Seearbeits-Übereinkommen: 100. Ratifizierung

Kurz vor Ostern hat die Inter­na­tio­nal Labour Orga­niza­ti­on (ILO), inner­halb der UNO zustän­dig für sozia­le Gerech­tig­keit sowie Menschen- und Arbeits­rech­te, bekannt gege­ben, das 2006 ver­ab­schie­de­te Seearbeits-Übereinkommen (Mari­ti­me Labour Con­ven­ti­on, MLC) habe nun­mehr sei­ne 100. Rati­fi­zie­rung erfahren. 

Der Vor­gang ist beach­tens­wert aus zwei Grün­den: Einer­seits han­delt es sich bei dem Staat, der die „Jubiläums“-Unterschrift hin­ter­leg­te, um das Sul­ta­nat Oman, das trotz von der UNO aner­kann­ter Fort­schrit­te in sei­ner sozia­len Ent­wick­lung noch immer von zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen wie amnes­ty oder dem britisch-stämmigen Insti­tu­te for Human Rights and Busi­ness (IHRB) wegen mas­si­ver men­schen­recht­li­cher Miss­stän­de kri­ti­siert wird. Die ent­spre­chen­de Auf­zäh­lung reicht von innen­po­li­ti­scher Unter­drü­ckung der poli­ti­schen Oppo­si­ti­on, der Meinungs-, Presse- oder Reli­gi­ons­frei­heit über die Anwen­dung der Todes­stra­fe oder skla­vi­sche Behand­lung von Wan­der­ar­bei­tern bis zur Betei­li­gung an Waf­fen­de­als, Krie­gen, Bür­ger­krie­gen und Auf­stands­be­kämp­fung. Wenn also die jüngst am ILO-Sitz in Genf voll­zo­ge­ne Rati­fi­zie­rung des MLC vom oma­ni­schen Bot­schaf­ter Idris Abdul Rah­man Al Khan­ja­ri kom­men­tiert wird, man wer­de künf­tig „kei­ne Mühen scheu­en, die Arbeits­rech­te der See­leu­te zu schüt­zen“, dann klingt das min­des­tens befremdlich.

Dabei fin­det sich das Sul­ta­nat Oman in der Rang­lis­te der Schiff­fahrts­na­tio­nen erst auf Platz 31: Die Gesamt­ton­na­ge der nur 63 Schif­fe (davon 58 unter frem­der Flag­ge) beläuft sich mit 8,93 Mil­lio­nen Ton­nen („dead weight tons“ – dwt – als Maß für die Trag­fä­hig­keit) auf gera­de mal rund zehn Pro­zent der (geschrumpf­ten) deut­schen Han­dels­flot­te. Und wenn Al Khan­ja­ri sein Land als „bedeu­ten­de See­fahrts­na­ti­on in der Regi­on“ bezeich­net, kann allen­falls der Hafen von Sal­a­lah im Süden des Lan­des an der Küs­te des Ara­bi­schen Mee­res gemeint sein, der – gemein­schaft­lich betrie­ben vom natio­na­len Schifffahrts- und Logis­tik­un­ter­neh­men Asyad und dem däni­schen Ter­mi­nal­kon­zern APM Mærsk – in weni­gen Jah­ren zu einem bedeu­ten­den Umschlag­platz gewach­sen ist.

Sozia­ler Fort­schritt in Oman?

Ande­rer­seits wird Oman sowohl von der mari­ti­men Wirt­schaft als auch von gewerk­schaft­li­cher Sei­te für sei­nen Schritt gelobt: Nicht nur Guy Plat­ten, Gene­ral­se­kre­tär des Welt­ree­der­ver­ban­des ICS (Inter­na­tio­nal Cham­ber of Ship­ping) begrüß­te den Schritt als „Mei­len­stein“, auch Ste­phen Cot­ton von der Inter­na­tio­na­len Transportarbeiter-Föderation (ITF) fand loben­de Wor­te: „Als ers­ter Golf­staat, der das MLC rati­fi­ziert, dehnt Oman die Schutz­maß­nah­men die­ses Über­ein­kom­mens nicht nur auf sei­ne eige­nen See­leu­te aus, son­dern auch auf die­je­ni­gen, die sei­ne Häfen anlau­fen und durch sei­ne stra­te­gisch wich­ti­gen Gewäs­ser navi­gie­ren.“ Tat­säch­lich wird sich Oman mit sei­ner Rati­fi­zie­rung ent­spre­chen­den Kon­trol­len bezüg­lich der MLC-Umsetzung sei­tens der ILO zu unter­wer­fen haben – mög­li­cher­wei­se rich­ten sich dar­auf auch Hoff­nun­gen der ITF, dass damit ein­her gehen­de sozia­le Fort­schrit­te auch nach innen wir­ken könn­ten. Nach den Regeln der ILO tritt das Seearbeits-Übereinkommen in und für Oman ein Jahr nach Hin­ter­le­gung der Rati­fi­zie­rung, also im Früh­jahr 2023, in Kraft.

Als das MLC 2006 bei der ILO beschlos­sen wur­de, galt es als beacht­li­cher Fort­schritt im Arbeits­schutz für See­leu­te: Es fass­te mehr als 70 bis dahin gel­ten­de – und teil­wei­se stark über­hol­te – Ein­zel­re­ge­lun­gen in moder­ni­sier­ter Form zusam­men. Es ent­hält einen ver­bind­li­chen und einen emp­feh­len­den Code, wobei Letz­te­rer häu­fig Maß­stab etwa in Tarif­ver­hand­lun­gen ist. Sie­ben Jah­re nach Ver­ab­schie­dung, im August 2013, trat das MLC in jenen 30 Staa­ten in Kraft, die bis 2012 als ers­te rati­fi­ziert hat­ten und dabei mehr als 33 Pro­zent der Welt­han­dels­ton­na­ge reprä­sen­tier­ten. Zu den Erst­un­ter­zeich­nern gehör­te auch Russ­land, Deutsch­land folg­te im Som­mer 2014, Chi­na im Novem­ber 2016. Mit dem Bei­tritt von Oman erlangt das MLC Gül­tig­keit für mehr als 96 Pro­zent der glo­ba­len Han­dels­flot­te. Die USA sind dem Ver­trag bis heu­te nicht beigetreten.

Eine ähn­li­che Ver­si­on die­ses Bei­trags erscheint
am 22. April 2022 in der Tages­zei­tung „jun­ge Welt“.

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WATERKANT-Redaktion