Weit mehr als nur ein Protokoll – Rezension

Kah­mann, Jan: Jagd auf mensch­li­ches Gold – Die Kape­rung des Con­tai­ner­schiffs „Tai­pan“
und der Ham­bur­ger Pira­ten­pro­zess; Bre­men, 2016; Kellner-Verlag;
Hard­co­ver, 470 Sei­ten; ISBN 978-3-9565-1115-8; Preis 18,90 Euro

Am 5. April 2010 wur­de das damals unter deut­scher Flag­ge fah­ren­de Con­tai­ner­schiff „Tai­pan“ vor der Küs­te Soma­li­as von Pira­ten über­fal­len. Ihr erklär­tes Ziel: Löse­geld­erpres­sung mit Schiff und Besat­zung als Pfand – „Jagd auf mensch­li­ches Gold“. Rund drei Stun­den lang hielt sich die Mann­schaft unter Deck ver­schanzt, dann befrei­ten Ein­satz­kräf­te der nie­der­län­di­schen Fre­gat­te „Tromp“ Schiff und Besat­zung. Die Pira­ten wur­den zunächst an Bord des Kriegs­schiffs gebracht und nach eini­gem diplo­ma­ti­schen Hin und Her schließ­lich nach Deutsch­land über­führt. Am 22. Novem­ber 2010 begann in Ham­burg der Straf­pro­zess gegen die zehn Män­ner, er dau­er­te bis zur Urteils­ver­kün­dung am 29. Okto­ber 2012 nahe­zu zwei Jahre.

Jan Kah­mann fuhr lan­ge als Kapi­tän auf Gro­ßer Fahrt unter ande­rem auf Schwer­gut­frach­tern, wech­sel­te dann zur dama­li­gen Gewerk­schaft ÖTV als Schiff­fahrts­se­kre­tär in Bre­men. Spä­ter über­nahm er Vor­stands­auf­ga­ben sowohl in der Nach­fol­ge­or­ga­ni­sa­ti­on ver.di als auch in der Inter­na­tio­na­len Transportarbeiter-Föderation (ITF); seit 2007 ist er Rent­ner. Jan Kah­mann hat den Ham­bur­ger Piraten-Prozess von Anfang bis Ende ver­folgt. Er hat aus sei­nen Auf­zeich­nun­gen und den ver­füg­ba­ren Unter­la­gen die­ses Buch erar­bei­tet, er nennt es einen „Real-Roman“ – zu Recht: Die fast 500 Sei­ten sind eine Mischung aus Ver­hand­lungs­pro­to­koll und politisch-subjektiver Wer­tung – das macht die Lek­tü­re eben­so span­nend wie infor­ma­tiv; aber auch anstren­gend. Man muss sich auf das The­ma ein­las­sen wollen.

Kah­mann ist als See­mann und Gewerk­schaf­ter selbst betrof­fen von dem Gegen­stand des Ver­fah­rens – es sind sei­ne Kol­le­gen, die vor Soma­lia, vor Gui­nea oder asia­ti­schen Küs­ten über­fal­len wer­den, obwohl sie nur ihren Job machen, ihren Lebens­un­ter­halt ver­die­nen wol­len; es sind sei­ne Kol­le­gen, die – längst nicht alle Über­fäl­le ver­lau­fen so glimpf­lich wie der auf die „Tai­pan“ – von Pira­ten ver­wun­det, gefol­tert oder getö­tet wer­den, die zum Teil jah­re­lang an den Fol­gen ihrer Erleb­nis­se zu lei­den haben. Trotz­dem wid­met Kah­mann wesent­li­che Tei­le sei­nes Buches auch den Fra­gen nach den Lebens­rea­li­tä­ten jener Soma­li­er: Was sind das für Men­schen, die sich – zum Teil erst 18 Jah­re alt – aus unter­schied­li­chen Ver­hält­nis­sen zum Pira­ten, zum Gewalt­tä­ter ent­wi­ckeln? Frei­wil­lig oder gezwun­gen? Aus Gier oder aus Not? Sind sie bru­ta­le Täter – oder eher Opfer von Ver­hält­nis­sen, die sie nicht zu ver­ant­wor­ten haben?

Es ist unstrit­tig, dass vom glo­ba­len Nor­den aus­ge­hen­de Macht­an­sprü­che die wir­re Lage in Soma­lia mit ver­ur­sacht haben. Ist ein Pro­zess gegen soma­li­sche Pira­ten vor einem deut­schen Gericht also ange­mes­sen, weil ihr Über­fall einem deut­schen Frach­ter galt? Oder ist das nur Aus­druck von Ausbeuter-Justiz? Kah­mann erör­tert all dies und mehr – mit kla­rer Posi­tio­nie­rung auf Sei­ten der betrof­fe­nen See­leu­te, aber mit einer beein­dru­cken­den Fair­ness und Offen­heit gegen­über den Tätern, ihrer Her­kunft, ihren Lebensumständen.

Um es klar zu sagen: Man soll­te sich auf das The­ma und auf die­ses Buch ein­las­sen. Der Fall „Tai­pan“ ist – lei­der – nicht ein­ma­lig und der Pro­zess konn­te vie­le offe­ne Fra­gen nicht abschlie­ßend klä­ren. Kah­manns Buch ist not­wen­dig für künf­ti­ge Debatten.

Burk­hard Ilschner