Deen, Mathijs: Der Retter – Roman; Hamburg, 2024; mareverlag;
Hardcover, 378 Seiten; ISBN 978-3-8664-8707-9; Preis 23,00 Euro
Liewe Cupido, zum Dritten! Der deutsch-niederländische Kommissar von der Cuxhavener Bundespolizei hat einen neuen Fall – und der führt ihn wieder einmal in die Grenzregion zwischen der niederländischen und der deutschen Wattenmeerküste. So weit, so wenig überraschend.
Das ändert sich aber schnell: In einem kurzen Prolog nimmt Mathijs Deen die Leser mit in das Jahr 1995 und schildert Havarie und Untergang des deutschen Seeschleppers Pollux nördlich von Ameland in einer stürmischen Märznacht. Seenotretter von dort sowie von Norderney starten zu einer gemeinsamen Hilfsaktion und es gelingt ihnen, alle Besatzungsmitglieder zu bergen – bis auf den Kapitän, dessen Rettung misslingt spektakulär und er bleibt anschließend verschollen.
Gut 20 Jahre später finden Touristen an der nordostenglischen Küste von Northumberland nahe der Grenze zu Schottland die Überreste einer Leiche und alsbald können die dem verschollenen Kapitän zugeordnet werden. Was natürlich zu grenzübergreifenden Ermittlungen führt, um die Vorgänge bei der einstigen Bergungsaktion vielleicht aufzuklären. Liewe Cupido soll das zwar in die Hand nehmen, zieht aber seinen Norderneyer Kollegen Xander Rimbach hinzu; erst, als dieser wegen einer Vergiftung vorübergehend ausscheidet, muss der Kommissar selbst einspringen – übrigens unterstützt von seiner ehemaligen niederländischen Kollegin Geeske Dobbenga.
Soweit klingt das alles noch recht vertraut, wenn man die früheren Romane über Cupido kennt. Aber ab jetzt wird es etwas anstrengend – und ist doch angenehm zu lesen. Es wäre falsch, dieses Buch als „Krimi“ oder gar „Thriller“ zu klassifizieren, wie es hier und da geschehen ist; der Verlag nennt es schlicht „Roman“ und das ist gut so. Denn obwohl es sich – ist ja momentan sowieso medial angesagt – um einen buchstäblichen „cold case“ handelt, entfaltet Deen gekonnt eine Handlung, die sich zwar von Anfang an und gegen Schluss erst recht kriminalistisch entwickelt. Aber eigentlich ist es eine ebenso spannende wie auch gemütlich anmutende Geschichte über teilweise sehr spezielle Menschen, die als Küstenbewohner und Insulaner ihre Eigenwilligkeiten pflegen oder auch verbergen; die Fremden, insbesondere Ermittlern, liebend gerne ein X für ein U vormachen oder ihnen manches verschweigen; die einander trotz jahrzehntelangen Zusammenlebens noch immer nicht recht trauen, gegeneinander intrigieren, aber auch mal offen austeilen. Und das ist gemeint mit „etwas anstrengend“: Es fällt manchmal schwer, den Überblick über die vielen Akteure zu behalten – so toll sich dieser Roman auch liest, es ist keine leichte Unterhaltung.
Seenotretter im Mittelpunkt
Zum Inhalt selbst sei hier nur so viel verraten: In die Aufklärung des Rettungs- und Bergungs-Einsatzes für die Pollux und des Schicksals des Schlepperkapitäns sind neben den Ermittlern vor allem die aktiven und ehemaligen Besatzungsmitgliedern der Rettungs- und Bergungsschiffe eingebunden – wie überhaupt dieser Roman einen Schwerpunkt setzt auf die Arbeit der Seenotretter samt ihrer persönlichen Verarbeitung erfolgreicher wie (in diesem Fall) gescheiterter Rettungsaktionen. Darüber hinaus agieren außer der Kapitänswitwe weitere Angehörige, Nachbarn und Betroffene, und Deen entwickelt daraus – in vielen Abschweifungen vom eigentlichen Handlungsstrang – gemächlich, komplex und spannend eine Art Sittengemälde eben des Insulanerlebens zwischen Harlingen und Norderney. Es ist zwar leider unvermeidlich, dass Mathijs Deen seine Geschichte nicht erzählen kann ohne Cupidos persönliche „Altlasten“ (Familiäres, Hündin Vos, Noch-nicht-oder-doch-gefährtin Miriam), aber irgendwie wirken diese Teile in diesem dritten Roman nicht ganz so aufdringlich wie bisher; verzichtbar wären sie trotzdem. Als entspannend hervorzuheben wären schließlich noch seine eindrucksvollen, ins Geschehen geflochtenen Beschreibungen der rauen Insel- und Wattenlandschaft und der weiten, unberechenbaren See – und das ganz ohne sonst oft übliches Romantikgewusel.
Und, nein, hier werden jetzt keine Details ausgebreitet zum Verlauf der Ermittlungen, geschweige denn zu ihrem ebenso fulminant geschilderten wie überraschenden Ergebnis; das möge sich jeder selbst „erlesen“ und dabei – kleiner Tipp, um ein bisschen die Neugier anzustacheln – immer schön die Erwähnungen eines rätselhaften Koffers verfolgen!
Burkhard Ilschner