Meere sind mehr als Ressource – Rezension

Ste­ge­mann, Andrea (Hrsg.): Mensch und Meer – Wie die Macht der Ozea­ne unser Leben prägt;
Darm­stadt, 2022; wbg – Wis­sen­schaft­li­che Buch­ge­sell­schaft; Hard­co­ver, 128 Seiten;
ISBN 978-3-8062-4546-2; Preis 29,00 Euro.

Das abge­bil­de­te Cover die­ses Buches – es stammt von der Ver­lags­web­sei­te – ist lei­der etwas irre­füh­rend, sug­ge­riert es doch in sei­ner gra­fi­schen Dar­stel­lung, es han­de­le sich um das Titel­bild eines Wäl­zers. Dem ist nicht so: Das mit sei­nen 128 Sei­ten ver­gleichs­wei­se dün­ne Bänd­chen ent­hält eine sach­lich gewis­sen­haft struk­tu­rier­te Samm­lung von Auf­sät­zen, in denen neun Autorin­nen und Autoren einen Über­blick geben über das eben­so kom­pli­zier­te wie kon­flikt­rei­che Ver­hält­nis von Mensch(heit) und Meer(en).

Das beginnt bei „mög­li­chen Hin­wei­sen auf Hochsee-Reisetätigkeiten vor min­des­tens 130.000 Jah­ren“ und reicht bis zum Aus­blick auf das Ende der UN-Dekade der Mee­res­for­schung im Jah­re 2030. Die straf­fen, dabei aber mit 2-6 Sei­ten rela­tiv kur­zen Bei­trä­ge behan­deln die Ozea­ne in ihrer geo­his­to­ri­schen Ent­wick­lung, beschrei­ben See­fahrts­ge­schich­te eben­so wie die Viel­falt des Lebens in den Mee­ren und füh­ren uns auf Wan­der­rou­ten ein­zel­ner Arten rund um die Welt sowie in tiefs­te Lebens­räu­me. Sie beschrei­ben die Bedeu­tung der Ozea­ne für das Welt­kli­ma, die Gefähr­dun­gen die­ser wich­ti­gen Funk­tio­nen und der Arten­viel­falt durch den Men­schen, aber auch die Risi­ken, die sich mensch damit selbst einbrockt.

Um es kurz und zusam­men­fas­send zu sagen: Die Auf­sät­ze sind in ihrer Knapp­heit sehr ver­ständ­lich geschrie­ben und damit gut und anre­gend les­bar, zudem auf über­leg­te und oft hilf­reich erklä­ren­de Wei­se mit Fotos und Gra­fi­ken reich­hal­tig bebil­dert. Das gilt auch für den anschlie­ßen­den zwei­ten Teil, der unter der Abschnitts-Überschrift „Das Meer als Res­sour­ce“ prä­sen­tiert wird. Hier geht es um nahe­zu alles, was mensch an den Ozea­nen inter­es­siert oder inter­es­sie­ren könn­te – Schiff­fahrt, Salz, Ener­gie, Fische­rei, Roh­stof­fe und vie­les mehr. Auch die­se Kapi­tel sind sprach­lich und illus­tra­tiv so gestal­tet, dass das Prä­di­kat „Lese­ver­gnü­gen“ nahe lie­gen könnte.

Lei­der ist die Reduk­ti­on der zuvor als beein­dru­ckend viel­fäl­tig beschrie­be­nen Mee­re auf die Kate­go­rie „Res­sour­ce“ weder Ver­ein­fa­chung noch Ver­se­hen: Die Nutz­bar­keit so deut­lich über die Schutz­wür­dig­keit zu stel­len, scheint sozu­sa­gen sys­te­misch gewollt zu sein. Autorin­nen und Autoren beschrei­ben zwar dezi­diert und nach­voll­zieh­bar Risi­ken und Gefah­ren für die Mee­res­um­welt durch anthro­po­ge­nes Ver­hal­ten, schil­dern aber eben­so sorgfältig-sachlich auch öko­no­mi­sches und poli­ti­sches Nut­zungs­ge­ba­ren – ohne etwa Letz­te­res deut­lich als Ursa­che des Ers­te­ren her­vor­zu­he­ben. Die­ser Ver­zicht auf eige­ne kri­ti­sche Posi­tio­nie­rung ist der­art auf­fäl­lig, dass man sich an längst ver­gan­gen geglaub­te Wis­sen­schafts­denk­wei­se (Stich­wort Objek­ti­vi­täts­mys­tik) erin­nert fühlt.

Dem Buch wird damit die Chan­ce genom­men, mit sei­ner ansons­ten tol­len Gestal­tung zugleich auch ein ernst­haf­tes Stück zur akti­ven Ver­än­de­rung der beschrie­be­nen Ver­hält­nis­se bei­zu­tra­gen. Schade.

Peer Jans­sen