Meyer-Hentrich, Wolfgang: Wahnsinn Kreuzfahrt –
Gefahr für Natur und Mensch; Berlin, 2019; Ch. Links Verlag;
Paperback, 248 Seiten; ISBN 978 3 9628 9031 5; Preis: 20,00 Euro
Eine Seefahrt, die ist lustig? – Die Veranstalter des hochprofitablen Milliardengeschäfts Kreuzfahrttourismus dürften das so sehen. Buchautor Wolfgang Meyer-Hentrich indes sieht „eine Art ‚Kreuzfahrtimperialismus‘ …, der von mächtigen Konzernen ausgeht, die die Ozeane für ihre wirtschaftliche Expansion und zur Befriedigung ihrer ungehemmten Kapitalgier okkupieren und ausbeuten“. Er will „die dunklen Seiten des Kreuzfahrtgeschäfts“ stärker „ins Bewusstsein der Öffentlichkeit“ bringen und so die scheinbar endlose Erfolgsspirale wenigstens ein bisschen bremsen.
Meyer-Hentrich liebt klare Worte. In seiner Philippika gegen das Kreuzfahrt-Unwesen stellt er unmissverständlich fest: Wer sich mit dessen Entstehungsgeschichte beschäftige, komme „an den Urlaubsorganisationen des Faschismus nicht vorbei“. Viele „Aida“- oder „Mein-Schiff“-Reisende mögen dies spontan als Affront empfinden – aber vielleicht fängt die eine oder der andere doch an, darüber nachzudenken, was der Autor von „Wahnsinn Kreuzfahrt“ ausdrücken will.
Er beschreibt eine direkte Verbindung vom frühen staatlich gesteuerten Beginn des Massentourismus im Faschismus der 1930er Jahre über den im Nachkriegs-Westeuropa der 1960er und 1970er blühenden „marktwirtschaftlichen“ Hotel- und Betonboom an Europas Mittelmeerküsten bis hin zu den jetzt über die Meere kreuzenden schwimmenden Vergnügungstempeln: Heute wie damals werde den Reisenden gelenkte und durchorganisierte Unterhaltung geboten, deren Inanspruchnahme keinerlei Eigeninitiative erfordere. „Die Flut des Tourismus“, stellt Meyer-Hentrich seinem Buch ein Enzensberger-Zitat voran, „ist eine einzige Fluchtbewegung aus der Wirklichkeit, mit der unsere Gesellschaftsverfassung uns umstellt.“
„Wahnsinn Kreuzfahrt“ ist eine bitterböse scharfe Kritik und doch abwechslungsreich und – ja – auch unterhaltsam geschrieben. Hintergründig schildert der Autor, wie das Phänomen Kreuzfahrt von einem Luxus- zu einem Massengut entwickelt wurde, erläutert mafiöse Strukturen auf US-Schiffen in den 1920ern – mit Glücksspiel- und Alkohol-Exzessen, wegen der Prohibition außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer – ebenso wie die erwähnten Anfänge dieses Tourismus-Segments im italienischen und deutschen Faschismus. Ausführlich seziert er die Geschichte der heutigen Weltmarktführer Carnival Cruises, Royal Caribbean und Norwegian Cruise, die sich (gemeinsam mit dem kleineren Wettbewerber MSC Cruises) 92 Prozent des Geschäfts teilen; nachdrücklich betont er die Verflechtung dieser Drei untereinander über gemeinsame Eigentümer wie den umstrittenen US-Investor BlackRock.
Ausbeutung an Bord
Wie in der Frachtschifffahrt, werden auch die schwimmenden Vergnügungstempel der Massenpassagierhaltung gerne zu oftmals regel- und tariflosen „Billigflaggen“ ausgeflaggt. Meyer-Hentrich verweist auf diverse (legale, aber moralisch unhaltbare) Steuervermeidungsstrategien der Reedereien, um sich dann ausführlich der Lage des Bordpersonals zu widmen – ausgebeutet, rechtlos, unterbezahlt und schikaniert nicht nur von Eignern und Schiffsführung, sondern oft auch von den Passagieren: Es scheint ein Merkmal des „Kreuzfahrtimperialismus“ zu sein, dass viele Reisende auf ihrer (Enzensberger‘schen) Flucht aus einem Mittelklassedasein dem – meist aus asiatischen oder lateinamerikanischen Ländern rekrutierten – Personal überheblich gegenübertreten.
Aufwändige Freizeitinstallationen an Bord – Diskotheken, Theater oder Einkaufszentren, Pools, Kletterwände oder Fitness-Center, Golfsimulatoren, Go Kart-Rennen oder neuerdings sogar Achterbahnen – lassen das Programmangebot als primär nach innen gerichtet erscheinen, die Meere werden ebenso zur Nebensache wie die angefahrenen Urlaubsorte. Weil diese zunehmend unter den nur kurz an Land gespülten Menschenmassen ächzen, beginnen manche Städte bekanntlich, sich zu wehren, nicht zuletzt auch wegen der erheblichen Schadstoff-, Müll- und Lärm-Emissionen, die die schwimmenden Massenpassagierhaltungs-Käfige ihnen bescheren. Gekonnt bissig geißelt Meyer-Hentrich auch hier die pseudogrünen Bemühungen der Reedereien um Image-Politur.
Wer sich nicht wehren kann, das sind sensible Regionen wie Arktis oder Antarktis, die zunehmend ebenso überschwemmt werden. Wehrlos sind aber auch die Passagiere selbst an Bord der schwimmenden Kabinenburgen: An deren Sicherheit zweifelt der Autor recht massiv und belegt detailliert, „dass Unglücke, Notfälle … keine Seltenheit sind, Katastrophen oft nur um Haaresbreite vermieden werden können“. Wobei sich seine Zweifel nicht nur auf natürliche Ereignisse oder nautische Fehler fokussieren, sondern Piraterie ebenso einbeziehen wie bordinterne Kriminalität oder Krankheiten.
Für Meyer-Hentrich entspricht der Kreuzfahrt-Wahn – seitens der Politik habe die Branche dank Lobbyismus und auch Korruption wenig zu befürchten – dem „Geist des Kapitalismus“ und erscheine als „zivilisierte Barbarei“. Gegen deren soziale und ökologische Unverträglichkeit seien konsequentes Umdenken in der Masse und institutionelle Restriktionen zwingend nötig, könnten aber nur ein Anfang sein (das Bündnis „Fair übers Meer“ versucht, dazu beizutragen – siehe hier).
Burkhard Ilschner