Seit Monaten kritisieren sowohl die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) als globale Gewerkschaft als auch die Seemannsmissionen, dass die Besatzungen vieler Schiffe wegen der Corona-Pandemie „wie auf schwimmenden Gefängnissen“ festsitzen, weil ihre Ablösung nicht funktioniere. Jetzt ist einigen Crews der Kragen geplatzt: Auf mehreren Schiffen in australischen Häfen, eines davon ein deutsches, sind jüngst die Besatzungen in Streik getreten und weigern sich, weiterzufahren.
Weltweit sitzen Seeleute wegen lokaler Pandemie-Abwehr-Regeln ohne Ablösung in Häfen und auf Schiffen fest: Häfen und Grenzbehörden verhängen Sperren, Reeder wollen für eine „pandemie-gerechte“ Organisation des Crewwechsels – organisatorisch problemlos möglich – nicht bezahlen. Mitte Juli schätzte die ITF die Zahl der festsitzenden Seeleute weltweit auf mehrere Hunderttausend, warnte wiederholt vor schwerwiegenden Folgen für Sicherheit und Kontinuität des Seeverkehrs.
Ende Juli bereits hatte die Australian Maritime Safety Authority (AMSA) den unter Hongkong-Flagge fahrenden taiwanesischen Massengutfrachter „Unison Jasper“ mit einer Ladung Tonerde für eine Aluminiumhütte im ostaustralischen Newcastle festgesetzt: AMSA hatte nach ITF-Hinweisen ermittelt, dass Besatzungsmitglieder zu Vertragsverlängerungen gezwungen worden waren, die weit über das gesetzliche Maximum von elf Monaten hinaus reichten. Die ITF-Mitgliedsgewerkschaft Maritime Union of Australia (MUA) kritisierte aber zugleich die australische Regierung, die es monatelang versäumt habe, „inmitten einer globalen Krise Personalwechsel ordnungsgemäß zu regulieren“. Weil der Druck an Bord der „Unison Jasper“ nicht nachließ, mobilisierten MUA und ITF schließlich die Besatzung, per Streik ihre sofortige Ablösung zu verlangen. Laut ITF verliert die Aluminiumhütte durch die Verzögerung mehrere Millionen Dollar.
Ende vergangener Woche trat im südwestaustralischen Fremantle die Besatzung des deutschen Containerschiffs „Conti Stockholm“ in Streik. Die Mannschaft besteht aus rumänischen, chinesischen, srilankischen, philippinischen und polnischen Seeleuten, das Schiff fährt unter liberianischer Billigflagge und gehört der Niederelbe Schifffahrtsgesellschaft Buxtehude (NSB), auf deren Webseite sinngemäß nachzulesen ist: „Wir schätzen den Wert jedes Mitarbeiters“. Das Schiff liegt jetzt fest, die Besatzung verweigert die Weiterfahrt, NSB muss sich um Ablösung kümmern.
Ein dritter Fall ist der unter Billigflagge der Marshall-Inseln fahrende griechische Massengutfrachter „Ben Rinnes“, der Sojaprodukte für den umstrittenen Agrarkonzern Cargill transportiert: Im Hafen von Geelong nahe Melbourne forderten die Seeleute am gestrigen Freitag ihre sofortige Ablösung und Heimreise, weil sie aktuell zwischen 14 und 17 Monaten ununterbrochen an Bord sind.
ITF-Mann Dean Summers kündigte weitere Aktionen an, diese drei Fälle seien nur „die Spitze des Eisbergs“. Laut MUA sind mittlerweile auch Offshore-Öl- und Gasplattformen vor Westaustralien gezwungen, Ablösungen aus den USA oder Griechenland einzufliegen, weil staatliche Pandemie-Abwehr den üblichen Crewwechsel blockiere. MUA-Sekretär Paddy Crumlin verwahrte sich derweil gegen Kritik des Reederverbands Shipping Australia: Man lasse sich nicht von einer Branche belehren, „deren gesamtes Geschäftsmodell auf der Ausbeutung von Arbeitnehmern und der Vermeidung australischer Steuern und Vorschriften durch den Einsatz von Billigflaggenschiffen beruht“.