Die elf größten Reedereien der globalen Container-Schifffahrt haben laut dem maritimen Info-Portal „Splash 24/7“ aus Singapur im ersten Quartal dieses Jahres einen Rekord-Betriebsgewinn (EBIT) von zusammen 16,2 Milliarden US-Dollar erzielt. Zwar ächzen sie aktuell dennoch – aber das sollte kein Anlass sein für Mitleid.
Die Schifffahrt sieht sich gestresst: Zwar konnte die Blockade von mehreren hundert Schiffen im Suez-Kanal nach wenigen Tagen beendet werden, aber die Folgen für die Schiffs-Fahrpläne samt empfindlicher Staus in den Häfen dauern an. Zugleich haben die Reedereien wachsende Probleme, die dramatischen Nachfrageschwankungen in Folge der Corona-Pandemie zu bewältigen. Engpässe und Verzögerungen in einer Region haben wegen des globalen Charakters der Branche sehr schnell weltweite Auswirkungen – und das über Monate hinweg. Es fehlen Schiffe und Leercontainer, um den drastisch weiter steigenden Transportanforderungen gerecht werden zu können. Hatte die dänische Reederei Mærsk vor acht Wochen noch prophezeit, die Suez-Blockade könne „Langzeitfolgen bis ins dritte Quartal hinein“ zeitigen, schockte in dieser Woche die britische BBC ihr Publikum mit der Nachricht: „Wenn Sie Ihrer Familie etwas zu Weihnachten schenken möchten, dann kaufen Sie jetzt ein.“
Aktuell stöhnen die Reedereien über die Zustände im viertgrößten Containerhafen der Welt: Die Terminals im südchinesischen Yantian als zentralem Umschlagshafen für Asienverkehre sind seit gut vier Wochen mal abwechselnd, mal zeitgleich blockiert, seit neue Corona-Ausbrüche im Hafen und seiner Umgebung eine verstärkte Prävention erforderlich gemacht hatten. Anfängliche Abfertigungsverzögerungen von fünf Tagen haben sich mittlerweile auf 16 Tage ausgedehnt. Mehrere große Reedereien – unter anderem Mærsk und die deutsche Hapag-Lloyd – haben etliche ihrer Schiffe zu anderen Häfen umgeleitet. Das aber ist ein Notbehelf von eher zweifelhafter Wirkung: Während in Yantian die Verspätungen selbst zunächst nur die Überlastung der zu wenigen Schiffe verschlimmern, bringen die außerplanmäßigen Schiffsanläufe in den neuen Zielhäfen dortige Zeitpläne durcheinander – das komplexe logistische Netzwerk reißt. Und verteuert sich weiter: Wenn aus Notlagen heraus Schiffe umgeleitet werden müssen, gehen vertragsgemäß entstehende Mehrkosten für Lagerung oder Transporte zwischen neuem und eigentlichem Zielhafen nahezu immer zu Lasten des Ladungsbesitzers.
Charterraten auf Rekordniveau
Die Kombination von starker Nachfrage, mangelnder Schiffstonnage und Marktmacht der Reedereien führt momentan zu einem derart drastischen Anstieg der Charterraten, dass die Transportpreise alle bisherigen Rekorde brechen. Laut „World Container Index“ (WCI) der britischen Consulting-Firma Drewry kostet ein 40-Fuß-Container (FEU – Forty Foot Equivalent Unit) momentan 6957,44 US-Dollar – im Unterschied zu 1714,76 Dollar in der Vergleichswoche 2020. Der WCI wird errechnet aus den jeweils aktuellen Werten für acht wichtige Ost-West-Verkehre.
Das Durcheinander bei den globalen Versorgungslinien für Produktion und Konsum bewirkt nicht nur aktuelle Mängel (vom Fehlen asiatischer Chips für Europas Autobauer bis eben zu möglichen Engpässen im Weihnachtsgeschäft). Die erheblichen Verteuerungen werden über kurz oder lang auch bis zum Endverbraucher durchgereicht, die Inflation lässt grüßen.
In Deutschland etwa veranlasste dies laut einem Bericht des maritimen Portals HANSA vor anderthalb Wochen die Verbände der größten seeverladenden Industrien – unter anderem der Stahl-, Chemie- und Automobil-Branche –, von der Bundesregierung eine Intervention in Brüssel zu fordern: Die EU-Kommission hatte kürzlich die so genannte „Gruppenfreistellungsverordnung“ (GVO) für die Linienreedereien, eine Art kartellrechtliche Erlaubnis für die drei großen Allianzen der Containerschifffahrt, verlängert und damit einen seit Jahren andauernden Streit zwischen Reedern und Spediteuren wieder einmal zugunsten der Schifffahrt entschieden. Prompt kritisieren die Verbände, die so gestärkte Marktmacht der Allianzen führe zu einer rapiden Verschlechterung der Transportdienstleistungen. Laut HANSA kontrollieren die drei Allianzen aus neun der zehn größten Reedereien derzeit global rund 80 Prozent aller Containerstellplätze – vor zehn Jahren seien es weniger als 30 Prozent gewesen. Übrigens hatte im April bereits die UNCTAD eine gezielte Stärkung der Kartellbehörden gegenüber den Allianzen angemahnt.
Angesichts solcher Entwicklungen erstaunt es nicht, dass die Branchenführer die eingangs erwähnten Rekordgewinne bilanzieren konnten: Laut „Splash 24/7“ haben sieben der größten Containerreedereien zu Beginn 2021 jeweils mehr als eine Milliarde Dollar verdient – in einem Quartal, das statistisch gesehen normalerweise das schwächste eines Kalenderjahres ist. Dabei darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass nach Angaben der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) als globaler Seeleutegewerkschaft pandemie-bedingt noch immer rund 200.000 Seeleute weltweit an Bord und in Häfen festsitzen.