Mit deutlichen Worten hatte die in Genf ansässige Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen vor Weihnachten die Staaten und ihre Regierungen scharf gerügt für ihr während der Corona-Pandemie gezeigtes Verhalten gegenüber den Seeleuten der Handelsschifffahrt und der Fischerei. Die globale Transportarbeitergewerkschaft ITF hat dies jüngst in einer Erklärung publik gemacht.
Wie mehrfach berichtet, müssen weltweit hunderttausende Seeleute vertragswidrig lange arbeiten sowie auf Urlaub, Heimreise, Landgänge oder medizinische Versorgung ganz oder teilweise verzichten: Wegen der Covid-19-Pandemie blockieren etliche Staaten fällige Mannschaftswechsel, ordnen Gesundheits- oder Grenzschutzbehörden unzumutbare Hürden an. Und obwohl dieses Problem seit Monaten weltweit Aufsehen erregt, ist eine durchgreifende Änderung bislang nicht in Sicht. Etliche Appelle, Seeleute wegen ihres unermüdlichen Einsatzes für globale Versorgungssicherheit als „systemrelevant“ einzustufen und ihre Lage zu verbessern, werden nur punktuell berücksichtigt.
Der Verwaltungsrat der ILO rügt diese Situation als einen Verstoß gegen das so genannte Seearbeitsübereinkommen: Anfang 2006 hatten die Mitgliedsstaaten der ILO nach zähem Ringen die „Maritime Labour Convention“ (MLC) beschlossen als Beitrag zum Versuch, menschenwürdige Arbeit und faire Globalisierung auf See zu gewährleisten. Das Abkommen enthält detaillierte Regelungen über Arbeitszeiten, Arbeitsbedingungen, Vermittlung und Bezahlung, Arbeits- und Gesundheitsschutz oder auch über Urlaubs- und Heimreiseansprüche. 2013 ist dieses Abkommen in Kraft getreten (in Deutschland 2014), bis heute haben es knapp 100 Staaten ratifiziert, die zusammen rund 90 Prozent der Welthandelstonnage repräsentieren. Die ITF bezeichnet die MLC zwar als „Grundrechts-Charta für Seeleute“, beklagt aber immer wieder auch, dass wesentliche Bestimmungen von Reedern und Schiffseignern nicht eingehalten würden.
Die ILO-Resolution stellt nun in aller Deutlichkeit fest, dass die Regierungen mit den von ihnen zu verantwortenden Hürden für reibungslosen Mannschaftsaustausch während der Covid-19-Pandemie „ihre völkerrechtliche Fürsorgepflicht gegenüber Seeleuten nicht erfüllt“ hätten. Gerade in Krisenzeiten wie jetzt sei die Schutzfunktion der MLC von elementarer Bedeutung, die Vertragsstaaten hätten die Pflicht, Seeleute „unverzüglich“ als Schlüsselarbeiter anzuerkennen und die in der MLC festgelegten Mindeststandards für den Schutz ihrer Rechte – namentlich Zugang zur Gesundheitsversorgung, Rückführung, Jahresurlaub und Landurlaub – zu gewährleisten. ITF-Generalsekretär Stephen Cotton unterstrich in einer Stellungnahme zur ILO-Resolution, es sei „sowohl rechtlich als auch moralisch falsch“, wenn Länder weiterhin erwarteten, dass Seeleute, die die Welt mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und lebenswichtigen Gütern versorgen, unzumutbar lange arbeiten müssten und ihnen gleichzeitig ihre Grundrechte als Arbeitnehmer und Menschen entzogen würden.