Von Burkhard Ilschner*
TTIP, Lateinamerika, Südafrika, Bangladesch, Euro-Krise, FIFA, Ukraine, Waffenhandel, Drogengeschäfte, Sozialabbau, Überwachungsstaat, Giftgas oder Organhandel – die Vielfalt der Themen dieser Zeitschrift ist ebenso unerschöpflich und global wie die „Kreativität“ der Akteure krimineller Ökonomie. Aber nahezu jedes dieser Stichworte ist irgendwie verknüpft mit oder abhängig von einem Wirtschaftsbereich, der in dieser Zeitschrift bislang (fast) nie thematisiert worden ist: mit dem maritimen Sektor. – [Vorspann aus der Zeitschrift BIG Business Crime, ISSN 1861-6526, 2/2015, S. 13]
Schiffbau, Schifffahrt, Häfen; Logistik und Transport, Forschung, Rohstoffe – der maritime Sektor zeitigt mit seiner komplexen Infrastruktur multiple Auswirkungen auf Meere und Küstenregionen. Oftmals geschieht dies unter Missachtung elementarer sozialer Bedürfnisse oder ökologischer Notwendigkeiten – sehr häufig aber auch unter Inanspruchnahme abgestufter Unterstützungsformen vom leisen Lobbyismus über verschiedene Subventionen bis zum direkt begünstigenden staatlichen Handeln. Die hier beginnende Artikelserie (1) soll einen ersten Eindruck vermitteln, welch wirtschaftskriminelles Potenzial an den Küsten und auf den Meeren zu finden war und ist (2).
Deutschlands maritime Wirtschaft ist im internationalen Vergleich stark aufgestellt: Ende 2013 zählte die Handelsflotte deutscher Reeder 3580 Schiffe, nach Japan und Griechenland besetzte die BRD damit den dritten Platz der Weltrangliste (3); allerdings fuhren davon nur rund 400 Schiffe unter deutscher Flagge (mehr dazu später), was der BRD den 16. Platz der diesbezüglichen Weltrangliste bescherte. Mit insgesamt 1603 Containerschiffen waren die deutschen Reeder 2013, bezogen auf die Stückzahl, mit weitem Abstand Weltmarktführer (davon nur 183 Einheiten unter deutscher Flagge); die folgenden sechs Nationen – Dänemark, Japan, Griechenland, Schweiz, China und Taiwan – kamen zusammen nicht an diese Zahl heran (4).
Trotz dieser herausragenden Position (oder gerade wegen ihr…) ist den Akteuren der maritimen Wirtschaft eines in der Regel völlig fremd: das Wort Bescheidenheit. Klar, die Branche sieht sich in einem ständigen und teilweise rasanten Umbruch. Neue oder wegbrechende Märkte, selbstgemachte oder das Bewältigen von Folgen „externer“ Krisen, technische Neuerungen, globale politische Veränderungen, wachsende Umweltschutzanforderungen oder die Folgen von Klimaveränderung waren und sind – auch in wechselnden Beziehungen untereinander – immer wieder Auslöser massiver Verschiebungen der Verkehrsströme.
Für die maritime Branche sind solche stetigen Veränderungen Anlass zu ständigem Klagen, für Begehrlichkeiten und Forderungen an die Adresse des Staates, der Verwaltung, der Gesellschaft: Öffentliche Gelder auch dann, wenn Subventionen nicht mehr Subventionen heißen dürfen; Anpassung juristischer und anderer Regeln, bis sie passen; und schließlich die Erwartung an die Allgemeinheit, in diffuser Dankbarkeit alles hinzunehmen, was Reeders oder Hafenbetreibers oder Werfteigners Brieftaschen begehren.
Um – heute – beim letzten Beispiel anzufangen: Seit weit mehr als 100 Jahren wird Schiffbau in Deutschland (5) von massiven staatlichen Hilfen getragen. Und dieses finanzielle Engagement der öffentlichen Hand wird immer auch begleitet von einer begünstigenden Strukturpolitik nach dem Motto: Was wir fördern, können wir nicht hängen lassen.
Aktuell bekanntestes Beispiel ist der Meyer Konzern in Papenburg, der neben verschiedenen, jeweils rechtlich abgesicherten Subventionen weitreichende andere Unterstützung erfährt: Das betrifft zum einen die stetige Anpassung des Flüsschens Ems an die weiter wachsenden Schiffsgrößen – der auf Kreuzfahrt-Riesen spezialisierte Konzern beharrt auf Seeschiffs-Produktion im Binnenland und ignoriert alle, auch subventionsbegleitete, Angebote einer teilweisen Standortverlagerung; alle Kosten für Flussausbau, Sperrwerk, Baggerungen oder Stauungen darf der Steuerzahler berappen. Zum anderen dehnt sich diese Willfährigkeit von Politik, Verwaltung und Gewerkschaft aus auch auf soziale Fragen, etwa bezüglich jahrelangen Stillhaltens angesichts der Beschäftigung massiver Leiharbeiter-Billiglöhner-Kontingente – bis durch dummen Zufall Todesopfer für unliebsames und sehr öffentliches Aufsehen sorgten. Konzernchef Bernard Meyer achtet darauf, bestens mit der jeweils herrschenden Politik vernetzt zu sein – ohne aufs jeweilige Parteibuch zu schielen – und hat von daher nicht zu befürchten, dass ihm das Agieren irgendwann unnötig erschwert werden könnte.
Solche Vernetzung hat in Deutschland lange Tradition – auch wenn deren Details vielfach noch auf exakte wissenschaftliche Untersuchung warten. Anfang dieses Jahres hat das Deutsche Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven (6) mit einer Expertentagung unter der Leitung des Wirtschaftshistorikers Harald Wixforth einen Versuch gestartet, ein Forschungsprojekt ins Leben zu rufen, dass dieser Tradition auf die Spur kommen könnte: „Vom Handschlag zum ‚shareholder value‘ – die Finanzierung von Schiffbau und Schifffahrt vom 18. bis zum 20. Jahrhundert“ lautete das Motto, konzipiert als Startsignal für das Vorhaben, die Geschichte der maritimen Wirtschaft Norddeutschlands nicht nur möglichst umfassend zu inventarisieren, sondern den dabei entstehenden Datenbestand auch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Projekt „MaWiDoK“ – die Abkürzung steht für „Maritim-Wirtschaftliche Dokumentation“ – soll angesiedelt werden beim DSM, federführend ist der Papenburger Historiker Holger Czapski (7).
Die Initial-Tagung verfolgte das Ziel, „die Finanzierung von Werften, Schifffahrtsgesellschaften und den Ausbau ihrer Infrastruktur vom ausgehenden 18. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts zu untersuchen“. Das allerdings konnte sie vor dem geschilderten Hintergrund – ausstehende Daten-Inventarisierung und -Auswertung – nur fragmentarisch leisten, beispielsweise mit einem Blick auf die Geschichte der Hamburger Großwerft Blohm & Voss, deren Entwicklung zwischen 1914 und 1924 der in Estland tätige Historiker Olaf Mertelsmann untersucht hat: Trotz bester Vernetzung mit Politik, Branchen- und Arbeitgeberorganisationen und trotz massiver Abhängigkeit etwa von den militärischen Aufträgen des Reichsmarineamtes sei es, so Mertelsmann, vor dem Ersten Weltkrieg branchenüblich gewesen, Festpreis-Verträge abzuschließen, deren Risiko dann einzig bei der Werft lag – was auch mal daneben gehen konnte. Nach 1918 begann dann eine Entwicklung, die – kurz gefasst – gekennzeichnet war von Wettbewerbsdruck, Überkapazitäten und staatsfinanzierten Krediten; als größte Verlierer der großen Werftenkrise nach 1924 bezeichnet Mertelsmann „Staat und Steuerzahler“.
Das gilt laut Harald Wixforth vergleichbar auch für die damals zum Thyssen-Konzern gehörende Großwerft „Bremer Vulkan“, deren Eigner August Thyssen Mitte der 1920er Jahre erst zum wiederholten Male und erfolgreich die Reichsbank unter Hjalmar Schacht anzapfte, um später gemeinsam mit Lobbyisten der Reederei Norddeutscher Lloyd (NDL) die Reichsregierung und die Deutsche Bank zur Gründung einer ersten Schifffahrtshypothekenbank zu „überreden“. Während so in den 1920er Jahren – direkt oder durch entsprechende Bürgschaften gesichert – wesentlich reichsstaatliche Gelder an die Werften flossen, zog sich Berlin nach der Weltwirtschaftskrise 1929 aus dieser Finanzierung zurück, im Falle Vulkan allerdings übernahm damals der Bremer Senat schnell die Rolle des Geldgebers und Bürgen.
Und letztlich ging es auch nicht ohne „Staatsknete“, wie der Hamburger Forscher Jörn Lindner am Beispiel des Bremerhavener Rickmers-Konzerns erläuterte – anfangs die Werft eines Patriarchen, der lange Jahre streng darauf achtete, kein Fremdkapital weder vom Staat noch von Banken oder anderen in die Firma zu lassen; der lieber auf Risiko gebaute, aber unverkäufliche Schiffe selbst bereederte und sich so zwei Standbeine schuf; der trotzdem mit dieser Politik als Schiffbauer in die Insolvenz schlidderte – der Reedereizweig konnte das nicht verhindern – und erst Jahre später durch Marineaufträge wieder ins Werftgeschäft zurückfand; und der so zwar an dem Prinzip „kein Fremdkapital“ festhielt, Staatsgelder aber davon ausnahm – und maßgeblich am Entstehen neuzeitlicher Subventions-und Abschreibungsmodelle wie den so genannten Ein-Schiff-Kommanditgesellschaften mit immensen Steuervorteilen beteiligt war. Das Aus für die Werft Ende der 1980er Jahre war dennoch unausweichlich, das Reedereigeschäft hingegen hat in wechselnden Konfigurationen „überlebt“.
Zusammenfassend hieß es im Programm des DSM‑Workshops (8) dazu, auf die Renaissance deutschen Schiffbaus im „Wirtschaftswunder“ sei eine große Strukturkrise gefolgt, der die Branche „mit neuen Konzepten der Unternehmensführung und -finanzierung“ zu begegnen versucht habe. Es ist dies – grob vereinfacht und zugespitzt – die Ära eines Schiffbaus, dessen Risiken zu einem beträchtlichen Teil durch staatliche Gelder und damit vom Steuerzahler abgedeckt worden sind.
Und diese Ära ist bis heute nicht wirklich beendet: Seit den 1960er Jahren gewährte der Bund den deutschen Werften Hilfen, um den Export ihrer Schiffe zu verbilligen und so die Wettbewerbschancen gegenüber ausländischer Konkurrenz zu erhöhen. Ursprünglich gab es diese Subventionen nur, wenn eine Werft ein Schiff neu baute für einen Kunden, der nicht zur damaligen EWG gehörte. Ab 1971 wurden auch Neubau-Exporte in andere EG-Länder und ab 1973 sogar Aufträge inländischer Abnehmer subventioniert. Wie andere Schiffbauländer Westeuropas auch, sahen sich die BRD-Werften damals durch wachsende japanische Konkurrenz herausgefordert. Der bis dahin vorherrschende Spezialschiffbau mit hohem Einzelfertigungsanteil wurde abgelöst durch Großschiffbau in standardisierter Serienfertigung, was gerade auch die Japaner vorexerzierten, allerdings zu weitaus niedrigeren Lohnkosten.
Ein Wandel übrigens mit durchaus ambivalenten strategischen Folgen: Die neue Produktionstechnologie ließ sich prima abseits des eigenen Bedarfs vermarkten, Deutsche ebenso wie andere europäische Werften verkauften Knowhow und Technologie in etliche Länder der so genannten Dritten Welt, wollten so ihre eigenen Kosten senken beziehungsweise zusätzliche Einnahmen generieren. Tatsächlich aber schufen sie in diesen Ländern neue Werftkapazitäten und dadurch nicht nur ein strukturelles Überangebot, sondern sie etablierten zugleich neue Wettbewerber.
Das wiederum setzte eine ebenso skurrile wie fatale Argumentationsspirale in Gang: Es wurde ein steuerliches Hilfsprogramm generiert, das den Werften angesichts der vorwiegend fernöstlichen Konkurrenz das Bestehen „am Markt“ sichern sollte; schließlich hingen am deutschen Schiffbau viele zigtausend Arbeitsplätze – direkt und erst recht über die vielfältige Zuliefererindustrie. Wenn es an einem bestimmten Standort „unserer“ Werft schlecht ging, bebte oft nicht nur die eigene Region, vielmehr waren die Stoßwellen „schiffbaulicher Seismik“ auch weit entfernt spürbar. Also achtete jeder Politiker, der wiedergewählt werden wollte, peinlichst darauf, sich für Erhalt und Ausbau der Hilfsprogramme stark zu machen; gegenseitige Verflechtungen und Abhängigkeiten zwischen Politik, Verwaltung und Schiffbaubranche waren und sind an der Tagesordnung.
Immer wieder wurde das Bild von der hoch subventionierten fernöstlichen Konkurrenz als Drohgemälde an die Himmel über den Standorten gehängt; dass diese Konkurrenz – siehe oben – teilweise von hier aus geschaffen worden war, blieb ebenso tabu wie das eigene Subventionssystem. Das übrigens alles Mögliche bewirkt hat – außer der Sicherung von Arbeitsplätzen!
- Die deutschen Werften (BRD und DDR) beschäftigten 1975 unmittelbar 111.898 Menschen (9), die Zulieferindustrie darüber hinaus ein Vielfaches – beides mit erheblichen infrastrukturellen Wechselwirkungen.
- 1990 arbeiteten auf den verbliebenen Werften im neuen Großdeutschland noch 62.681 Menschen,
- 1997 waren davon 25.759 übrig geblieben (9).
- Aktuell spricht der „Verband für Schiffbau und Meerestechnik“ (VSM), bezogen auf den Seeschiffbau im Jahr 2013, von „rund 60 mittleren und größeren Werften mit … rund 16.700 Beschäftigten“, allerdings einschließlich Yachtbau, Offshore-Anlagen sowie Reparaturen und Umbauten.
Immer wieder wurde das massive Engagement der öffentlichen Hand damit begründet, es gelte, den nationalen Schiffbau zu schützen: Dies würden nicht nur die Sicherheitsbedürfnisse erfordern, auch müsse unbedingt eine deutsche Handelsflotte erhalten werden. Das Sicherheitsargument gipfelte beispielsweise frühzeitig in dem ebenso legendären wie umstrittenen Fregatten-Programm des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD): Lange bevor „deutsche Interessen“ am Hindukusch oder am Horn von Afrika „verteidigt“ werden mussten, phantasierte Schmidt schon von globalen Marineeinsätzen und schaufelte Millionen D‑Mark in die Werftstandorte für die erforderliche „Hardware“.
Geradezu perfide indes war das Gerede von der nationalen Handelsflotte – denn in dem Maße, wie Drittweltländer ihren exportorientierten Schiffbau massiv ausbauten und somit groß, schnell und billig (sowie ihrerseits subventioniert) produzieren konnten, lockten sie nicht nur hiesige Reeder, sich künftig ihre Schiffe beispielsweise in Fernost bauen zu lassen. Vielmehr wurden selbst diese Aufträge hiesiger Schiffseigner an hiesigen Werften vorbei noch aus Steuermitteln subventioniert: Die parallel zur Schiffbauhilfe gewährte Reederhilfe „zum Erhalt und zur Modernisierung der deutschen Schifffahrt“ war nur formal und sehr löcherig an eine Auftragsvergabe im eigenen Lande geknüpft. Es gab genügend Schlupflöcher, die Hilfen auch zu kassieren für Neubauten auf fremden Werften; zudem bestand auch niemand in der Politik darauf, dass ein mit öffentlichen Geldern co-finanziertes Schiff anschließend Teil der deutschen Handelsflotte, also unter nationaler Flagge und Gesetzgebung gefahren wurde. Letztlich wurden also – ebenso vereinfacht wie sarkastisch formuliert – Werften subventioniert, um ohne die Aufträge gleichfalls subventionierter Reeder überleben zu können…
Über den tatsächlichen Umfang dessen, was da aus staatlichen Haushalten – von Bund und Küstenländern – in die Kassen von Werft- und Schiffseignern geflossen ist, gibt es sehr widersprüchliche und lückenhafte Angaben; pauschal ist das Schlagwort „Milliardenbeträge“ aber sicher gerechtfertigt. So bezifferte etwa 1983 der damals in Bremen tätige Wirtschaftswissenschaftler Robert Kappel (10) die Subventionen „im Rahmen der Werfthilfeprogramme von 1961 bis 1979“ auf rund 6,13 Milliarden D‑Mark (3,13 Milliarden Euro), betonte aber, dass hier weder indirekte Förderprogramme wie etwa Zonenrandgebietsförderung noch direkte Stützungsmaßnahmen der Küstenländer noch die Reederhilfen berücksichtigt seien. Für die Folgejahre bis 1986 wurden diverse „zusätzliche“ Programme wie Auftragshilfen oder Zinsverbilligungen für Schiffskredite mit jeweils dreistelligen Millionenbeträgen beziffert. Die Kieler Wirtschaftsforscher Karl Heinz Jüttemeier und Konrad Lammers rechneten 1979 vor, dass der Bund allein von 1974 bis 1979 rund 2,849 Milliarden D‑Mark (1,457 Milliarden Euro) gewährt beziehungsweise veranschlagt habe (11); in diesen Zahlen sind zwar neben den Werft- auch die Reederhilfen enthalten, andere Förderungen insbesondere der Küstenländer aber wiederum nicht. Und Lammers bilanzierte schließlich in einer Studie von 1984 die „Subventionen des Bundes zugunsten der deutschen Seeschiffswerften“ im Zeitraum 1966‑1982 auf stolze 3,9514 Milliarden D‑Mark (2,02 Milliarden Euro) allein an Zuschüssen, also ohne Darlehen; die Zahl beinhaltet Werft-, Auftrags- und Reederhilfen (12).
In den 1980er und 1990er Jahren waren insbesondere die Werfthilfen immer wieder ein Spielball im politischen Finanzpoker – ohne dass die Schiffbauer selbst je wirklich Angst haben mussten. Die ebenso legendären wie regional folgenschweren Niedergänge der Großwerften HDW (Kiel/Hamburg), Blohm & Voss (Hamburg), AG Weser (Bremen) und Vulkan (Bremen) hatten jeweils andere Ursachen als fehlende Staatsknete. Wann immer einzelne Politiker im Zuge von Haushaltserwägungen über „Subventionsabbau“ redeten und dabei auch die Schiffbauhilfen ins Visier nahmen, „bewährte sich die Küstenmafia im Haushaltsausschuss des Bundestags“ (13) und die hehren Pläne verschwanden entweder in den Schubladen – oder sie wurden tatsächlich durchgezogen mit dem Ergebnis, dass „aus anderen Töpfen … zur gleichen Zeit um so mehr Geld in den Schiffbau“ (14) gesteckt wurde.
Um die Jahrtausendwende gerieten allerdings nationale Hilfsprogramme für die Werften mehr und mehr ins Visier der EU-Kommission in Brüssel, die sich ihrerseits im Rahmen von OECD oder WTO oder anderen Freihandels-Wächtern teils unter Druck sah, teils gegen wettbewerbsverzerrende Verhältnisse anderswo opponierte. Ein eklatantes Beispiel liefert etwa der Streit mit Südkorea, über den der damals kritische Wirtschaftswissenschaftler (und heutige Bremer SPD-Staatsrat!) Heiner Heseler in der WATERKANT schrieb:
„Aufgrund des massiven internationalen Drucks kam es … im April 2000 zu einem bilateralen Abkommen der EU mit Südkorea, das den Verzicht auf Dumping-Preise, den Verzicht auf subventionierte Finanzierungen und Bürgschaften … vorsieht. (…) Große Hoffnungen sollte man in das Abkommen … allerdings nicht setzen, denn an dem entscheidenden Problem der hohen Überkapazitäten wird es nichts ändern, und von denen geht der größte Druck auf die Preise aus. (…) Zudem ist im Fall von Sanktionen auch die Interessenlage der europäischen Industrie ambivalent, denn nicht nur die Reeder profitieren von den niedrigen Schiffspreisen, auch für die europäische Schiffbau-Zulieferindustrie ist Korea ein wichtiger Kunde. Zu berücksichtigen ist auch, dass der europäische Schiffbau kein marktwirtschaftlicher Musterschüler ist. (…) Die EU-Kommission ist gut beraten, wenn sie neue industriepolitische Akzente setzt, die die Modernisierung der Werften unterstützen und durch höhere Verkehrs-, Umwelt- und Sicherheitsstandards die Nachfrage nach modernen Schiffen anregt“ (15).
Ob Zufall oder nicht: Eben dieser Empfehlung folgte dann, grob betrachtet, in den Folgejahren die europäische Politik – nicht immer ganz freiwillig, sondern teilweise auch unter dem Druck sich verschärfender Umwelt- und Arbeitsschutznormen der UN-Schifffahrtsorganisation IMO (London) oder der UN-Arbeitsorganisation ILO (Genf). Heute ist es völlig normal, dass hiesige Werften über „green ships“, etwa über umweltverträgliche Anstriche oder Antriebe, debattieren – auch wenn die Nachfrage seitens der Reeder immer mit neuen Rufen nach Subventionierung verknüpft ist.
Kurz zuvor übrigens waren damals fortschrittliche Ansätze dieser Art aus Bremen noch stumpf ignoriert worden: Unmittelbar vor dem Aus für den Bremer Vulkan-Verbund hatte ein betrieblicher Arbeitskreis versucht, die Zukunft der KollegInnen in die eigene Hand zu nehmen. In einer aufwändigen Studie – die erst nach der Vulkan-Liquidierung fertig gestellt werden konnte – stellten sie ein „8‑Punkte-Programm für ein sozial- und umweltverträgliches Schiff“ (16) vor, dass in seiner Akribie bis heute unerreicht, aber leider in der Praxis auch unbeachtet geblieben ist.
Wenn indes heute die Bundesregierung alle zwei bis drei Jahre zur „Nationalen Maritimen Konferenz“ (NMK) ruft, pochen zwar regelmäßig die Werften und „ihre“ Küstenländer auf Staatshilfen für die Branche und ihren nunmehr als zukunftsträchtig deklarierten Spezialschiffbau, was der Bund dann ebenso regelmäßig zurückweist. Tatsächlich aber fließen nach wie vor erhebliche Mengen Steuergelds an die Werfteigner. Neben der „Unterstützung durch Forschungs- und Entwicklungs- sowie Innovationsförderung“ listet etwa eine Studie des VSM und der fünf Küstenländer „Zur Lage des deutschen Schiffbaus 2013“ OECD-konforme Zinsausgleichsgarantien des Bundes ebenso auf wie etwa Landesbürgschaften (17). Und bezogen auf die genannte Förderung betont das Bundeswirtschaftsministerium Jahr für Jahr die „hohe strategische Bedeutung“ der maritimen Technologien bei der Beschaffung von Rohstoffen und Wirtschaftsgütern: „Die hohe Kompetenz der maritimen Wirtschaft zeigt sich insbesondere in den Bereichen Spezialschiffstechnik, Produktion sowie bei Sicherheits- und Umweltschutzsystemen“ (18). Daraus folgt dann in harter Währung: „Das BMWi-Programm ‚Innovativer Schiffbau sichert wettbewerbsfähige Arbeitsplätze‘ (Budget: 2012 bis 2015: 48 Millionen Euro) fördert (…) Werften, die Sitz und Fertigungsstätte in Deutschland haben und den Schiffbauauftrag oder Teile davon, bei denen förderfähige schiffbauliche Innovationen zur Anwendung kommen, in der Bundesrepublik Deutschland ausführen“ (ebda.).
Was, wie bereits angerissen, nicht unbedingt bedeutet, dass die Steuergelder auch sichere und soziale Jobs schaffen: Oben war unter anderem die Rede von der exzellenten Vernetzung des Papenburger Werft-Patriarchen Bernard Meyer mit der jeweils herrschenden Politik. Im Rahmen des von Ex-Kanzler Gerhard Schröder initiierten Instruments der NMK leitet Meyer seit vielen Jahren die Arbeitsgruppe Schiffbau, auch aktuell in den NMK von Angela Merkel – und prägt so möglicherweise auch das Agieren anderer Schiffbauer: Nach Angaben der IG Metall arbeiteten 2014 auf deutschen Werften neben nur noch rund 15.000 Stammbeschäftigten etwa 6000 mit Werkvertrag und rund 2500 Leiharbeitskräfte (19).
Ein Zwischenfazit: Subventionen, Bürgschaften, Fördermittel, Steuererleichterungen, Entgegenkommen des Staates bei Umwelt- oder Sozialnormen und vieles andere sind – oft auch als Ergebnis medial begleiteten Machtpokers – legale Vorboten eines tendenziell wirtschaftskriminellen Verhaltens. Denn die Branchen und Betriebe, die solche Vorteile in Anspruch nehmen, meist auch gezielt einfordern, geben der Gesellschaft dafür nicht, was dieser als Gegenleistung eigentlich zusteht: soziale Sicherheit und ökologische Rücksicht. Im Gegenteil. Was hier anhand einiger Beispiele für den Bereich Schiffbau illustriert worden ist, findet in Schifffahrt, Hafenbau, Meerestechnik, Fischerei und anderen maritimen Bereichen seine Fortsetzung: Mehr in der nächsten Folge (1).
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bitte © Copyright beachten, danke: keine Verwendung ohne Zustimmung des Autors, Burkhard Ilschner, sowie der Zeitschrift BIG Business Crime!
Dieser Text entstand Ende März 2015, bitte bei verwendeten Daten berücksichtigen.
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Anmerkungen:
* Der Autor ist verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift WATERKANT.
1. Geplant sind vier Teile – Schiffbau, Schifffahrt, Häfen, Küstenmeere und Tiefsee. Es ist möglich, dass die Fortsetzungen nur in loser Folge publiziert werden können – sie entstehen quasi als Nebenprodukt der Arbeit an der WATERKANT. Auch stellen die einzelnen Folgen jeweils nur beispielhaft ausgewählte Zusammenhänge dar, sind stark gestrafft und damit zwangsläufig als unvollständig anzusehen. Der Autor bittet für beides im voraus um Verständnis – ruft aber auch dazu auf, Lücken zu ergänzen. Danke.
Anmerkung als Nachtrag: Interessierte suchen den angekündigten vierten Teil vergebens: Aus internen Gründen konnte der später nicht realisiert werden, sorry.
2. Die Rede ist von „Potenzial“ – nicht davon, dass irgendein genanntes Beispiel als „kriminell“ im strafrechtlichen Sinne anzusehen ist. Konkret wird hier niemandem nachgesagt, gegen Recht und Gesetz verstoßen zu haben; es geht um wirtschaftliches Handeln, das durch effektive politische Vernetzung jeweils legal abgesichert wurde – das zu bewerten, sei der kritischen Phantasie der Leser überlassen…
3. Hier wiedergegebene Zahlen stammen aus 2014 mit Stand vom 31. Dezember 2013, Quelle: Verband Deutscher Reeder (www.reederverband.de).
4. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Containerschiffe deutscher Eigner nicht die größten sind.
5. Für die Zeit zwischen 1945 und 1989/90 werden hier – soweit nicht anders gekennzeichnet – westdeutsche beziehungsweise westeuropäische Verhältnisse dargestellt.
6. Das Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft hat sich bislang der Rechtschreibreform erfolgreich widersetzt und schreibt seinen Namen weiterhin mit zwei statt mit drei „f“!
7. Das Projekt „MaWiDok“ befindet sich noch in der Planungsphase, bei Redaktionsschluss standen keine weiteren Details öffentlich zur Verfügung.
8. http://www.dsm.museum/medien/17/5832/2015-03-03_Tagung_Schiffsfinanzierung_MI.pdf
9. WATERKANT, 6. Jahrgang, Heft 4-6 (Winter 1991), Seite 22; sowie Jahresberichte der Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (www.vsm.de).
10. http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1983/1983-10-a-686.pdf
11. Jüttemeier, Karl Heinz; Lammers, Konrad (1979): Subventionen in der BRD, Kieler Diskussionsbeiträge, Nr. 63/64.
12. Lammers, Konrad (1984): Subventionen für die Schiffbauindustrie, Kiel Working Papers, Nr. 211.
13. DER SPIEGEL, Nr. 21 / 1991, Seite 118
14. DER SPIEGEL, Nr. 26 / 1991, Seite 100
15. WATERKANT, 15. Jahrgang, Heft 2 (Juni 2000), Seite 22 ff.
16. WATERKANT, 14. Jahrgang, Heft 3 (September 1999), Seite 28 ff.
17. http://vsm.de/de/die-branche/was-ist-schiffbau-und-meerestechnik/seeschiffbau
18. http://www.bmwi.de/de/themen/technologie/schluesseltechnologien/maritime-technologien,did=169620.html
19. Schiffbauumfrage 2014 – http://www.igmetall-kueste.de/news.php?id=1808&