Der Skandal um die Massenentlassung von rund 800 Seeleuten auf den britischen Fähren der Reederei P&O Ferries weitet sich aus: P&O gibt nicht nach, sieht sich aber unter wachsendem Druck einer inzwischen internationalen Solidaritätskampagne der Gewerkschaften, jedoch nur bedingt auch seitens der konservativen Regierung.
Seit mehr als zwei Wochen sind vier zentrale Verbindungen zwischen England und dem Kontinent beziehungsweise der irischen Insel gestört, weil P&O‘s Versuch, die Fährbesatzungen brutal und unsozial gegen osteuropäische und asiatische Billigkräfte auszutauschen, auf massiven Widerstand gestoßen ist. „Wir haben immer noch einige Störungen…“ – Passagiere, die eine Fähre etwa zwischen Dover und Calais buchen wollen, werden auf der Webseite von P&O freundlich, aber bestimmt belehrt: „Alle Dienste bleiben ausgesetzt“. Man bemühe sich aber um Abhilfe durch „andere Transportunternehmen“.
Die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) und nationale Gewerkschaften haben binnen weniger Tage weltweit in fast 200 Organisationen mehr als 10.000 Unterschriften gesammelt: Ein „globales Protestschreiben“ gegen die empörende Massenentlassung fordert vom arabischen Terminal- und Logistikkonzern DP World, dem Eigentümer von P&O Ferries, die Wiedereinstellung der entlassenen Seeleute. Eine Delegation unter Leitung von ITF-Generalsekretär Stephen Cotton übergab das Schreiben in Dubai der Konzernführung von DP World. „Arbeitgeber im Transportwesen der ganzen Welt sollten diesen Streit genau beobachten“, betonte Cotton. Es gehe hier nicht allein um illegale Entlassung von 800 Seeleuten, sondern um den Respekt vor den Rechten von Seeleuten weltweit: „Das nehmen wir nicht auf die leichte Schulter.“
Während in Rotterdam, Antwerpen, Dublin und im nordirischen Larne Hafenarbeiter P&O-Fähren boykottierten, ließen englische Gewerkschaften in der Nacht zum 1. April ein Video auf die Klippen von Dover und Bilder auf die Zentrale von P&O Ferries projizieren, um das Unternehmen aufsehenerregend anzuprangern – und Maßnahmen der Regierung einzufordern. Bislang verweigern P&O und DP World jedes Einlenken. „Das sollte bei Regierungen in ganz Europa und weltweit die Alarmglocken läuten lassen“, mahnte Livia Spera, Generalsekretärin der europäischen ITF-Sektion ETF: „Wenn Regierungen Unternehmen nicht zur Rechenschaft ziehen können, wirft das ernsthaft die Frage auf, wer das Sagen hat.“ ITF-Präsident Paddy Crumlin verlangte, „dass Premierminister Johnson dieser Form von Unternehmens-Barbarei ein Ende setzt“.
Dieser hatte zwar gleich zu Beginn der Affäre P&O Verstöße gegen ein nationales Arbeitsgesetz von 1992 vorgeworfen und rechtliche Schritte angekündigt, bislang blieb dies aber ohne konkrete Folgen. Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng kündigte am Wochenende formelle Ermittlungen gegen P&O Ferries an, zuständig ist jedoch der „Insolvenzdienst“, eine als schwerfällig geltende Regierungsbehörde zur Bekämpfung unternehmerischen Fehlverhaltens. Anlass war das öffentliche Eingeständnis des P&O-Chefs Peter Hebblethwaite, die Entlassung der 800 Seeleute könne illegal gewesen sein; dennoch verteidigte er sie, weil eine Rücknahme „zum Zusammenbruch des Unternehmens“ führen könne.
Londons Verkehrsminister Grant Shapps ließ vorübergehend zwei P&O-Fähren unter Berufung auf Sicherheitsbedenken – mangelhafte Qualifikation und Einweisung der ausgetauschten Besatzung – an die Kette legen. Seine Idee einer gesetzlichen Sperre von Fährlinien, deren Besatzungen keinen nationalen Mindestlohn erhielten, blieb bislang aber folgenlos: Die British Ports Association protestierte entschieden, auch Gewerkschaften und Labour-Partei bescheinigten dem Plan „klaffende Löcher“, das werde „keinen weiteren Skandal im P&O-Stil aufhalten“.