IGM: Schiffbau in der Krise

Der IG Metall (IGM) berei­tet die Situa­ti­on des deut­schen Schiff­baus erheb­li­che Sor­gen: Ver­gan­ge­ne Woche hat der Bezirk Küs­te der Gewerk­schaft in Ham­burg sei­ne jähr­li­che Umfra­ge unter den Betriebs­rä­ten von 43 Werft­be­trie­ben bezie­hungs­wei­se -stand­or­ten vor­ge­stellt – und muss­te dabei bilan­zie­ren, dass der deut­sche Schiff­bau in zwölf Mona­ten nahe­zu jeden zwölf­ten Arbeits­platz ver­lo­ren hat. 

Der IGM zufol­ge waren 2020 waren noch 18.115 Men­schen in der Bran­che beschäf­tigt, aktu­ell sind es nur noch 16.653 und damit knapp 1500 weni­ger. Und auch für 2022 rech­ne jeder drit­te Betrieb mit wei­te­rem Stel­len­ab­bau. In die­sen Zah­len sei­en die aktu­ell dro­hen­den Job­ver­lus­te bei Pel­la Sie­tas, bei Blohm & Voss in Ham­burg sowie bei der Bre­mer­ha­ve­ner Lloyd Werft noch nicht mit erfasst – es dürf­ten ins­ge­samt also noch mehr werden.

  • Pel­la Sie­tas in Hamburg-Neuenfelde ist zwar ein ver­gleichs­wei­se klei­nes Unter­neh­men mit rund 200 Beschäf­tig­ten, aber die 1635 gegrün­de­te Werft ist laut NDR Euro­pas ältes­ter Schiff­bau­be­trieb. Das aktu­el­le Pro­jekt, ein 132 Meter lan­ger Saug­bag­ger im Auf­trag der Bun­des­schiff­fahrts­stra­ßen­ver­wal­tung, konn­te nicht fer­tig­ge­stellt wer­den, inzwi­schen ist die Fir­ma insol­vent. Das hat viel­fäl­ti­ge Grün­de – aber eini­ge haben wie­der­um mit dem Bund zu tun: Strei­tig­kei­ten um feh­len­de Ent­schli­ckung der Werfthafen-Zufahrt etwa oder um erhoff­te Mil­lio­nen aus dem Corona-Hilfsfonds, die aus­ge­blie­ben sind. Momen­tan scheint die Werft am Ende.
  • Blohm & Voss (B&V) wur­de vor fünf Jah­ren von Bre­mens Lürssen-Gruppe über­nom­men, die durch welt­wei­te Rüs­tungs­ge­schäf­te und den Bau von Milliardärs-Yachten reich und mäch­tig gewor­den ist. Von den bei Über­nah­me rund 1000 B&V-Beschäftigen sind noch knapp 600 übrig.
  • Die Bre­mer­ha­ve­ner Lloyd Werft ist – wie am Wochen­en­de gera­de bekannt wur­de – erneut von Schlie­ßung bedroht: Der Betrieb soll Ende März 2022 geschlos­sen, schon ab Novem­ber sol­len Kün­di­gun­gen aus­ge­spro­chen wer­den. Bereits im Janu­ar hat­te der Mut­ter­kon­zern Gen­ting das Aus zu Ende die­ses Jah­res ange­kün­digt. Damals gab es Ver­kaufs­ge­sprä­che mit der hei­mi­schen Rön­ner Grup­pe, die aber – so Gerüch­te – sol­len wegen Dif­fe­ren­zen über den Preis ins Sto­cken gera­ten sein. Plä­ne, dem „Lloyd“ im Ver­bund von Gen­tings MV Werf­ten Arbeit zu beschaf­fen, schei­ter­ten jedoch, weil dort ent­spre­chen­de Auf­trä­ge aus­blie­ben. Zuvor hat­te sich schon die Hoff­nung zer­schla­gen, dass der Lloyd vom Bund den Zuschlag für den Neu­bau „Polar­stern II“ bekom­men könn­te. Gen­ting hat zwar hun­der­te Mil­lio­nen Euro Kre­di­te aus Corona-Hilfe bekom­men, trotz­dem wur­den an der Ost­see bereits 600 Mit­ar­bei­ter ent­las­sen. Nun hof­fen die „Lloy­dia­ner“ dar­auf, dass der Ver­kauf an Rön­ner noch recht­zei­tig abge­schlos­sen wer­den kann (in Kür­ze hier mehr dazu).

Zurück zur aktu­el­len IGM-Untersuchung: Dani­el Fried­rich, Bezirks­lei­ter der IG Metall Küs­te, warnt scharf vor „Sub­stanz­ver­lust“ im Schiff­bau – und er meint damit nicht nur die aktu­el­le Job­bi­lanz, son­dern auch den Ver­lust eigent­lich unver­zicht­ba­ren Fach­wis­sens. Die Über­al­te­rung und damit die bevor­ste­hen­de Ver­ren­tung gro­ßer Tei­le der Beleg­schaf­ten nimmt zu: Waren 2013 noch etwa 17 Pro­zent des Werft­per­so­nals 55 Jah­re und älter, sind es heu­te rund 25 Pro­zent. Dem­ge­gen­über sinkt der Anteil jün­ge­rer Beschäf­tig­ter zwi­schen 15 und 34 Jah­ren – von rund 33 Pro­zent in 2013 auf aktu­ell nur noch etwa 25 Pro­zent. Zugleich kon­sta­tiert die IGM eine dras­ti­sche Redu­zie­rung von Aus­bil­dungs­plät­zen – um sat­te 41 Pro­zent gegen­über 2020. Die Quo­te der Über­nah­me nach fer­ti­ger Aus­bil­dung indes erreich­te in die­sem Jahr einen Tiefst­wert von nur 58 Pro­zent – seit 2009 waren jähr­lich zwi­schen 84 und 100 Pro­zent des aus­ge­bil­de­ten Nach­wuch­ses über­nom­men wor­den. In Ver­bin­dung mit der Tat­sa­che, dass der Anteil der Beschäf­tig­ten mit Werk­ver­trä­gen deut­lich gestie­gen ist, bedeu­tet der Begriff „Sub­stanz­ver­lust“ nichts ande­res als den fak­ti­schen Aus­ver­kauf hoch­qua­li­fi­zier­ter Stammarbeitsplätze.

Für Ende Okto­ber mobi­li­siert die IGM zu einem bun­des­wei­ten Akti­ons­tag, der nicht nur für die Werf­ten ein Zei­chen set­zen soll: Eine neue Bun­des­re­gie­rung – die mut­maß­lich künf­ti­gen Koali­tio­nä­re ver­han­deln ja der­zeit – müs­se laut IGM „mas­siv inves­tie­ren, das Land gerech­ter machen und den kli­ma­freund­li­chen Umbau der Indus­trie vor­an­trei­ben“. Im Schiff­bau müs­se die kom­men­de „Ampel“ vor allem gegen den Miss­brauch von Werk­ver­trä­gen vor­ge­hen: „Tarif­lich abge­si­cher­te Stamm­ar­beits­kräf­te dür­fen nicht durch Beschäf­tig­te mit Werk­ver­trag ersetzt wer­den.“ Ent­schei­dend sei auch, die Finan­zie­rung von Schiff­bau­auf­trä­gen durch staat­li­che Unter­stüt­zung zu sichern. Aller­dings, so Fried­rich nach­drück­lich, dürf­ten „finan­zi­el­le Hil­fe … nur Unter­neh­men bekom­men, die Arbeits­plät­ze und Stand­or­te erhal­ten“, man bräuch­te kei­ne „Luft­han­sa der Schiff­fahrt“ – die Flug­li­nie hat­te meh­re­re Mil­li­ar­den Euro staat­li­cher Hil­fe kas­siert und dann trotz­dem Per­so­nal abge­baut. Fried­rich: „Das ver­ste­hen die Men­schen nicht.“

Eine ähn­li­che Ver­si­on die­ses Tex­tes ist heute
auch in der Tages­zei­tung „jun­ge Welt“ erschienen.

Über waterkant

WATERKANT-Redaktion