Am 5. Januar 2022 hat die neue Bundesregierung die Grünen-Abgeordnete Claudia Müller zur „Koordinatorin für Maritime Wirtschaft und Tourismus“ berufen. Kurz darauf berichtete das Handelsblatt über einen ersten handfesten Skandal – offiziell aber wird dies bis heute beim Wirtschafts- und Klimaministerium, zu dessen Geschäftsbereich Müllers neue Position gehört, nicht erwähnt.
Laut Handelsblatt vom 7. Januar beschäftigt Müller in ihrem Bundestagsbüro einen – namentlich nicht genannten – wissenschaftlichen Mitarbeiter, der in gleichzeitiger freiberuflicher Nebentätigkeit in Berlin die Interessen des Hamburger Unternehmens European Mar GmbH (EUROMAR) vertritt. Dessen Auftrag aber sei es, so die Zeitung weiter, „möglichst viele Reeder davon zu überzeugen, Deutschland den Rücken zu kehren und ihre Schiffe in der (portugiesischen) Sonderwirtschaftszone Madeira anzumelden“. Das übrigens ist absolut keine Übertreibung oder gar „Ente“, die EUROMAR-Manager haben ihren Ehrgeiz, möglichst viele Schiffe in Madeira registrieren zu lassen, wiederholt und offensiv vertreten.
Das Problem ist grundsätzlich bekannt: Deutsche Reeder meiden die deutsche Flagge und werden dafür von den diversen deutschen Bundesregierungen auch noch kräftig mit Subventionen und Steuererleichterungen belohnt. Gleichzeitig betonen dieselben Regierungen – auch die neue von SPD, Grünen und FDP – immer wieder aufs Neue ihr Ziel, mehr Schiffe unter deutscher Flagge fahren zu lassen. Das fing schon unter Gerhard Schröder an, der in seiner Kanzlerschaft – gemeinsam mit den Grünen – die Maritimen Konferenzen und das Maritime Bündnis schuf. Letzteres knüpfte Subventionsversprechen an die Verpflichtung zur „Rückflaggung“; während aber die Steuergelder munter flossen, pfiffen die Reeder weitgehend auf die Umsetzung dieser Pflicht – bis heute. Selbst das oft wirtschaftsfreundliche Handelsblatt räumt kritisch ein, dass vor zehn Jahren noch etwa 550 Schiffe unter deutscher Flagge gefahren seien, aktuell seien es aber nur noch 290.
Stattdessen bevorzugen deutsche Reeder seit Jahrzehnten die so genannte Ausflaggungs-Praxis (1), haben rund 1000 Schiffe unter den Flaggen von Antigua und Barbuda sowie Liberia registriert. Darüber hinaus aber feiern sich die Reeder selbst, weil sie 45,6 Prozent ihrer Flotte unter einer europäischen Flagge fahren ließen – nur verschweigen sie dabei, dass die Hauptregistrierungsländer Portugal (Madeira), Zypern und Malta nach Einstufung der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) ebenso als Billigflagge gelten wie Liberia oder Antigua. Nochmal Handelsblatt: „Ausflaggen nennen Experten den Trend, der seit langem vorherrscht, weil Reeder damit viel Geld sparen können.“
„Seriös“ geht anders…
Zurück zu Claudia Müller: Noch im April 2021 hatte sie sich in einer virtuellen Sitzung des Bundestags-Finanzausschusses über weitere Reeder-Subventionierung den EUROMAR-Geschäftsführer Albrecht Gundermann kritisch vorgenommen und ihm unter anderem vorgehalten: „Rückflaggungen sollten nicht nur in den europäischen, sondern auch in den deutschen Flaggenbereich stattfinden“ (2). Und dann lässt sie einen Lobbyisten dieses Unternehmens in Berlin für sich arbeiten? Wie seriös ist das denn?
Laut Handelsblatt gilt Müller „parteiübergreifend als ‚extrem sachlich und nett‘, allerdings zitierte die Zeitung auch eine andere, nicht genannte Stimme aus dem „politischen Berlin“, die gesagt haben soll: „Frau Müller ist eine Gute – aber die Kombination ist keine gute.“ Weiter schreibt das Blatt, aus Müllers Büro verlaute „auf Nachfrage“, der Interessenkonflikt sei erkannt, „wahrscheinlich werde der Mitarbeiter seine freiberufliche Tätigkeit bei Euromar aufgeben, um mit ins Ministerium zu wechseln“. Geht’s noch peinlicher?
In den Kommentaren der Handelsblatt-Webseite stellte Leserin Susanne Heidel noch am selben Tage fest: „Die äußerliche Aufgabe der Lobbyistentätigkeit bringt doch nichts, das ist Augenwischerei und Volksverdummung. Offensichtlich hält der Mann es ja für in Ordnung, dafür zu lobbyieren, dass Schiffe formal in der Sonderwirtschaftszone Madeira verortet sind statt in Deutschland, sonst hätte er das ja bisher wohl kaum gemacht. Diese Überzeugung hängt er doch nicht plötzlich an den Haken wie eine alte Jacke. Und seine alten Kumpels kennen ihn natürlich auch noch, und er weiß sehr genau, wer welche Türen öffnen kann. Nein, der Mann hat ganz einfach auf dieser Position nichts zu suchen.“
Übrigens ist es verblüffend und auch makaber, was in den Folgetagen aus diesem Bericht des Handelsblatts geworden ist: Einerseits ist die Meldung weder in anderen Tageszeitungen, in Radio- oder TV-Sendern verbreitet, fortgeschrieben oder etwa widerlegt worden; auch die Fachpresse des maritimen Sektors ist bislang nicht darauf „eingestiegen“. Andererseits hält das Ministerium es, wie eingangs erwähnt, bis heute nicht für nötig, auf seiner Webseite oder in seinen Pressemitteilungen mit nur einem einzigen Wort auf diesen Konflikt zu reagieren. „Transparenz und Offenheit“ – zwei Prinzipien, die insbesondere die Grünen immer wieder einfordern, buchstabieren sich anders!
Anmerkungen:
(1) – Hintergründe sind nachzulesen in der Hintergrund-Broschüre der Kampagne „Fair übers Meer“ (Seite 7 ff.), die hier kostenlos heruntergeladen werden kann.
Achtung: Der betreffende Artikel datiert aus 2016 und kann in Details überholt sein!
(2) – BT-Drucksache 19/27719, Seite 14