Die Corona-Pandemie fordert Menschenleben, ihr Management schränkt Freizügigkeit ein und gefährdet Bürgerrechte – aber sie hat auch globale Folgen auf den Meeren: Vom Schicksal der Seeleute war bereits die Rede, die Schifffahrt jedoch, deren reibungsloses Funktionieren diese Menschen gewährleisten, ist ebenso massiv betroffen – auch wenn nicht jedes Lobbyisten-Gejammer aufrichtig sein mag.
Während die Tankschifffahrt vor dem Hintergrund der Markt-Turbulenzen – niedrige Preise, starke Nachfrage – mit sich selbst beschäftigt ist, sieht sich die Mehrzweck- und Schwergutschifffahrt (MPP) „von Corona“ zunehmend betroffen und fürchtet laut Drewry eine anhaltende Wachstumsbremse: Zum einen schwächeln pandemiebedingt die Nachfragen nach Projektladungen, zum anderen hat der Sektor mit den Auswirkungen der Krise etwa bei Trockenmassengut- und Containerschifffahrt zu kämpfen, weil dort ungenutzter Schiffsraum auch auf den MPP-Markt drängt.
Hingegen stehen die internationalen Containerflotten nach Experten-Ansicht vor der schwersten Krise seit 2009: Damals seien fast 40 Prozent aller Containerschiffe vorübergehend beschäftigungslos gewesen. Aktuell wurden Schätzungen zufolge bei interkontinentalen Liniendiensten bislang mehr als 400 Fahrten abgesagt, davon allein rund 250 in den bisherigen dreieinhalb Wochen des zweiten Quartals. 385 Containerschiffe mit einer Kapazität von 2,2 Millionen TEU (twenty foot equivalent unit: Standardmaß für Container) sind laut Branchendienst HANSA momentan „aufgelegt“ – das sind knapp zehn Prozent der aktuellen weltweiten Kapazität.
Die aber wächst – Corona hin oder her – ungebrochen weiter: Die südkoreanische Linienreederei HMM (bis Ende März noch als „Hyundai Merchant Marine“ firmierend) stellt gerade das erste Schiff einer neuer Zwölfer-Serie von „Megamax-24“-Carriern in Dienst. Die „HMM Algeciras“ soll bei knapp 400 Metern Länge und einer Breite von 61 Metern die Boxen längs wie quer in je 24 Reihen stapeln können, so eine Kapazität von 23.964 TEU erreichen und damit die Weltspitze im Größenwettlauf übernehmen. Insgesamt hat HMM laut Statistik des Branchendienstes „Alphaliner“ knapp 407.000 TEU in Werft-Auftragsbüchern stehen; allein die zehn größten Reedereien (HMM rangiert auf Platz 9) kommen auf knapp zwei Millionen TEU Erweiterung. HMM gehört seit kurzem zum Konsortium „THE Alliance“, das Hapag-Lloyd mit Japans Reedereiverbund ONE (Ocean Network Express) sowie dem taiwanesischen Unternehmen Yang Ming bildet.
Es ist nicht zu verkennen, dass einigen diese Entwicklung vor dem Hintergrund der Pandemie Sorgen bereitet: Allein im ersten Halbjahr dieses Jahres, so Analysten des dänischen Unternehmens Sea-Intelligence, könne der internationale Containerhandel um bis zu 25 Prozent einbrechen. Das, so mutmaßen wiederum Experten des US-Portals „gCaptain“, zwinge angesichts des bevorstehenden Zuwachses immer größerer Schiffe zum verstärkten Verschrotten älterer Einheiten. Was die Frage aufwerfe, ob das nicht Änderungen der internationaler Handelsrouten erfordere, weil die Häfen der bisherigen von den zunehmenden Mega-Carriern nicht mehr hinreichend bedient werden könnten: „Wer profitiert davon – und wer nicht?“ Eine Frage, die nicht nur in den USA beschäftigt: Das maritime Magazin HANSA kommentierte die bevorstehende Jungfernfahrt der „HMM Algeciras“ unter anderem nach Hamburg mit den Worten: „Gut möglich, dass es … an der Elbe eine erneute Debatte um Hafenvertiefungen oder Größenbeschränkungen für Schiffe in Europa geben wird.“
Corona sorgt für Wirbel im maritimen Sektor. Frühzeitig, bereits im März, hatte der deutsche Reederverband VDR ins Jammerhorn getutet und unter anderem politische Hilfe gefordert bei pandemie-bedingten Problemen mit der Tilgung von Schiffskrediten. Auch Schiffsausrüster mahnten Unterstützung an, falls Covid-19 zu Problemen in den Häfen führe. Die Schweizer Großreederei MSC hat weltweit sechs Depots zur Zwischenlagerung von Containern eingerichtet – unter anderem in Bremerhaven –, um angesichts ausgedünnter Linienverbindungen Staus in den Häfen zu vermeiden und so Gebühren zu sparen. VDR und Verkehrsminister Andreas Scheuer verlangten in einem Schreiben an die EU-Kommission „koordinierte Maßnahmen zum Schutz von Schiffen und Gütern“. Und aus Sorge, die Brüsseler Administration könne ihnen während der Pandemie-Hektik irgend etwas Unliebsames überstülpen, appellierten Verbände und Lobbyisten der europäischen maritimen Wirtschaft an Kommissionspräsidentin Leyen, alle branchenbezogenen Beratungen für mehrere Monate zu stoppen, weil man derzeit nicht imstande sei, Konsultationen termingerecht zu verfolgen.
Aber unternehmerisches Jammern geht häufig einher mit sozialen Angriffen: Bereits Anfang April forderte der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) von der Politik unter anderem, die Senkung von Betriebskosten zu ermöglichen, etwa durch „Stundung“ der Lohnnebenkosten oder Übernahme von Lohnkosten für freiwillig freigestellte Mitarbeiter wegen Kinderbetreuung. Und passend zum andauernden Streit mit den Gewerkschaften ums Laschen verbreitete die Göteborger Hafenbehörde jüngst Überlegungen, die Corona-Pandemie mit ihren Kontaktsperren könnte durch Neuordnung der Arbeitsabläufe in den Häfen deren Digitalisierungsprozess beschleunigen – und menschliche Arbeitskraft durch Automatisierung und künstliche Intelligenz ersetzen.