Die gestrige Kundgebung in der Hafenstadt Nordenham an der Wesermündung hat mehrere hundert Menschen mobilisieren können, gegen die erneuten Pläne zur Ausbaggerung des Flusses zu protestieren: ein prima Anfangserfolg! Nach einer kurzen Kundgebung auf dem Bahnhofsvorplatz bildeten sie entlang des Flussufers eine fast einen Kilometer lange Menschenkette – pandemiegerecht, mit bedruckten blauen Bändern abstandswahrend zwischen sich.
Aufgerufen zu der Aktion hatte – wie berichtet – ein Bündnis, das vor den morgigen Kommunalwahlen in Niedersachsen noch einmal ein Zeichen setzen wollte gegen die seit vielen Jahren heftig umstrittenen Vertiefungspläne. Der kurzfristig ergangene Aufruf hatte sich auf Nordenham und den Landkreis Wesermarsch konzentriert – was ein Teilnehmer als „Ausklammerung“ der Menschen von der anderen Weserseite bedauerte. Das Bündnis bezeichnet sich ausdrücklich als „parteiübergreifend“ – getragen zwar von der BUND-Kreisgruppe und dem lokalen „Verein Weserschutz“, darüber hinaus aber nur von Einzelpersonen, nicht etwa von Parteistrukturen, obwohl viele Mitglieder von Linkspartei, Grünen und vereinzelt selbst der SPD individuell mit dabei sind. Auch etliche Landwirte beteiligten sich, auf der Weser kreisten solidarisch einige Dutzend Kutter und Sportboote.
Die Forderung der Aktion war knapp und unmissverständlich auf die blauen Bänder gedruckt: „Keine Weservertiefung!“ Die Gründe dafür sind ebenso bekannt wie vielfältig. Denn die Ausbaggerung, die samt aller Begleitmaßnahmen weit mehr als 100 Millionen Euro Steuergelder kosten würde, soll zwar der Schifffahrt, insbesondere dem Hafen im benachbarten Brake, Vorteile bringen; allerdings ist dies eine nicht unumstrittene Erwartung, zumal die errechneten Vorteile die Kosten nicht annähernd rechtfertigen. Indes ist die Liste der befürchteten Nachteile sehr viel handfester, weil sie auf konkreten Erfahrungen aus früheren Vertiefungen und aktuellen Beobachtungen basiert.
Unkalkulierbare Schäden
Zu den massiven Umweltschäden für Fauna und Flora, die 2016 das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) veranlasst hatten, die damalige Planung für „rechtswidrig und nicht vollziehbar“ zu erklären, addieren sich etliche weitere Negativfolgen. Die hatten zwar in der politischen Debatte vor fünf und mehr Jahren auch schon eine Rolle gespielt, waren seinerzeit aber als Einwand gerichtlich nicht durchsetzbar:
- Die in der Wesermarsch wirtschaftlich bedeutende Viehhaltung würde in Folge weiterer Vertiefung erschwert, weil mehr Salz in die Bewässerungsgräben dringt und eine Weidehaltung unmöglich machte;
- Maßnahmen, dem vorzubeugen, sind zwar versprochen, bis heute aber weder angepackt noch als ausreichend anerkannt.
- Das Fließverhalten der Weser würde verändert, die heute schon zu beobachtende Verschlickung von kleinen Küstenhäfen und Stränden zunehmen – das gefährdet Fischerei ebenso wie den ökonomisch wichtigen Fremdenverkehr.
- Und es beschleunigt Uferabbrüche, ein erhebliches Risiko für die Deichsicherheit.
- Das im selben Zusammenhang sich verändernde Tide-Geschehen – höher auflaufende Fluten bei stärkerer Strömungsgeschwindigkeit – erhöht gerade in Zeiten des Klimawandels drastisch die Gefahr von Sturmfluten und Überschwemmungen.
„All das“, so das Aktionsbündnis in seinem Aufruf, „sind negative Folgen, die wir nicht mehr akzeptieren dürfen, nur damit ein einziger Hafen bessere Gewinnmargen erzielt. Es ist Zeit, dass endlich die Schiffe den Flüssen angepasst werden und nicht die Flüsse den Schiffen!“ Noch vor der Bundestagswahl sind weitere Aktionen geplant, denn bekanntlich ist ja im März 2020 jene umstrittene Neuregelung in Kraft getreten, die eine künftige Vertiefungs-Planung einer gerichtlichen Überprüfung entzieht und die Entscheidung allein dem nächsten Parlament überträgt.
Landwirt Ralf Degen als entschiedener Gegner der Flussausbaggerung kommentierte diese zweifelhafte Neuregelung in seinem kurzen Redebeitrag am Freitag sinngemäß so: Die Aufregung etwa über Polen, dessen Regierung Richter und Gerichte politisch diszipliniert, sei doch eigentlich heuchlerisch – denn in Deutschland sei man längst einen Schritt weiter; hier würden Bürgerinnen und Bürger per Gesetz gehindert, überhaupt ein Gericht anzurufen.