Tiefsee-Wissen für Fleißige – Rezension

Fox, Brad: Leuch­ten am Mee­res­grund – Aus dem Logbuch
der ers­ten Tiefsee-Expedition; Freiburg/Breisgau 2024, wbg Theiss;
Hard­co­ver, 335 Sei­ten; ISBN 978-3-5346-1027-3; Preis 29,00 Euro

Span­nend. Sper­rig. Sprung­haft. – Wenn man sich auf die­ses Buch ein­lässt, wird man es nur genie­ßen kön­nen, falls man bereit ist, es sich auch zu erar­bei­ten. Irgend­ein ande­rer Rezen­sent (*) hat den Begriff „Schnip­sel­al­bum“ gewählt, um Brad Fox‘ Werk zu beschrei­ben – dan­ke, das trifft es nahe­zu perfekt.

Eigent­lich geht es, wie der Unter­ti­tel es andeu­tet, um ein in der Wis­sen­schafts­ge­schich­te als Pio­nier­tat ver­merk­tes For­schungs­vor­ha­ben: Ab 1930 tauch­ten der Bio­lo­ge Wil­liam Bee­be und der Inge­nieur Otis Bar­ton mit einer Forschungs-Stahlkugel, die sie „Bathy­sphä­re“ getauft hat­ten, wie­der­holt vor den Ber­mu­das in den Atlan­tik: Sie erreich­ten dabei mit mehr als 900 Metern Tie­fen, die zuvor noch kein ande­rer Mensch auf­ge­sucht hat­te; wes­halb ihre Unter­neh­mun­gen auch als wesent­li­cher Bei­trag zur begin­nen­den anthro­po­ge­nen Tief­see­for­schung gelten.

Mit dabei ist die Mee­res­bio­lo­gin Glo­ria Hol­lis­ter – aller­dings nur mit­tel­bar: Sie sitzt auf dem jewei­li­gen Begleit­schiff, wenn die Bathy­sphä­re wie­der ein­mal in die Tie­fe sinkt, und ist mit Bee­be und Bar­ton via Tele­fon­ka­bel ver­bun­den. Auf­ge­regt pro­to­kol­liert sie, über­wie­gend sach­lich und manch­mal emo­tio­nal, Bee­bes Berich­te und Ein­drü­cke, fer­tigt teil­wei­se Illus­tra­tio­nen nach sei­nen Schil­de­run­gen an. Man wird Zeu­ge sei­ner und ihrer Begeis­te­rung über die bis­lang unbe­kann­te Unter­was­ser­welt, die sich beim Blick durch klei­ne Bull­au­gen und durch ver­ba­le Über­mitt­lung „nach oben“ erschließt. Man nimmt teil an Bee­bes Auf­re­gung über uner­klär­li­che Effek­te aus Licht und Dun­kel­heit, aus Far­ben und Schwär­ze, über Krea­tu­ren, die zuvor kein mensch­li­ches Auge erbli­cken durfte.

Aber das genügt dem New Yor­ker Wis­sen­schafts­jour­na­lis­ten Brad Fox nicht. Ja, die Log­bü­cher die­ser Expe­di­tio­nen sind die Grund­la­ge sei­nes in den USA bereits preis­ge­krön­ten Werks, aber wesent­lich sind die erklä­ren­den Ergän­zun­gen, die teil­wei­se akri­bi­sche Schil­de­run­gen der indi­vi­du­el­len Geschich­te ihrer Betei­lig­ten. Und ja, neben blo­ßer Wie­der­ga­be aus­ge­wähl­ter Log-Inhalte fas­zi­niert er nicht nur sprach­lich mit einer Mischung aus Stich­wor­ten und Frag­men­ten, aus erreg­ter Über­ra­schung und wis­sen­schaft­li­cher Akri­bie. Sei­ne Aus­wahl aus den reich­hal­ti­gen Illus­tra­tio­nen des Log­buchs – über­wie­gend Skiz­zen und Fotos, Gra­fi­ken oder Zeich­nun­gen in unter­schied­li­chen Stil­for­men – machen sein Werk stre­cken­wei­se auch zu einem visu­el­len Erlebnis.

Fox schweift jedoch des Öfte­ren auch gekonnt ab vom eigent­li­chen Gesche­hen um Bee­be & Co.: Sei­ne elo­quen­ten Aus­flü­ge in die Wis­sen­schafts­ge­schich­te – ihr Spek­trum reicht von der Anti­ke über mit­tel­al­ter­li­che Poe­ten und For­scher bis zu zeit­ge­nös­si­scher Pro­mi­nenz und streift punk­tu­ell selbst die Neu­zeit – wir­ken manch­mal in den ers­ten Absät­zen abwe­gig und erst im wei­te­ren Ver­lauf erschließt es sich, was die­se Abhand­lun­gen nun doch mit Bee­be und sei­nen For­schun­gen zu tun haben.

Und hier schließt sich der Beschrei­bungs­bo­gen zu den anfäng­li­chen Stich­wor­ten „Erar­bei­ten“ und „Schnip­sel­al­bum“: Ohne Fleiß kein‘ Preis, möch­te man fast an alte Rede­wen­dun­gen erin­nern – die­ses Buch ist kei­nes zum Schmö­kern. Man muss sich dar­auf ein­las­sen wol­len, man muss bereit sein, Gedan­ken­sprün­ge mit­zu­ma­chen und teil­wei­se ver­schlun­ge­ne Spu­ren zu ver­fol­gen, man darf sich nicht wun­dern über „Schnipsel“-Begegnungen mit US-Präsident Theo­do­re Roo­se­velt, dem Gangs­ter­pär­chen Bon­nie und Cly­de oder dem deut­schen „See­teu­fel“ Felix Graf von Luck­ner. Wer sich hier­für und vie­le ande­re Über­ra­schun­gen Zeit und Muße nimmt, lernt nicht nur eine frem­de Welt ken­nen, son­dern auch, wie man sich für sie begeistert.

Peer Jans­sen

(*) Ich bit­te um Nach­sicht, aber ich habe Namen und Quel­le ver­se­hent­lich nicht notiert und fin­de sie nicht wieder…