Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) pfeift – und das Bundeswirtschaftsministerium pariert: Bei einem Treffen von Verbands- und Behördenvertretern ist laut „Handelsblatt“ heute vereinbart worden, die Errichtung einer Startplattform für satellitenbefördernde Raketen in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Nordsee zu prüfen – das wäre ein weiterer folgenschwerer Schritt zur unaufhaltsamen Industrialisierung des Meeres.
Anfang Juli, mitten in der durch Pandemie und Urlaubssaison aufmerksamkeitsarmen Sommerzeit, hatte die BDI-Abteilung „Sicherheit und Rohstoffe“ eine Machbarkeitsstudie vorgelegt, in der ein „deutscher Startplatz für kleine Trägerraketen“ im nordwestlichen Zipfel der AWZ (im so genannten „Entenschnabel“) vorgeschlagen wird. Eine solche Offshore-Plattform in der Nordsee sei „für den Start von kleinen Trägerraketen in polare Umlaufbahnen und sonnensynchrone Orbits gut geeignet“, weil „hierfür … keine Landflächen oder Ansiedlungen überflogen werden müssten“.
Großspurig wird das Vorhaben sowohl vom BDI als auch medial als deutscher „Weltraumbahnhof“ bezeichnet und gefeiert – aber vielleicht träumen die Autoren der Studie ja über „kleine Raketen“ hinaus von Nordseestarts zu fernen Sonnensystemen :-)). Ironie beiseite: Beworben und begründet wird das Projekt unter anderem von BDI-Vorstandsmitglied Marco Fuchs – das ist keine wirkliche Überraschung, denn Fuchs ist seit rund 20 Jahren Vorstandsvorsitzender des Bremer Raumfahrtunternehmens OHB (und Sohn der beiden Firmengründer Christa und Manfred Fuchs).
„Raumfahrt wird zukünftig eine weitaus größere Rolle spielen“, jubiliert der BDI in der Studie, das „Rennen um Technologie-Transfers, Weltraumbahnhöfe und Missionen“ sei neu entbrannt. Begründung: Zukunftstechnologien wie autonomes Fahren und Industrie 4.0 basierten auf Innovationen, die im Weltall verankert oder für die Raumfahrt entwickelt wurden.“ Nicht eine Sekunde wird hinterfragt, ob die Menschheit diese und ähnliche Technik künftig eigentlich BRAUCHT – oder vielleicht besser nicht…
Militärische Phantasien
Die Erde (Kontinente ebenso wie Meere) untertan zu machen für den Profit – darum geht’s, oder? Ach, nee, „tschuldigung, es geht ja um Klimaschutz! Dieser an sich überlebensnotwendige Begriff ist ebenso wie „Nachhaltigkeit“ längst zu einem bar jeder Sachdefinition verwendbaren Kampfbegriff mutiert worden. „Wettervorhersagen und Klimabeobachtungen sind ohne Satelliten nicht mehr denkbar“, meint der BDI unter anderem. Das genügt noch nicht? – Kein Problem: Die Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag hätten ja auch die „steigende militärische Bedeutung des Weltalls“ erkannt, liefert die Studie weitere „Gründe“. Die verteidigungspolitischen Sprecher von CDU/CSU und SPD hätten schließlich schon in der letztjährigen Haushaltsdebatte das Verteidigungsministerium aufgefordert, „Fähigkeiten [zu] entwickeln, schnell und verzugslos Zugang zum All zu erlangen“ – die Bundeswehr, so die Schlussfolgerung, „wäre somit einer der größten staatlichen Profiteure eines deutschen Weltraumbahnhofs“. – Ach, ja: Verantwortlich für die Studie im Auftrag des BDI ist das Hamburger Beratungsunternehmen Griephan, das laut eigener Darstellung „seit über 50 Jahren … Informationskompetenz zum Geschäftsfeld der gesamtstaatlichen Sicherheit & Verteidigung“ bereitstellt!
Übrigens: In der gesamten Studie wird nicht ein einziges Mal erwähnt oder gar hinterfragt, was derartige Startplattformen – ob mobil oder festinstalliert – für den Meeresnaturschutz bedeuten. BDI und Griephan genügt der oben zitierte Hinweis („gut geeignet“), um das Vorhaben fokussiert aufs eigene Interesse zu befürworten. In einer Grafik ist angedeutet, dass die Starts wohl am ehesten vom nordwestlichen Zipfel der deutschen AWZ („Entenschnabel“) erfolgen könnten. Weder weitergehende Risiken – sowohl durch Normalbetrieb als auch und erst recht bei Unfällen oder Fehlstarts – noch Begleit- oder Folgeerscheinungen werden problematisiert, konkurrierende Meeresnutzungen wie beispielsweise Schifffahrt, Fischerei, Öl- und Gasförderung (solange es sie noch gibt) oder Offshore-Windkraft bleiben ebenfalls unberücksichtigt. Motto: Erst einmal kräftig Lärm schlagen – und darauf setzen, dass etwas „hängen“ bleibt…
Nicht nur der Meeresumweltschutz wird wachsam sein müssen, denn dass hinter dem BDI eine starke Lobby steht, ist hinlänglich bekannt.