Polares Abenteuer – Rezension

Kal­ve­la­ge, Tim: Polar­stern – For­schen im Eis; Nürn­berg 2022; Tessloff Ver­lag – Rei­he Was ist was?; Hard­co­ver, 96 Sei­ten; ISBN 978-3-7886-7628-5; Preis 19,95 Euro.

Eigent­lich war dies zu erwar­ten: Einer­seits ist der Nürn­ber­ger Tessloff-Verlag mit sei­ner „Was-ist-was“-Serie tra­di­tio­nell zu nah dran am wis­sen­schaft­li­chen Gesche­hen, um eine sol­che Chan­ce nicht zu erken­nen und zu nut­zen. Ande­rer­seits ist das Bre­mer­ha­ve­ner Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Mee­res­for­schung (AWI) bekannt­lich sehr enga­giert – und erfolg­reich – dar­in, Berich­te über sei­ne For­schungs­ak­ti­vi­tä­ten „unters Volk“ zu bringen.

Also lag es nahe, die bereits erschie­ne­nen Tessloff-Bände über „Polar­ge­bie­te“, „Kli­ma“ oder „Ozea­ne“ um eine Zusam­men­fas­sung der fast legen­dä­ren ark­ti­schen Packeis-Drift des For­schungs­schiffs „Polar­stern“ zu ergän­zen, ja, zu berei­chern: Der vor­lie­gen­de Son­der­band der „Was-ist-was“-Reihe erfüllt die­sen Anspruch auf gewohn­te Wei­se – knapp, über­sicht­lich, abwechs­lungs­reich, ver­ständ­lich und auch ein biss­chen spannend.

Eine sol­che For­schungs­rei­se von inter­na­tio­na­ler Bedeu­tung lässt sich ver­ständ­li­cher­wei­se nicht dar­stel­len, ohne einem jun­gen Lese­pu­bli­kum, das mit Vor­aus­set­zun­gen und Ver­lauf der MOSAiC-Expedition noch nicht ver­traut ist, ein paar grund­le­gen­de Infor­ma­tio­nen an die Hand zu geben: Die ers­ten Kapi­tel des Buches sind daher, noch ohne nen­nens­wer­ten Bezug zur „Polar­stern“, der Bedeu­tung von Ark­tis (und Ant­ark­tis) für die­sen Glo­bus gewid­met, beschrei­ben die Polar­re­gio­nen als Lebens­räu­me der Extre­me, wobei nicht nur Kin­dern und Jugend­li­chen bekann­te Tie­re wie Eis­bä­ren oder Pin­gui­ne, son­dern auch Rob­ben, Plank­ton oder Glas­schwäm­me „vor­ge­stellt“ wer­den. Und selbst­ver­ständ­lich wer­den auch Ursa­chen und Erschei­nungs­for­men des Kli­ma­wan­dels erläu­tert, schließ­lich war die „Polarstern“-Reise ja vor allem den dar­aus resul­tie­ren­den Fol­gen nicht nur für die Ark­tis, son­dern die gesam­te Erde gewidmet.

Eisschollen-Drift

Erst nach Ver­mitt­lung die­ser Grund­la­gen – Ken­ner der Tessloff-Reihe dürf­ten ein­zel­ne Punk­te aus ande­ren Bän­den der Serie ver­traut sein – wird in drei umfang­rei­chen Kapi­teln die eigent­li­che MOSAiC-Expedition geschil­dert. Da wird die „Polar­stern“ in Auf­bau und Aus­rüs­tung beschrie­ben, es wer­den Besat­zung, For­schungs­teams und logis­ti­sche Vor­be­rei­tung erklärt, aber auch die her­aus­ra­gen­de Idee, sich ange­fro­ren an einer gro­ßen Eis­schol­le mit die­ser drif­ten zu las­sen. Es fol­gen Berich­te über den Ver­lauf der Expe­di­ti­on durch die Polar­nacht mit Epi­so­den über ein­zel­ne For­schungs­ak­ti­vi­tä­ten, das Leben an Bord und in eisi­gen Camps, über die Abwehr von Eis­bä­ren und Gefah­ren durch Wet­ter­ex­tre­me, aber auch über die mar­kan­ten Pro­ble­me durch die Corona-Pandemie, die fast einen Abbruch der Expe­di­ti­on bewirkt hätte.

Bevor es dann zusam­men­fas­send und per­spek­ti­visch um „Die Zukunft der Polar­re­gio­nen“ geht, gilt es erst noch eine eben­so ori­gi­nel­le wie infor­ma­ti­ve Epi­so­de zu ver­ar­bei­ten: Zuvor war bereits ver­glei­chend Bezug genom­men wor­den zur Expe­di­ti­on der nor­we­gi­schen „Fram“ vor knapp 130 Jah­ren – nun wird die aktu­el­le Rei­se der „Polar­stern“ bilan­ziert in Form eines fik­ti­ven Inter­views zwi­schen Expe­di­ti­ons­lei­ter Mar­kus Rex und sei­nem „his­to­ri­schen Vor­gän­ger“, dem „Fram“-Kapitän Fri­dt­jof Nan­sen: eine eben­so fas­zi­nie­ren­de wie auf­schluss­rei­che Idee!

Mehr Mut!

Lei­der weist die­ses an sich tol­le Buch in sei­nem letz­ten Kapi­tel eine Schwä­che auf: Es lässt jeden Mut ver­mis­sen, wenn es – „neben der Erd­er­wär­mung gibt es noch ande­re Bedro­hun­gen“ – knapp und über­sicht­lich etli­che Bei­spie­le für Mee­res­um­welt­ver­schmut­zung und -gefähr­dung beschreibt, sich dann aber in den nach­fol­gen­den Ver­hal­tens­tipps auf All­ge­mein­plät­ze beschränkt, ohne ein ein­zi­ges Mal auf den glo­ba­li­sier­ten Kapi­ta­lis­mus als Ursa­che zu ver­wei­sen: Nein, das muss, das darf in einem Jugend­buch nicht mit die­sen oder ähn­li­chen Wor­ten gesche­hen, es gibt aber genü­gend Aus­drucks­mit­tel, um auch jun­gen Men­schen aktu­el­le Ver­hält­nis­se zu erklä­ren. Mag sein, dass das nicht den Absich­ten des Ver­la­ges und/oder des AWI ent­spricht – da haben dann Eltern und ande­re Erzie­hen­de eine Zusatz­auf­ga­be, wenn sie die­ses Buch verschenken…

Peer Jans­sen