenn diese umgehend abgeholt werden – was bislang erst Großbritannien für seine Landsleute zugesagt hat.
Mangelhafte Sorgfaltspflicht von Flaggenstaaten zeigt auch ein Fall, den Heindel aus der britischen Tageszeitung „Guardian“ zitiert: Auf dem norwegischen Expeditions-Kreuzfahrer „Roald Amundsen“ sitzen mehr als 100 australische Ärzte und Mediziner fest, die möglicherweise zuhause dringend benötigt werden – das Schiff liegt vor Chile, dessen Regierung als Vorsorge gegen die Corona-Pandemie jegliches Andocken von Kreuzfahrtschiffen verboten hat.
Das aus der Handelsschifffahrt bekannte Billigflaggen-System ist bekanntlich auch in der Kreuzfahrtbranche weit verbreitet, obwohl es gegen das UN-Seerechtsübereinkommen verstößt, das eine „echte Verbindung“ zwischen Schiff und Flaggenstaat verlangt. Tatsächlich sind die diversen Billigflaggen – laut ITF weltweit derzeit 35 – über externe Kanzleien oder Büros zu haben, eine Antigua-Flagge bekommt man beispielsweise in Oldenburg.
Heindel fordert von den Flaggenstaaten, die Gesundheit von Seeleuten und Passagieren zu schützen und wirft ihnen Versagen vor. Nach internationalem Recht obliege ihnen die entsprechende Verantwortung, stattdessen bleibe es den Hafenstaaten, den nationalen Regierungen der Passagiere und der Besatzung oder sogar einem Drittland überlassen, sich um die Menschen an Bord pandemie-betroffener Schiffe zu kümmern. „Das ist einfach verrückt und nicht nachhaltig“, so der ITF-Mann drastisch: Wenn die Welt das Billigflaggen-System in seiner jetzigen Form weiterhin akzeptiere, müssten dessen Misserfolge klar benannt werden, „die Welt sollte besorgt sein über den Mangel an Politik und die Unfähigkeit der Flaggenstaaten“.