Deen, Mathijs: Der Taucher – Roman; Hamburg, 2023; mareverlag;
Hardcover, 318 Seiten; ISBN 978-3-8664-8701-7; Preis 22,00 Euro
Im mit Spannung erwarteten zweiten Kriminalroman des Niederländers Mathijs Deen um seinen deutsch-holländischen Ermittler Liewe Cupido verlagert sich dessen Einsatzgebiet vom Dollart in die östliche Deutsche Bucht, in die Region zwischen den Inseln Föhr und Amrum und der Jade-Stadt Wilhelmshaven.
Um es vorweg zu nehmen: Die Erwartung wird nicht enttäuscht. Deen präsentiert einen Roman, der wieder in nordisch-lakonischer Erzählweise eine Geschichte um vielfältige menschliche Entwicklungen und Katastrophen entfaltet. Während die Handlung ständig zwischen prickelndem Thrill und ruhigem, manchmal fast behäbigem Dahinfließen wechselt, bringt Deen einem nicht nur seinen äußerst wortkargen Ermittler Cupido und die Menschen, mit denen er gerade befasst ist, nahe, sondern zugleich auch das Meer und seine Küsten als Orte des aktuellen Geschehens ebenso wie als Lebensraum.
Ein niederländisches Bergungsschiff entdeckt westlich der Amrumbank per Zufall einen toten Taucher, der mit Handschellen an ein Wrack auf dem Meeresgrund gekettet ist. Allein dieser Einstieg wirft eine Reihe von Fragen auf, die letztlich nur zum Teil beantwortet werden. Das Bergungsschiff ist angeblich auf der Suche nach einem verlorenen Container – es bleibt aber offen, ob das Ausrede oder Wahrheit ist. Das Wrack, seit Jahrzehnten schon vermisst, ist nämlich auf Grund seiner sehr wertvollen Kupferladung extrem begehrt: Wie schon in seinem ersten Roman die Langstrecken-Wattwanderer, stellt Deen auch hier wieder eine „Zunft“ vor, die in ihren Eigenheiten ebenso regionaltypisch wie verschlossen daherkommt – Wracktaucher, die oft abenteuerliche Unterwasseraktivitäten unternehmen in der nie verendenden Hoffnung, eines Tages reich zu werden; der tote Taucher war einer von ihnen. Wegen der Handschellen erscheinen Unfall oder Selbstmord ausgeschlossen, die wertvolle Ladung ist aber unberührt: Warum also musste er sterben?
Gezielte Verwirrung
Cupidos Ermittlungen führen ihn mal nach Föhr, wo der Tote gelebt hatte, mal nach Wilhelmshaven, wo dessen geschiedene Frau mit beiden Söhnen lebt. Aus diesem Hin und Her, verstrickt mit Abstechern nach Dänemark – dort wurde des Toten Boot gefunden – und Terschelling – Recherchen bei einem Tauchclub – entwickelt Deen eine anfangs gezielt verwirrende und dann immer mehr sich zuspitzende Handlung: Da gibt es die Familie des Toten mit der Ex-Frau als erfolgreicher Maklerin, aber gänzlich ohne Trauer; einer ihrer Söhne ist ein polizeibekannter Randalierer, der gerade einen Gleichaltrigen klinikreif geprügelt hat, vom Vater aber vor dessen Tod ein entlastendes Alibi erhielt. Es gibt die Familie des Opfers, hin- und hergerissen zwischen Sorge um den Sohn und Wut über den Täter und dessen Alibigeber. Es gibt Auseinandersetzungen um das „Verschachern“ von Inseln und Halligen an den Tourismus, es gibt Gezerre um ein in der Nähe versunkenes Weltkriegs-U-Boot, das sowohl die Marine als auch Nazi-Devotionalien-Jäger beschäftigt. Es gibt störrische Insulaner und kurios wirkende Dorfpolizisten und weitere skurrile oder finstere Gestalten. Ein bisschen spielt noch Cupidos eigene Familiengeschichte hinein, denn sein Vater war Fischer und ist auf See geblieben.
All dies macht aus Liewe Cupidos zweitem Fall ein tolles maritimes Leseabenteuer, das in seiner flüssigen, abwechslungsreichen und spannenden Schreibe leider viel zu schnell verschlungen ist. Anders als beim ersten Band ist dieses Mal (noch) keine Fortsetzung angekündigt. Allerdings deutet am Schluss des Romans alles darauf hin, dass es sie geben wird. An dieser Stelle sei jedoch ein Hinweis gestattet: Das Bemühen des Autors, seiner Erzählung über einen bewusst als spröde dargestellten Ermittler, was dem Buch eine attraktive Note verleiht, nun unbedingt per zugelaufenem Hund eine „emotionale Prise“ hinzuzufügen, wirkt störend. Ein Kriminalbeamter, der seinen Bello zu allen möglichen dienstlichen Einsätzen mitnimmt und dafür sogar noch Sonderrechte gewährt bekommt – das ist so irreal, dass es nur aufdringlich und aufgesetzt wirkt; zumal dieser Hund dann noch zum „Vehikel“ einer beginnenden Beziehungskiste zu werden scheint. Das hätte nicht sein müssen. Nicht, dass aus Cupido noch ein empathischer Zeitgenosse wird…
Burkhard Ilschner