Die Schweizer Reederei Mediterranean Shipping Company (MSC), nach dem dänischen Marktführer Maersk zweitgrößte Containerreederei der Welt, hat anlässlich der jüngsten Suez-Blockade ihre Absage an arktische Schifffahrtsrouten bekräftigt: Eine Suche nach neuen Navigationsrouten als Alternative zum Suez-Weg, so das für Meerespolitik zuständige Vorstandsmitglied Bud Darr in einer aktuellen Pressemitteilung, klinge wie „der ignorante Ehrgeiz eines Forschers aus dem 18. Jahrhundert“.
Die tagelange Blockade des Suez-Kanals kurz vor den Osterfeiertagen und die mutmaßlich noch Wochen anhaltenden Folgeprobleme des dabei entstandenen Staus – knapp 400 Schiffe hatten beidseitig der Kanalzufahrten warten müssen – haben die Debatte um das Wie und Wo des globalen Seetransports neu aufgemischt. Die Alternative einer Umfahrung Afrikas ist im Ost-West-Handel äußerst aufwändig, prompt haben einige Kreise die deutlich kürzere Arktis-Route wieder ins Gespräch gebracht. Grund genug für MSC, nachdrücklich eine Position zu bestärken, zu der die Reederei sich bereits Ende 2019 verpflichtet hatte:
Damals war von der in den USA beheimateten Meeresschutzorganisation „Ocean Conservancy“ gemeinsam mit mehreren Mode- und Sportartikel-Herstellern – unter anderem Nike, Puma, H&M, Ralph Lauren – eine Initiative gestartet worden, in der Produzenten und Logistiker sich verpflichteten, auf Transporte durch arktische Gewässer zu verzichten. Das „Arctic Corporate Shipping Pledge“ hatten seinerzeit auch mehrere große Reedereien unterzeichnet, neben MSC der französische Konzern CMA CGM, die teilstaatliche Hamburger Hapag-Lloyd sowie die – aus den jüngsten Schlagzeilen bekannte – taiwanesische Evergreen. Auch der deutsche Logistik-Konzern Kühne & Nagel ist mit dabei.
Die Selbstverpflichtung beinhaltet den Verzicht auf jedwede Handelsschifffahrt durch arktische Gewässer aus Gründen des Umwelt- und vor allem des Klimaschutzes. Schiffsverkehr, so die Argumentation, würde Rußemissionen verstärken und Luftqualität beeinträchtigen und so den Rückgang arktischen Meereises beschleunigen. Hinzu kämen mögliche Havarien oder Ladungs- und Treibstoffverluste, die das ökologische Gleichgewicht oder die biologische Vielfalt des sensiblen arktischen Meeres gefährden könnten. Diese Risiken, unterstreicht die aktuelle Stellungnahme von MSC, wögen schwerer als die kommerziellen Vorteile einer Abkürzung für die Schifffahrt zwischen Nordamerika, Europa, Ostrussland oder Asien.
MSC sieht gesamte Branche gefordert
Dies sei, wird Vorstandsvorsitzender Søren Toft zitiert, „eine Position, die die gesamte Schifffahrtsbranche einnehmen muss“. Die Ausbeutung der arktischen Route bedeute „einen ungerechtfertigten Schritt in die falsche Richtung“, das dürfe in der aktuellen Debatte über die Auswirkungen von Covid-Pandemie oder Blockade des Suez-Kanals auf die Lieferketten nicht übersehen werden. Hapag-Lloyds Nachhaltigkeitsexperte Jörg Erdmann formuliert deutlich: Solange es keine Garantie gebe, dass die arktischen Passagen ohne negative Auswirkungen auf die Umwelt befahren werden könnten, komme ihre Verwendung für Hapag-Lloyd nicht in Frage.
Unklar ist die Haltung der Großreederei Maersk: Die Dänen hatten bereits ab 2018 erste Schiffe über die Nordostpassage verkehren lassen und zählten 2019 nicht zu den Erstunterzeichnern des „Arctic Corporate Shipping Pledge“. Zwar meldet aktuell das maritime Portal HANSA, Maersk gehöre mittlerweile zu den Unterstützern, eine Bestätigung gibt es dafür aber bisher nicht. Skurril wirkt die Tatsache, dass der heutige MSC-Chef Søren Toft einst als Vorstandsmitglied bei Maersk zurückgetreten war just nach Start der Arctic-Pledge-Initiative – ein Zusammenhang ist aber nie berichtet worden.
Definitiv nicht zu den Befürwortern der arktis-schützenden Selbstverpflichtung zu rechnen sind Russland und China: Moskau streitet seit langem mit der UNO, weil sein seerechtlich begründeter Anspruch auf eine 350 Seemeilen weit reichende Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) bislang nicht anerkannt wird. Parallel nutzen die Russen die zunehmend eisfreieren Gewässer weniger für komplette Passagen als für Transshipment-Verkehre zwischen oder von eigenen Häfen entlang der Nordküste. China ist als Nichtanrainer der Arktis in einer anderen Lage, hat aber mit seinem „Arktischen Weißbuch“ schon vor Jahren dezidierte Ansprüche angemeldet. Ob die mit Russland gemeinsam umgesetzt werden können oder wegen des 350-Meilen-Anspruchs in Konkurrenz, wird sich zeigen. Fest steht nur, dass beider Pläne unter Druck stehen seitens der UN-Schifffahrtsorganisation, die ein Verbot klimaschädlicher Treibstoffe in arktischen Gewässern vorbereitet. Umweltorganisationen mahnen aber schärfere Regeln an als derzeit geplant.
Nachtrag: Dieser Beitrag erscheint in ähnlicher Form auch in der Tageszeitung „junge Welt“.