Die heute von Amts wegen erteilte Teil-Freigabe der Elbvertiefung ist nach Auffassung der Hamburger Umweltverbände, die im Bündnis „Lebendige Tideelbe“ zusammengeschlossen sind, nichts anderes als ein „verkappter Verzweiflungsakt, der gesichtswahrend als Erfolg gefeiert wird“.
Es sei, schreibt das Bündnis in einer gemeinsamen Pressemitteilung, der Hamburg Port Authority (HPA) als lokaler Hafenbehörde und der Bundeswasserstraßenverwaltung (GWDS) „nicht gelungen, die komplette Fahrrinnentiefe herzustellen“. Ursache dafür seien „massive Schwierigkeiten insbesondere im Hamburger Hafen, mit dem hohen Sedimenteintrag fertig zu werden.“ Weil der Ausbau des Flussbetts den Sedimenttransport nachhaltig negativ verändert habe, werde es auch in Zukunft nicht möglich sein, „die planfestgestellten Fahrwassertiefen im Hamburger Hafen dauerhaft aufrechtzuerhalten“. Bereits jetzt, so das Bündnis weiter, bestätigten sich Befürchtungen, dass durch den Ausbau „sehr viel mehr Sediment“ die Elbe stromauf transportiert werde als vorher berechnet; die Unterhaltungsbaggerungen und damit die stetigen Eingriffe in das sensible Ökosystem Tideelbe würden daher deutlich zunehmen.
Die Behörden feierten das „Ereignis“ der Teil-Freigabe mit dem Einlaufen des 400 Meter langen und 62 Meter breiten Containerschiffs „Jacques Saadé“ der französischen Reederei CMA CGM mit einer Ladekapazität von 23.112 TEU. Dabei zeigt allein schon diese Verknüpfung eines einlaufenden Megacarriers mit dem Freigabe-Akt die Idiotie der Elbvertiefung: Möglich wären nach der ebenso umstrittenen wie folgenschweren Ausbaggerung Tiefgänge von 14,5 Metern bei Einlaufen mit Flut und auslaufend maximal 13,1 Meter. Obwohl aber das Schiff einen maximalen Tiefgang von bis zu 16 Metern hat, erreichte es den Hamburger Hafen mit lediglich 13,4 Metern – ein durchaus typischer Wert, denn Megacarrier wie die „Jacques Saadé“ erreichen auf ihren Interkontinental-Routen Häfen wie Hamburg niemals mit voller Abladung, haben sie doch auf ihrem Weg zum Beispiel von Fernost zuvor immer schon europäische Häfen im Mittelmeer, im Ärmelkanal oder an der westlichen Nordsee angelaufen und dort Teile ihrer Ladung gelöscht.
Insofern ist es schlichter Blödsinn, wenn HPA-Chef Jens Meier heute großspurig verkündete, der Hamburger Hafen habe „heute zusammen mit der Reederei und Logistikgruppe CMA CGM Geschichte geschrieben“, denn man habe „jetzt die besten Voraussetzungen, die größten Containerschiffe der Welt zu empfangen“. Mag sein, dass der durch die Vertiefung erreichte zusätzliche Tiefgang (90 Zentimeter!) der einen oder anderen Reederei einen kleinen Vorteil bringt, weil sie ein paar hundert Container „Ziel Hamburg“ mehr pro Fahrt einplanen kann – ob das aber die Kosten der Elbvertiefung rechtfertigt, darf bezweifelt werden: Amtlichen Angaben zufolge kostet die Maßnahme um die 800 Millionen Euro Steuergeld, andere Quellen – wie das Bündnis – gehen von deutlich mehr als einer Milliarde Euro aus. Hinzu kommen die jährlichen Kosten für die Unterhaltung und Freihaltung der Fahrrinne und des Hafens, die aktuell von 70-80 Millionen Euro in Planungszeiten auf derzeit rund 150 Millionen Euro gestiegen sind und mit Sicherheit in den kommenden Jahren weiter zunehmen werden. Das Bündnis „Lebendige Tideelbe“ schreibt dazu: „Zweifelhafter Nutzen, dauerhafte Mehrkosten und der Verlust wertvoller Naturräume sind eine katastrophale Bilanz für das umstrittene Großprojekt. Die Elbvertiefung stellt sich mit Blick auf die absehbare Umschlagsentwicklung des Hamburger Hafens als unverantwortlich heraus.“
Dies gilt um so mehr, als die Prognosen, mit denen Politik und Hafenwirtschaft die teure neunte Elbvertiefung zu begründen und zu rechtfertigen versucht hatten, niemals eingetroffen sind – und auch in nächster Zukunft nicht mehr nachträglich eintreffen werden. Zehn Jahre ist es jetzt her, dass HPA im „Hafenentwicklungsplan 2015“ das Ziel verkündete, bis 2025 einen Jahresumschlag von 25 Millionen TEU erreichen zu wollen (Näheres in unserer Ausgabe 4 / 2011) – tatsächlich hat der Hamburger Hafen im vergangenen Jahr lediglich 8,5 Millionen TEU umgeschlagen.
Der Förderkreis „Rettet die Elbe“ e. V. (RdE) hat übrigens anlässlich der amtlichen Teil-Freigabe in einer umfangreichen Untersuchung die verfügbaren Daten über Baggerungen und Verklappungen seit der vorangegangenen Elbvertiefung 1999 – bis zum Jahre 2019 – zusammengestellt und ausgewertet. „Die teilweise Freigabe der neuen Elbvertiefung“, heißt es in einer Mitteilung von RdE dazu, „wurde vom Senat großmäulig bejubelt, es werde ‚Geschichte geschrieben‘, ‚das Seeschiff als umweltverträgliches … Verkehrsmittel‘ gestärkt. Gestärkt wird allerdings das umweltfeindliche Denken geldgieriger Pfeffersäcke.“ Die Pressemitteilung einschließlich Verlinkung zu der umfangreichen Studie ist hier abrufbar.