Navi“ durch die neuen Seidenstraßen – Rezension

Hoe­ring, Uwe: Der Lan­ge Marsch 2.0 – Chi­nas Neue Seidenstraßen
als Ent­wick­lungs­mo­dell; Ham­burg, 2018; VSA; Paper­back, 157 Seiten;
ISBN 978 3 8996 5822 4; Preis 14,80 Euro

Der Sino-Kapitalismus“, schreibt Uwe Hoe­ring in sei­nem Vor­wort, sei „im ‚fast for­ward mode‘“ und brin­ge „neue Dyna­mik“ für Glo­ba­li­sie­rung und Welt­ord­nung. Hoe­ring, ein aner­kann­ter Ost­asi­en (und Afri­ka )Exper­te, beschreibt Chi­nas Kon­zept der „Neu­en Sei­den­stra­ßen“ sowie die Fol­gen und mög­li­chen Pro­ble­me sowohl für Euro­pa als auch ande­re über die­ses Netz­werk ver­bun­de­ne Staa­ten und Kon­ti­nen­te. Weil Hoe­ring auch kom­pli­zier­te Sach­ver­hal­te her­vor­ra­gend erklä­ren kann, ist sein Büch­lein über die „Belt and Road Initia­ti­ve“ (BRI) eine gut ver­ständ­li­che Ein­füh­rung. Büch­lein? – Ja, die­ses Werk kann in sei­nem Umfang nur ein span­nen­der „Appe­tit­an­re­ger“ sein, wer Nähe­res wis­sen will, fin­det vie­le wei­te­re (auch aktu­el­le) Details unter ande­rem auf den Web­sei­ten der Köl­ner Stif­tung Asi­en­haus, zu deren Vor­stand Hoe­ring zählt.

2015 hat­te Bei­jings Natio­na­le Entwicklungs- und Reform-Kommission das BRI Kon­zept vor­ge­legt – Ent­wurf eines Net­zes inter­kon­ti­nen­ta­ler Land­ver­bin­dun­gen und mari­ti­mer Lini­en und Häfen als Stütz­punk­ten (sie­he auch WATERKANT 4 / 2017), des­sen Aus­bau seit­her mas­siv vor­an­ge­trie­ben wird. Hoe­ring beschreibt in oft nar­ra­ti­vem Stil die Kom­po­nen­ten der BRI, mischt Details der Kon­zep­ti­on mit ein­zel­nen – sach­li­chen oder geo­gra­phi­schen – Facet­ten ihrer Umset­zung, ana­ly­siert öko­no­mi­sche, finanz­po­li­ti­sche oder his­to­ri­sche Hin­ter­grün­de. Das wirkt anfangs etwas ver­wir­rend, aber wer sich dar­auf ein­lässt, merkt schon bald, wie Hoe­ring zum Ken­nen­ler­nen des Netz­werks anleitet.

Chi­na baut Stra­ßen, Bahn­stre­cken oder Flug­hä­fen, regelt Ener­gie­ver­sor­gung durch Erwerb oder Neu­bau von Stau­däm­men, Kraft­wer­ken oder Pipe­lines, baut oder erwirbt Häfen, um Schiff­fahrts­li­ni­en zu ver­net­zen – und das alles im gesam­ten asia­ti­schen, afri­ka­ni­schen und ara­bi­schen Raum bis tief nach Euro­pa. Hoe­rings Buch ent­stand bereits 2018 und schon damals bezeich­ne­te der Autor selbst es als eine „Moment­auf­nah­me“. Aktu­el­le Ent­wick­lun­gen wie im neben­ste­hen­den Arti­kel beschrie­ben (1) konn­te Hoe­ring damals zwar noch nicht ken­nen, viel­fach deu­tet er sie aber bereits als geplant an, lei­tet sie aus der Kon­zep­ti­on erklä­rend her – ein Indiz für hohe Sach­kennt­nis und zugleich eine Auf­wer­tung sei­nes Buchs zu einer zeit­lo­sen Anlei­tung, das BRI Kon­zept zu verstehen.

Hoe­ring beschreibt Chan­cen sowohl für die Ent­wick­lung Chi­nas als auch für des­sen Ver­net­zung mit Nach­bar­staa­ten und -kon­ti­nen­ten. Er zeigt Risi­ken und Gefah­ren auf – etwa für BRI Part­ner, die sich hoch ver­schul­den müs­sen oder nicht mehr Herr ihrer eige­nen Infra­struk­tur sind; für die Ver­schie­bung glo­ba­ler Macht­ver­hält­nis­se oder Transport- und Waren­strö­me. Und er kri­ti­siert die EU und ihre anhal­ten­de Pas­si­vi­tät gegen­über der BRI, obwohl Chi­na längst ein­zel­ne EU-Mitgliedsstaaten einbindet.

Was Hoe­ring nicht lie­fert, ist die Ant­wort auf die aus dem Kon­zept sich selbst stel­len­de Fra­ge, war­um die BRI allem Anschein nach nicht auch auf Latein­ame­ri­ka oder den süd­ost­pa­zi­fi­schen Raum aus­ge­rich­tet ist; auch das Ver­hält­nis Beijing-Washington unter der BRI Per­spek­ti­ve bleibt offen. Schel­te ver­dient der Ver­lag für den Ver­zicht auf ein eigent­lich hilf­rei­ches Regis­ter – und weil er eine BRI Kar­te in Grau­tö­nen schlecht kopiert wie­der­gibt, die schon im far­bi­gen Ori­gi­nal rela­tiv unüber­sicht­lich ist.

Scha­de – aber das Buch ist den­noch wert­voll: als „Navi“ durch die neu­en Seidenstraßen.

Burk­hard Ilschner

1. – Gia­cul­li, Pao­la: Chi­nas „Mari­ti­me Sei­den­stra­ße“ und das Ringen
um glo­ba­le Vor­herr­schaft – Durch die Ozea­ne zur Macht; Bei­trag in Heft 2 / 2019.