Reeder: Erstmal wieder jammern

90 Pro­zent der deut­schen Ree­der sehen ihre Bran­che boo­men und mel­den alle ihre Schif­fe als aus­ge­las­tet. Und den­noch, so eine aktu­el­le Stu­die von PwC, herr­sche kei­ne unbe­schwer­te Stim­mung, viel­mehr sähen sich rund 80 Pro­zent der Ree­der durch „tief sit­zen­de struk­tu­rel­le Pro­ble­me … bedroht“. 

Zum mitt­ler­wei­le 13. Male hat die Wirt­schafts­prü­fungs­ge­sell­schaft Pri­ce­wa­ter­hous­e­Coo­pers (PwC) mit so genann­ten Top­ent­schei­dern hei­mi­scher Hoch­see­ree­de­rei­en ins­ge­samt 103 Inter­views füh­ren las­sen. Im Ergeb­nis stel­len die Autoren der Stu­die bei den befrag­ten Ree­dern eine „Ach­ter­bahn der Gefüh­le“ fest: Es habe seit 2009 noch nie inner­halb eines Jah­res „einen solch ekla­tan­ten Stim­mungs­um­schwung“ gege­ben. Und dar­an ist offen­sicht­lich nicht Coro­na schuld: Hat­ten 2020 noch 80 Pro­zent der Befrag­ten „maß­geb­li­che Beein­träch­ti­gun­gen“ durch die Pan­de­mie befürch­tet, bewer­ten jetzt 73 Pro­zent eben die­sen Fak­tor als „nicht mehr so stark“ wie noch vor einem Jahr. Viel­mehr sehen sie ihre aku­te Bedro­hung in Finan­zie­rungs­pro­ble­men und Umwelt­auf­la­gen. Wie schrieb kürz­lich ein Ken­ner der Bran­che an den Autor die­ses Bei­trags? Die Ree­der hät­ten „in den von PwC geführ­ten Inter­views das getan, was sie am bes­ten kön­nen – jammern“.

Stich­wort „Boom“: Die momen­ta­nen Kon­junk­tur­aus­sich­ten und das wach­sen­de Ladungs­auf­kom­men sor­gen laut PwC eben­so für gute Stim­mung wie die Charter- und Fracht­ra­ten, die ja bekannt­lich in den ver­gan­ge­nen andert­halb Jah­ren gera­de­zu exor­bi­tant gestie­gen und aktu­ell auf sehr hohem Niveau sta­bil sind. 83 Pro­zent der Befrag­ten erwar­ten dem­nach bei der Char­ter wei­te­ren Anstieg oder Sta­bi­li­tät, bei den Fracht­ra­ten sind es gar 87 Pro­zent. Wobei PwC die Con­tai­ner­schiff­fahrt aus­drück­lich als Motor die­ses Auf­schwungs bezeich­net, der ande­re Berei­che mit schwä­che­ren Markt­be­din­gun­gen „über­strah­le“.

Nach mona­te­lan­gem Han­dels­stau“, so die Autoren, hät­ten außer­or­dent­lich star­ker Kon­sum in den USA und Euro­pa sowie Nach­hol­be­darf bei Industrie-Einkäufern im Herbst für hohe Nach­fra­ge gesorgt. Die füh­ren­den deut­schen Ree­de­rei­en hät­ten dank des Raten­an­stiegs im ver­gan­ge­nen Jahr „in der Regel“ mehr ver­dient, „obwohl es zunächst weni­ger zu trans­por­tie­ren gab“. Klei­nes Bei­spiel dazu: Anfang die­ses Monats hat­te Hapag-Lloyd, größ­te deut­sche Container-Reederei, ihre Gewinn­erwar­tung (EBIT) fürs gesam­te Jahr 2021 von bis­her 6,2-7,9 auf nun­mehr 8,7-9,5 Mil­li­ar­den Euro nach oben kor­ri­giert. 68 Pro­zent aller von PwC befrag­ten Ree­de­rei­en rech­nen künf­tig mit wenigs­tens sta­bi­lem Wachs­tum und gar 75 Pro­zent mit zuneh­men­dem Ladungsaufkommen.

Geld in der Kasse

Fracht- und Char­ter­er­lö­se brin­gen Geld in die Kas­se, das führt ange­sichts feh­len­den Trans­port­vo­lu­mens zu einem mas­si­ven Anstieg der Neu­bau­be­stel­lun­gen, nach­dem vor und zu Beginn der Pan­de­mie die Flot­te durch Abwra­cken und Ver­käu­fe geschrumpft war. 22 Pro­zent der befrag­ten Unter­neh­men haben in den ver­gan­ge­nen zwölf Mona­ten neue Schif­fe bestellt, rund 47 Pro­zent plant dies fürs kom­men­de Jahr. Aller­dings bekla­gen sich nach wie vor 56 Pro­zent der Ree­de­rei­en (2020: 85 Pro­zent) über Pro­ble­me bei der Schiffs­fi­nan­zie­rung: Erst lang­sam scheint das lan­ge Jah­re rück­läu­fi­ge Inter­es­se tra­di­tio­nel­ler Kapi­tal­ge­ber am mari­ti­men Bereich wie­der zuzu­neh­men, aktu­ell gibt es laut PwC sogar ein leicht stei­gen­des Inter­es­se aus Krei­sen, die bis­lang nicht im Schiff­fahrts­sek­tor aktiv waren.

Zwar kla­gen vier von fünf Ree­de­rei­en über anhal­ten­de Crewwechsel-Probleme, die Stu­die gibt aber kei­ne Aus­kunft dar­über, was dage­gen unter­nom­men wird – am feh­len­den Geld kann es ja kaum lie­gen. Statt­des­sen sor­gen sich 48 Pro­zent der Ree­der um Ver­zö­ge­run­gen beim Löschen der Ladung oder dass man eines oder meh­re­re Schif­fe der eige­nen Flot­te in Qua­ran­tä­ne habe schi­cken müs­sen (46 Pro­zent). Ins­ge­samt haben 25 Pro­zent der Befrag­ten in den ver­gan­ge­nen zwölf Mona­ten Mit­ar­bei­ter ent­las­sen, aller­dings gehen 69 Pro­zent davon aus, in nächs­ter Zeit wie­der Ein­stel­lun­gen vor­neh­men zu müssen.

Auf der jüngs­ten Kli­ma­kon­fe­renz in Glas­gow hat die (Welt-)Schifffahrt kei­ne Rol­le gespielt, weil die­se Run­de dafür nicht zustän­dig ist. Hie­si­ge Ree­der sind aber kon­fron­tiert mit den Ziel­vor­ga­ben der EU-Kommission vom Sep­tem­ber 2020 – Emis­si­ons­sen­kung bis 2030 um 55 Pro­zent gegen­über dem Stand von 1990. So umstrit­ten die­se Fest­le­gung bei Kli­ma­ex­per­ten auch ist, den deut­schen Ree­dern geht selbst sie zu weit: Laut PwC-Studie hält die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit die­ses Ziel für nicht umsetzbar.

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WATERKANT-Redaktion