Corona macht’s (auch) Seeleuten schwer…

Die im Dun­keln sieht man nicht… – Auch wenn in Ber­tolt Brechts Mackie-Messer-Moritat von Schiff­fahrt nicht die Rede ist: Rund 1,2 Mil­lio­nen See­leu­te sor­gen – pla­ka­tiv for­mu­liert, im Dun­kel der Schiffs­bäu­che – auf mehr als 50.000 Han­dels­schif­fen für welt­wei­ten Waren­aus­tausch. Ihr Job ist hart, Arbeits­be­din­gun­gen und Bezah­lung las­sen oft zu wün­schen übrig, ins­be­son­de­re unter den auch bei deut­schen Ree­dern belieb­ten Bil­lig­flag­gen. Die Corona-Pandemie indes sorgt für teils schwer erträg­li­che Zuspitzung.

Die mas­si­ven Maß­nah­men zur Covid-19-Abwehr füh­ren dazu, dass an die 100.000 See­leu­te welt­weit in Häfen und auf Schif­fen fest­sit­zen, ohne Ablö­sung: Teils kom­men sie nicht von Bord, teils fin­den sie kei­nen Flie­ger, der sie zu ihren Fami­li­en nach Hau­se bringt, und die Ablö­sung kann nicht anrei­sen. Da die Ree­der auf­wän­di­ge­re Modi des Crew­wech­sels nicht bezah­len wol­len, müs­sen zig­tau­sen­de See­leu­te ohne Erho­lung mona­te­lang weiterfahren.

Es wäre ein Leich­tes, einen Mann­schafts­wech­sel zu orga­ni­sie­ren, wie er aktu­ell etwa beim Bun­des­wehr­ein­satz in Afgha­ni­stan üblich sein soll: 14-tägiger Qua­ran­tä­ne­zwi­schen­stopp in getrenn­ten Hotels für jeweils eine On- und eine Off-Besatzung; kos­tet natür­lich Geld – 2 x 14 x Crewstär­ke; aber das ist ver­mut­lich zu viel für die hoch­sub­ven­tio­nier­ten Ree­der. Statt­des­sen gibt’s ein biss­chen Inter­net und Sky­pe an Bord (manch­mal jeden­falls) und die maxi­ma­le Beschäf­ti­gungs­dau­er wird aus­ge­wei­tet – „tem­po­rär“, heißt es; ob und wann das wie­der zurück­ge­än­dert wird, bleibt abzu­war­ten… – Die Inter­na­tio­na­le Transportarbeiter-Föderation (ITF) kri­ti­sier­te jüngst die ein­sei­ti­gen Bemü­hun­gen ver­schie­de­ner Regie­run­gen, Kreuz­fahrt­pas­sa­gie­re zur Ent­las­tung der Tour­ver­an­stal­ter und Ree­der auf Kos­ten der Steu­er­zah­ler zurück­zu­ho­len: „Sea­fa­rers are not second-class citizens.“

Moder­ne Logis­tik ver­kürzt zwar dras­tisch die Lie­ge­zei­ten von Schif­fen in den Häfen, trotz­dem gibt es immer auch Ver­schnauf­pau­sen – Land­gang: Ein­kau­fen, was es an Bord nicht gibt; kurz­zei­ti­ge Ent­span­nung etwa in den See­manns­mis­sio­nen, wo mit der Fami­lie tele­fo­niert wer­den kann, was an Bord häu­fig nicht oder nur teu­er mög­lich ist. Aber die Covid-19-Abwehr zwingt See­manns­mis­sio­nen, ihren Betrieb vor­über­ge­hend ein­zu­stel­len; Hafen­ver­wal­tun­gen ver­weh­ren Landgangs-Erlaubnisse.

Dras­tisch ein­ge­schränkt wur­den die Landgangs-Möglichkeiten für See­leu­te bereits vor etli­chen Jah­ren, als auf Druck der USA nach den Anschlä­gen des 11. Sep­tem­ber ein welt­wei­tes Abschot­tungs­sys­tem der Han­dels­hä­fen ein­ge­führt wur­de: Der „Inter­na­tio­nal Ship and Port Faci­li­ty Secu­ri­ty Code“ (ISPS) ließ Zäu­ne rings um alle Häfen ent­ste­hen, bewirkt schar­fe und häu­fig ent­wür­di­gen­de Kon­trol­len aller, die pas­sie­ren wol­len oder müs­sen, hat in man­chen Häfen ras­sis­ti­sche Schi­ka­nen durch loka­les Wach­per­so­nal begüns­tigt und ins­ge­samt – so sei­ner­zeit der Ham­bur­ger See­mannspas­tor Jan Olt­manns in der Zeit­schrift WATERKANT – eine pau­scha­le ver­dachts­lo­se Kri­mi­na­li­sie­rung aller See­leu­te unter dem Eti­kett der Ter­ror­ab­wehr bewirkt. Bri­ti­sche Gewerk­schaf­ter pfle­gen die Abkür­zung ISPS zu über­set­zen mit „ins­a­ne stu­pid para­no­id shit“.

Covid-19 ver­schärft die­se Bewe­gungs­un­frei­heit, mit schwer wie­gen­den Fol­gen: Han­dels­schif­fe haben in der Regel kei­nen Arzt an Bord, Land­gang (sofern gestat­tet) bedeu­tet für See­leu­te immer auch die Mög­lich­keit, sich qua­li­fi­ziert medi­zi­nisch behan­deln zu las­sen. Abfin­dun­gen für all die­se Unbill erhal­ten die wenigs­ten See­leu­te, man­che Exper­ten befürch­ten bereits Sicher­heits­ri­si­ken im See­ver­kehr durch Stress, Über­mü­dung und Depres­si­on. Die Gewerk­schaf­ten sind im Alarmmodus.

Vor Ostern appel­lier­te die Fach­grup­pe Mari­ti­me Wirt­schaft der Gewerk­schaft ver.di an die Poli­tik, See­leu­ten einen beson­de­ren Sta­tus zuzu­er­ken­nen: Das soll grenz­über­schrei­ten­de Crew­wech­sel und Heim­rei­sen eben­so garan­tie­ren wie unein­ge­schränk­ten Land­gang – „unter Berück­sich­ti­gung all­ge­mei­ner Sicher­heits­stan­dards“ – und ärzt­li­che Ver­sor­gung in den Häfen. Zugleich mahn­te ver.di die Ree­der, ihren See­leu­ten kos­ten­lo­se Kom­mu­ni­ka­ti­on an Bord zu gewäh­ren und für ihren Schutz zu sorgen.

Nahe­zu zeit­gleich wand­te sich in Lon­don die ITF, der auch ver.di ange­hört, an die Regie­run­gen der G-20-Industrienationen – und zwar gemein­sam mit dem Ree­der­ver­band ICS (Inter­na­tio­nal Cham­ber of Ship­ping): See­leu­te stell­ten das „Lebens­eli­xier der Welt­wirt­schaft“ dar und garan­tier­ten gene­rell das Funk­tio­nie­ren kom­ple­xer Lie­fer­ket­ten, sie soll­ten daher als „Schlüs­sel­per­so­nal“ ein­ge­stuft wer­den. Eine glo­ba­le Stra­te­gie müs­se Crew­wech­sel, Ver­sor­gung, Kom­mu­ni­ka­ti­on und auch regel­kon­for­me Frei­zü­gig­keit in den Häfen gewähr­leis­ten. Zur schnel­len Umset­zung for­der­ten ITF und ICS sowohl natio­na­le Maß­nah­men als auch die Ein­rich­tung einer spe­zi­el­len G-20-Taskforce.

Füh­ren­de Schiffs­ma­na­ger, dar­un­ter auch deut­sche, for­dern eine welt­wei­te Rege­lung, um in Corona-Zeiten nicht nur schnel­len Crew­wech­sel, son­dern auch tech­ni­sche Hil­fe etwa bei Inspek­tio­nen zu gewähr­leis­ten. Die Fir­men, zu deren Haupt­ge­schäft die Beman­nung von Bil­lig­flag­gen­schif­fen gehört, ken­nen sich aus: Aktu­el­le Risi­ken für Gesund­heit und Rech­te der See­leu­te könn­ten die Lie­fer­ket­ten bedro­hen, heißt es. Auf See ticke eine Zeit­bom­be.(*) – Maya Schwiegershausen-Güth, Lei­te­rin des deut­schen ITF-Vertragsbüros bei ver.di, sag­te jüngst in einem SPIEGEL-Interview: „Das Gute am Virus ist, dass jetzt mal Licht auf die unter Deck fällt“. Damit man die im Dun­keln end­lich sieht…

(*) Update 20. April: Der aktu­el­le Fall des in Car­ta­ge­na ermor­de­ten Kapi­täns der „Spi­rit of Ham­burg“ der Bre­mer Ree­de­rei Zea­born kann als Indiz ange­se­hen wer­den für die­se War­nung: Wäh­rend Kolum­bi­ens Behör­den von einer Tat durch Besat­zungs­mit­glie­der aus­ge­hen, sieht Zea­born nur einen „gewalt­sa­men Zwi­schen­fall mit einem Eindringling“.

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WATERKANT-Redaktion