Ende vergangener Woche gab der ebenso umtriebige wie umstrittene Schifffahrts-Magnat John Fredriksen den Zusammenschluss der beiden Tanker-Reedereien Frontline und Euronav bekannt. Die Fusion schafft einen Marktgiganten – der aber weit entfernt sein dürfte von einer beherrschenden Position. Noch.
Euronav ist ein belgisches Unternehmen, das laut Flottenliste des Branchenverbands Intertanko knapp 70 Tanker für Rohöl und Ölprodukte betreibt. Einige der Schiffe sind vor wenigen Jahren von der dänischen Containerreederei Mærsk übernommen worden, als diese sich vom Tankergeschäft trennte. Frontline gilt als norwegisches Unternehmen, hat aber seinen Sitz auf den Bermudas. Diese (Fredriksen gehörende) Reederei betreibt knapp 90 Tanker. Für beide Konzerne gilt, dass sie neben den eigenen noch etliche Schiffe anderer Eigner managen.
Ob der neue Konzern imstande sein wird, eine „Marktführerschaft“ zu erlangen, ist unsicher, vor allem, weil es verwirrend widersprüchliche Angaben über die Größe der Welttankerflotte gibt: So platziert beispielsweise das Portal Daily Logistics auf seiner Liste der führenden zehn Tanker-Reedereien Euronav auf Platz 2, Frontline folgt auf Rang 4; es verblüfft aber, dass weder die chinesische Staatsreederei COSCO noch das in Hongkong beheimatete Unternehmen China Merchants Energy Shipping (CMES) in dieser Tabelle erwähnt werden. Orientiert man sich indes an der Quelle Intertanko, so summiert sich die Kapazität der Euronav-Flotte auf rund 15,5 Millionen Tonnen Tragfähigkeit (dead weight tons = dwt), Frontline kommt auf 14,8 Millionen dwt – COSCO hingegen ist dort mit 135 Schiffen und 16,6 Millionen dwt gelistet, CMES bringt es mit 55 Tankern auf eine Kapazität von 15,1 Millionen dwt.
Insgesamt ist hinsichtlich der globalen Rohöl- und Produktentankerflotte von mehr als 8000 Schiffen auszugehen, die von weit mehr als einhundert Reedereien unterschiedlichster Größe betrieben werden. Auch hier gibt es aber voneinander abweichende Angaben: Verschiedene Medien rechneten in ihrer Berichterstattung über die aktuelle Fusion vor, der neue Konzern werde etwa zehn Prozent der Welttankerflotte stellen, ungewiss bleibt indes, ob sich das auf die Zahl der Schiffe, die Kapazität oder Bilanzzahlen bezieht.
Fredriksen: Schillernde Figur
Sicher ist, dass John Fredriksen bei der Fusion von Euronav und Frontline eine zentrale Rolle spielt. Der norwegische Multimilliardär gilt als eine der schillerndsten Figuren der maritimen Wirtschaft – aus einfachen Verhältnissen stammend, hat er sich mit häufig umstrittenen Geschäftsmethoden ein verflochtenes Firmen-Imperium aufgebaut. So beschreibt etwa Autor Peter Balsiger im Portal Börse Online, wie Fredriksen in den 1960ern vom Libanon aus dem US-Militär Schlepper und Lastkähne für ihren Nachschub im Vietnamkrieg organisierte. Für Schlagzeilen sorgte einst sein Engagement beim Touristikkonzern TUI, heute kontrolliert er nicht nur Öl-, sondern auch Flüssiggas-Tankerflotten, war und ist im Ölbohrgeschäft ebenso aktiv wie in der Fisch-Aquakultur: Seine Firma Marine Harvest, der weltgrößte Zuchtlachs-Produzent, hat mit ihren „Farmen“ vor Norwegens und Chiles Küsten bereits viel Aufsehen erregt.
2006 gab Fredriksen wegen Streits mit Norwegens Finanzbehörden seine Staatsangehörigkeit auf und nahm die von Zypern an. Es dürfte in diesem Kontext wenig verblüffen, dass seine Flotten fast ausnahmslos unter Billigflaggen registriert sind. 2017 scheiterte sein Versuch einer „feindlichen Übernahme“ des auf den Marshall Inseln registrierten Konkurrenten Double Hull Tankers (DHT). Bei der aktuellen Fusion von Euronav und Frontline hat er nun darauf geachtet, dass seine Macht erhalten bleibt: Stückweise kaufte er Aktien des belgischen Konkurrenten und konnte so den Zusammenschluss nicht nur steuern, sondern auch durchsetzen, dass der neue Konzern den Namen Frontline tragen wird.
Eine ähnliche Version dieses Textes erscheint
am 19. April 2022 auch in der Tageszeitung „junge Welt“.