Noch Ende Juni hatte sich Seniorchef Bernard Meyer via Youtube an die Mitarbeiter seiner Papenburger Werft gewandt: Mit teilweise brüchiger Stimme beschrieb er die „prekäre“ finanzielle Situation des auf das Kreuzfahrtgeschäft spezialisierten Unternehmens in Zeiten der Corona-Pandemie. Anfang dieser Woche nun haben Meyer sen. und sein Sohn Tim als Geschäftsführer den gesamten Betrieb in die Ferien geschickt – vorerst bis Ende August.
Die 225 Jahre alte Werft in Familienbesitz hat seit 1985 rund 50 Kreuzfahrtschiffe gebaut und abgeliefert, galt lange Zeit als Weltmarktführer auf diesem Gebiet. Das Größenwachstum der Schiffe – ironisch als „schwimmende Käfige für Massenpassagierhaltung“ bezeichnet – sorgt für ständig neue Probleme: Denn die an Papenburg vorbei fließende Ems ist für Neubauten dieser Ausmaße nicht geeignet. Aber dank bester Kontakte zur niedersächsischen Landespolitik und auch zum Bund bekam die Meyer Werft eine Flussvertiefung nach der anderen und schließlich sogar das Emssperrwerk bei Gandersum, natürlich auf Kosten der Steuerzahler.
„Die Meyer Werft bestimmt die Politik im Emsland, nicht die Regierung“, haben wir in der WATERKANT wiederholt geschrieben, denn der Ausbau des Flusses beeinträchtigt das geschützte Ems-Dollart-Ästuar und weitere Schutzzonen nach europäischem Recht, führt zur Verschlammung der Flussufer und lässt durch Sauerstoffmangel den Fischbestand schrumpfen. Trotzdem wurden Klagen immer wieder abgewiesen oder durch halbherzige Ausgleichsmaßnahmen abgefedert. Wird heute ein neuer Kreuzfahrtriese von Papenburg zur Nordsee überführt, wird der Fluss aufgestaut, werden Brückendurchfahrten und Schleusentore aufwändig geöffnet und es beginnt ein Millimeter-Manöver, das aber jedes Mal von der Werft als öffentliches Event – natürlich mit Kreuzfahrt-Werbung – inszeniert wird.
Politik, Gewerkschaften, Landkreise und Stadtverwaltungen ballten sich zum betonharten Schulterschluss zusammen, wann immer Kritik an der Werft aufkam – so auch, als vor sieben Jahren beim Brand in einer Massenunterkunft zwei rumänische Schiffbauer ums Leben kamen und ihr Tod die Praktiken der Meyer Werft im Umgang mit ihren Werkvertragsarbeitern in die Schlagzeilen brachte. Auch wenn sich seither unter öffentlichem Druck die Verhältnisse gebessert haben mögen, schrieb jüngst die IG-Metall-Zeitung: „Nur rund die Hälfte der derzeit fast 7000 Beschäftigten hier sind Stammbeschäftigte der Meyer Werft. Die übrigen kommen von Werkvertragsfirmen, viele aus Osteuropa, zu Billiglöhnen.“ Die übrigens bekommen jetzt die Folgen der Pandemie als erste zu spüren: „Die Stammbeschäftigten mit ihren langjährigen Erfahrungen stehen für den Erfolg der Werft“, zitiert „metall“ den Betriebsratsvorsitzenden Nico Bloem, „statt um Entlassungen muss es deshalb um Kurzarbeit mit Qualifizierungen und den Abbau von Fremdkapazitäten gehen.“
Obwohl das Familienunternehmen – das auch die Warnemünder Neptun- sowie eine Werft im finnischen Turku betreibt – 2015 seinen Firmensitz nach Luxemburg verlegt hat und noch nie irgendwelche Bilanzen oder Gewinne hat öffentlich machen müssen, geht auch aktuell die Politik von einer „bedrohlichen Situation“ der Werft aus: Im Mai traf Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) daher Geschäftsführung, IG Metall, Betriebsrat und Landkreisvertreter und sicherte Meyer als wichtigem Wirtschaftsfaktor der Region Unterstützung zu. Details wurden nicht genannt, jüngst betonte aber die Werft bei Mitteilung der sechswöchigen Schließung, man hoffe „weiter“ auf Hilfen des Bundes und des Landes Niedersachsen.
Update 27. Juli: Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) hat eine staatliche Beteiligung an der Meyer Werft zur Bewältigung der Pandemie-Folgen in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ) ebenso ausgeschlossen wie ein Verbot von Werkverträgen…
Ein fertiges Schiff wartet in Bremerhaven auf Ablieferung, an diesem Termin „hängt“ die Auszahlung von mehreren hundert Millionen Euro des Kaufpreises; ein Neubau verzögert sich wegen eines Brandschadens, Verhandlungen mit anderen Auftraggebern über Bauzeitstreckungen laufen noch. Mit Sicherheit „prekär“ ist nur die Lage der Beschäftigten, denn bis Jahresende ist Kurzarbeit vereinbart und die Urlaubsgeld-Auszahlung wurde verschoben.