Lange erwartet und doch überraschend: Unmittelbar vor Weihnachten bestätigte Deutschlands größte Reederei Hapag-Lloyd, man habe bei der südkoreanischen Daewoo-Werft sechs Großcontainerschiffe mit einer Kapazität von je 23.500 TEU geordert. Damit steigt nun auch der teilstaatliche Hamburger Konzern ein in den Wettlauf der Containerbranche, wer denn den oder die Größten habe…
Seit Monaten war in der Branche spekuliert worden, wann der global fünftgrößte Container-Linienreeder denn dem Trend seiner Weltmarktkonkurrenten folgen werde, die eigene Flotte zu modernisieren und dabei pro Schiff deutlich über die 20.000-TEU-Kapazitätsgrenze zu springen. Seit langem hatten Hapag-Lloyd-Manager immer wieder Aufsehen erregt, wenn sie laut die anhaltende Größenentwicklung der Blechboxen-Carrier kritisierten. 1995 war es etwa Vorstandsmitglied Claus-Peter Kulenkampff-Bödecker, der auf einem Logistikkongress in Bremerhaven vor der „Gigantomanie“ damals geplanter 8000-TEU-Schiffe (!) warnte; und bis vor kurzem hat der amtierende Vorstandschef Habben Jansen wiederholt „den ökonomischen Sinn von Schiffen jenseits der 20.000 TEU“ bestritten.
Tatsache ist, dass Hapag-Lloyd bislang Schiffe mit einer Kapazität von nur etwas mehr als 13.000 TEU fährt; 26 Einheiten zwischen 13.000 und knapp 20.000 TEU kamen 2017 bei Übernahme der arabischen UASC hinzu. Blickt man indes auf die führenden Containerreedereien, so haben alle maßgeblichen Wettbewerber der Hamburger – von den vier Vorplatzierten (Maersk, MSC, COSCO, CMA CGM) bis zu den asiatischen „Verfolgern“ (ONE, Evergreen, HMM, Yang Ming) – in der jüngeren Vergangenheit neue „Ultra Large Container Vessels“ (ULCV) in Dienst gestellt oder in Auftrag gegeben. Und alles schaute gebannt an die Elbe…
Nun folgt auch Hapag-Lloyd dem Trend, nicht nur in Größe, sondern auch in moderne Technik zu investieren: Die bestellten Neubauten sollen dank eines so genannten Dual-Fuel-Antriebs herkömmlichen Schiffsdiesel ebenso fahren können wie das derzeit als angeblich umweltfreundlich gehypte Flüssigerdgas (LNG). Diese Modernisierung reduziere sowohl die Transportkosten als auch die Umweltbelastung, zitiert Hapag-Lloyds Pressemitteilung einen scheinbar geläuterten Jansen.
Die Debatte über Sinn oder Unsinn dieser Mega-Carrier, die ganz überwiegend im interkontinentalen Verkehr eingesetzt werden, wird zwischen Branche, Forschung und Umweltschutz seit langem und teilweise heftig geführt. Die betriebswirtschaftliche Seite spielt dabei ebenso eine Rolle wie der Streit etwa um Fahrwasser-Vertiefungen oder die Auswirkungen auf Transportketten: Welche Folgen hat es für die Zu- und Ablaufverkehre zentraler Häfen, wenn Riesenschiffe sie nicht (mehr) anlaufen können?
Die Pandemie hat die Schifffahrt getroffen, kein Zweifel: Reedereien wie Häfen erlebten im Frühjahr und Sommer dieses Jahres teilweise heftige Einbußen. Aber während aktuell – nach jüngsten Angaben der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) – noch immer Zigtausende von Seeleuten von den Corona-Problemen beim Crew-Wechsel betroffen sind, signalisieren zum Jahresende Reedereien wie Häfen neuen Aufschwung. So schrieb Anfang Dezember das maritime Online-Portal HANSA, die durchschnittliche operative Marge der wichtigsten Containerreedereien habe „sich im dritten Quartal 2020 auf ein Zehnjahreshoch“ verbessert: Die Sortierung zwischen Pandemie-Verlierern und -Gewinnern ist also eindeutig.
Während die Schiffsmärkte corona-bedingt anfangs heftig trudelten – zeitweise stillgelegte, vorzeitig abgewrackte oder massenhaft verkaufte Schiffe –, meldete HANSA jüngst Kapazitätsengpässe bei Liniendiensten und in Häfen mit der Folge, dass die Frachtraten ein Rekordniveau anstrebten. Dazu passt das „Elefantenrennen“ um immer größere Schiffe: Zwischen Ende Januar und Ende Dezember nahm laut Branchenportal „alphaliner“ die Zahl der Containerschiffe weltweit nur um elf Einheiten zu – ihre Gesamtkapazität aber wuchs um mehr als 531.000 TEU. Und 157 Schiffe mit weiteren 1,715 Millionen TEU haben allein die führenden Neun derzeit noch geordert.
Eine ähnliche Version dieses Textes ist am 31. Dezember 2020 auch in der Tageszeitung „junge Welt“ erschienen.