Hamblyn, Richard: Das Meer – Wie wir ihm
seine Geheimnisse entlockten und es doch nie
ganz verstehen werden; München 2022; Knesebeck Verlag;
Hardcover, 272 Seiten; ISBN 978-3-9572-8681-9; Preis 22,00 Euro.
Es ist wieder einer dieser in Deutschland leider verbreiteten Fälle, da hiesige Verlage sich im Bemühen um – ja, um was? Originalität? – vergaloppieren. Der englische Originaltitel dieses tollen Buchs lautet „The Sea: Nature and Culture“; und das ist, mit Verlaub, sehr viel griffiger und vor allem präziser als der gestelzt daher kommende, langatmige Untertitel der Übersetzung.
Denn dem Briten Richard Hamblyn, der sich selbst als Umweltautor und Historiker mit besonderem Interesse für kulturelle Wechselwirkungen zwischen Kunst und Wissenschaft beschreibt, geht es vor allem um eines: Um die Beschreibung des Meeres als eine von Naturgesetzen geprägte, ebenso vielfältige wie schöne Macht im Konflikt mit den zahlreichen anthropogenen Einflüssen, die er im gleichermaßen positiven wie negativen Sinne unter dem Begriff „Kultur“ subsummiert.
Und so nimmt Hamblyn seine Leserschaft mit auf eine abwechslungsreiche und äußerst informative Reise über, in und durch die Meere, eine „kulturell und geografisch geprägte Reise von den Flussmündungen bis zu den Tiefseegräben“. Dieses Buch ist nicht irgendeine weitere maritime Veröffentlichung, es ist eine sprachlich ästhetische Verbeugung vor dem Meer – genauer: vor den Meeren dieser Welt, denn es geht ja gerade um die Vielfalt. Es erzählt von Arbeit und Ausdauer, von Geschichten und Gesängen, von Freizeit und Sehnsucht, von Frieden und Krieg, von Handel und Entdeckung: „Das Meer ist seit jeher ein Ausbreitungsweg für Kultur.“
Was er damit meint, erfährt man gleich im ersten Kapitel: Hamblyn beschreibt „die vom Meer gestalteten Küsten … in all ihrer Komplexität“, erzählt vom „Wechselspiel“ zwischen Wellen, Strömungen, Meeresboden und Ufern, von Schiffbruch und Strandräuberei, vom Schwimmen im Meer, vom Entstehen erster Strand- und Seebäder. Und immer wieder greift der Historiker und Kulturwissenschaftler in seinem ebenso informativen wie flüssigen Stil zu illustrierenden Beispielen aus Literatur und Kunst. Es ist übrigens etwas bedauerlich, dass dieses an sich tolle Werk in so kleinem Format angeboten wird: Denn die oftmals faszinierende Bebilderung kommt in diesem nur 21x14 Zentimeter großen Büchlein oftmals gar nicht richtig zur Geltung. Das gilt zum Teil für die verwendeten Photos, sehr viel stärker aber für die meisten der abgebildeten und thematisch wichtigen Kunstwerke.
Lehrreich und vergnüglich
Solche vergleichenden kulturellen Impulse prägen durchgängig auch Hamblyns Erzählungen etwa über die Geschichte der Ozeanographie, eine Reise, die zwar bei den antiken Griechen beginnt, um dann, mit starken Elementen britischer Sicht, in die Neuzeit zu führen. Auch der Abschnitt über Entdeckungen berücksichtigt maßgebliche Impulse beispielsweise der pazifischen Völker, ist aber unverkennbar fokussiert auf die eigene Historie. Ob er sich mit Wellen und Gezeiten befasst oder mit dem Golfstrom, mit dem Leben am und im Meer, mit Fischerei, Meeressäugern oder gar mit Mythen über ozeanische Lebewesen – immer wieder bedient sich Hamblyn reichhaltig und unterhaltsam in der Kulturgeschichte und verknüpft deren schriftliche, auch poetische, wie bildliche Beschreibungen mit historischen Fakten und aktuellen Erkenntnissen. Klar, dass in einem derart vielfältigen Buch Ausführungen über Beziehungen der Musik, der bildenden Kunst, des Films zum Meer ebenso wenig fehlen dürfen wie über Shantys oder maritime Sprachimpulse. Es ist lehrreich und vergnüglich, Hamblyn zu lesen.
Das „Nachwort“ betitelte Schlusskapitel über die „Meere der Zukunft“ ist zwar nur kurz, darf aber wegen seiner klaren Eindeutigkeit nicht unerwähnt bleiben: „Wenn der Ozean eine anerkannte weltweite Schutzzone wäre“, heißt es da aktuell und präzise, „würde die Menschheit vielleicht allmählich lernen, den Wert der Meere und ihrer fragilen Ökosysteme zu schätzen.“ – Dem ist nichts hinzuzufügen.
Peer Janssen