Völlig überraschend erhielten Ende vergangener Woche die Besatzungen der britischen Fähren der Reederei P&O Ferries – per Videobotschaft, in geradezu beleidigender Kürze und Form – die Nachricht: „Euer letzter Arbeitstag ist heute.“ Insgesamt rund 800 Seeleute wurden derart entwürdigend mit sofortiger Wirkung gekündigt. Die entsprechenden Fährverkehre wurden für unbestimmte Zeit komplett eingestellt.
Betroffen von dem Skandal sind die Ärmelkanal-Fährlinien Dover-Calais und Hull-Rotterdam sowie die Verbindungen Liverpool-Dublin und vom schottischen Cairnryan ins nordirische Larne. Mehr als 20.000 Passagiere sowie mehrere hundert Lkw werden bislang auf diesen Linien befördert – täglich. Prompt bilden sich seither in den betreffenden Häfen lange Schlangen und nicht nur bei den geschassten Seeleuten herrscht blanke Wut. P&O begründet seinen Schritt mit angeblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Man habe im vergangenen Jahr ein Minus von rund 100 Millionen Pfund (ca. 120 Millionen Euro) verbuchen müssen, wurde P&O in diversen Medien zitiert, der Mutterkonzern sei nicht mehr bereit, diese Verluste auszugleichen.
P&O Ferries gehört dem global tätigen Terminal- und Logistikkonzern DP World, einem staatlichen Unternehmen der Vereinigten Arabischen Emirate mit Sitz in Dubai, das weltweit unter anderem knapp 100 Terminals betreibt. Gerade eben, am 10. März dieses Jahres, hat DP World nach Angaben des maritimen Infoportals HANSA ein Rekordergebnis für das Jahr 2021 mitgeteilt – ein Umsatzplus von 26,3 Prozent auf insgesamt 10,778 Milliarden US-Dollar und einen Gewinnzuwachs von 38 Prozent auf 1,35 Milliarden Dollar. Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) weist zudem darauf hin, DP World habe allein in den vergangenen zwei Jahren seinen Aktionären rund 376 Millionen Dollar Dividenden gezahlt. Laut ITF haben Recherchen der britischen Tageszeitung „The Times“ ergeben, dass DP World im Zuge der Pandemie-Bewältigung trotz solch brillanter Geschäftsergebnisse mehr als 30 Millionen Pfund britischer Notfallfinanzierung kassiert haben soll.
Billige Ersatzleute angeheuert
Vor Einstellung des Fährverkehrs hatte P&O zunächst geplant, die Liniendienste aufrechtzuerhalten, und dafür eigens ausländische Ersatzmannschaften geschickt – nur konnten die nicht an Bord, weil die geschassten Besatzungen sich weigerten, ihre Schiffe zu verlassen. Sie folgten damit einer Anweisung ihrer Gewerkschaften, der National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT) sowie der Transportgewerkschaft Nautilus International (die in der Schweiz, den Niederlanden und Großbritannien aktiv ist). RMT und Nautilus haben die britische Regierung zum sofortigen Eingreifen aufgefordert, „um die skandalöse Auslagerung von rund 800 Arbeitsplätzen ohne Vorankündigung zu stoppen“.
ITF-Generalsekretär Stephen Cotton berichtete, dass P&O in Dover und Hull „Busladungen“ nicht gewerkschaftlich organisierter Besatzungen und mit Handschellen ausgestatteter Sicherheitskräfte eingesetzt habe, um die britischen Seeleute gewaltsam zu entfernen: „Wir sind schockiert und wütend.“ Die Ersatzkräfte – angeblich indischer, russischer, philippinischer und ukrainischer Herkunft – sollen über zwielichtige Briefkastenfirmen mit Zwei-Wochen-Verträgen rekrutiert worden sein. Die Generalsekretärin der zum ITF-Dachverband gehörenden Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF), Livia Spera, empörte sich, dass P&O eine von Pandemie und Kriegsereignissen geprägte Weltlage ausnutze für derart aggressive und gefühllose Outsourcing-Versuche.
ITF und ETF haben DP World aufgefordert, mit RMT und Nautilus in einen „sinnvollen Dialog über die Zukunft von P&O Ferries“ einzutreten. Beide erinnern nachdrücklich daran, dass der arabische Terminalkonzern sich ständig als fortschrittliches Unternehmen mit sozialer Verantwortung verkaufe. ETF-Präsident Frank Moreels mokierte sich über P&O: „Ihr Plan, die Jobs auszulagern, liegt in Trümmern.“ Und mahnt: „Zu lange haben die politischen Eliten den Reichen erlaubt, reicher zu werden, und das auf Kosten der Arbeiterklasse.“
Immerhin zeitigt der Appell von RMT und Nautilus erste Erfolge: Die britische Regierung kündigte an, ihre Transport-Verträge mit P&O zu überprüfen, Abgeordnete schlagen Fähr-Boykotts vor. Nach etlichen Protesten in den Fährhäfen hat die RMT für den heutigen Sonnabend zu landesweiten Demonstrationen aufgerufen. Die Tageszeitung „Socialist Worker“ fordert von den Gewerkschaftsführern mehr Militanz, „um die P&O-Bosse zum Rückzug zu zwingen“.
Eine ähnliche Version dieses Textes erschien
am 26. März 2022 in der Tageszeitung „junge Welt“.