Die maritime Wirtschaft macht Druck: Ein „Offshore-Testzentrum“ soll unter „anwendungsnahen Bedingungen“ neue Meerestechnik entwickeln und erproben und so die umfassende Industrialisierung der Nordsee (wie auch anderer Meere) vorantreiben. Der Lobby-Verein „Deutsches Maritimes Zentrum“ (DMZ) hat dazu eine Studie in Auftrag gegeben, die heute veröffentlicht wurde.
Das DMZ wurde 2017 gegründet, dem Verein gehören neben der Bundesregierung und den fünf Küstenländern diverse Branchenverbände – Reeder, Seehafenbetriebe, Schiffbauer und andere – an. Die politischen Mitglieder sind ausschließlich durch ihre Ressorts für Verkehr, Wirtschaft oder Häfen vertreten, Umwelt- oder Klimaschutzressorts fehlen ebenso wie sonstige zivilgesellschaftliche Strukturen. Für die ersten Jahre gab es Aufbau-Förderung „aus dem Etat des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI)“, in den kommenden Jahren soll sich der Verein – neben weiterer BMVI-Förderung – auch aus Beiträgen der Mitglieder finanzieren. Geschäftsführer des DMZ ist übrigens Claus Brandt, der bis Mitte 2020 das Maritime Kompetenzzentrum der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers (PwC) geleitet hatte und dort für die jährlichen „Reederstudien“ verantwortlich zeichnete.
Der Titel der aktuellen Studie liest sich programmatisch: „Markt- und Potenzialanalyse für ein Offshore-Testzentrum in der Nordsee zur Erprobung innovativer Technologien der Meerestechnik unter anwendungsnahen Bedingungen“. Ziel ist es, „Vorteile für die gesamte deutsche maritime Branche“ zu generieren. Neben der Offshore-Windindustrie – „die gerade für Deutschland eine zentrale Bedeutung hat“ – werden weitere Anwendungsbereiche wie „Offshore-Gas, Deepsea-Mining oder Aqua-Farming und Meeresforschung“ genannt. Zumindest das Stichwort Tiefseebergbau macht deutlich, dass es nicht nur um die Nordsee geht, die Ressourcengier der deutschen maritimen Wirtschaft ist nichts weniger als global.
Erstellt hat die Studie das schweizerisch-deutsche Beratungsunternehmen PROGNOS. Von „innovativen Technologien“ schwärmen die Gutachter, um die „Wettbewerbsfähigkeit … des deutschen maritimen Standortes zu erhöhen“. Es herrsche „international ein hoher Wettbewerbsdruck“, viele Anwendungsfelder für Meerestechnik hätten „eine positive Wachstumsperspektive“.
Es mutet makaber an, dass diese Untersuchung gerade jetzt vorgestellt wird: Erst vor wenigen Wochen – Ende November vergangenen Jahres – hatte der Europäische Rechnungshof, der sich selbst als „Hüter der EU-Finanzen“ bezeichnet, in einem so genannten Sonderbericht scharfe Kritik am Meeresumweltschutz der Europäischen Union formuliert. „Der Verlust der biologischen Vielfalt der Meere und der Meereslebensräume stellt eine ständige Bedrohung für die Meere Europas dar“, lautete damals das Fazit der Rechnungsprüfer. Zwar setze des EU-Recht einen Rahmen für den Schutz der Meeresumwelt, doch hapere es an dessen Umsetzung. Weder sei bislang ein „guter Umweltzustand“ der Meere erreicht worden, wie es die einschlägige Rahmenrichtlinie eigentlich für 2020 vorgeschrieben hatte; noch sei die Fischerei in allen europäischen Meeren „auf ein nachhaltiges Maß“ gebracht worden. Obwohl der Bericht seinen Schwerpunkt sachlich auf die Fischerei und räumlich auf das Mittelmeer setzt, werden seine Aussagen als grundsätzlich bezeichnet, gelten also genauso auch für andere EU-Meere wie zum Beispiel die Nordsee.
Vor diesem Hintergrund dürfte eine Studie wie die von PROGNOS – intensivierte Nutzung und Ausbeutung von Meeresressourcen mittels technischer Anwendungen – auf den Meeresumweltschutz wie eine Kampfansage wirken. Zwar betont die DMZ-Untersuchung den Aspekt der so genannten Nachhaltigkeit, allerdings im Kontext mit dem von der EU-Komission beschlossenen „Green Deal“, was bekanntlich nur Schönfärberei für wachstumsorientierten „grünen“ Kapitalismus ist. Dazu passt, dass Mitte Dezember in Bremen die „German Offshore Spaceport Alliance GmbH“ (GOSA) gegründet worden ist, um den Plan einer Satellitenstartbasis in der Nordsee zu realisieren. Dazu passt auch, dass die Offshore-Wind-Kapazität in Nord- und Ostsee von derzeit 7,8 auf 40 Gigawatt bis 2040 ausgebaut werden soll. Ein Installationsschiff für Rotoren von 270 Metern Höhe und mit Flügeln bis zu 120 Metern Länge entsteht bereits.