Der „Bremer Aufruf“ im Wortlaut

Schluß­de­kla­ra­ti­on der Kon­fe­renz „Nord­see ist mehr als Meer“
beschlos­sen am 27./28. Mai 1995 in Bre­men (in ange­pass­ter Orthographie!)

Die Nordsee ist Spiegel unseres Umgangs mit der Natur, unserer rücksichtslosen Wirtschaftsweise und des Umgangs mit uns selbst.

Anfang Juni werden in Esbjerg die Nordsee-Minister wieder den Anschein erwecken, ökologische Erfolge zu erzielen, ohne die Muster des Wirtschaftens und den Lebensstil in Nordwesteuropa in Frage zu stellen. Das Wachstum von Produktion und Konsum ist weder mit dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen vereinbar noch sichert es die vorhandenen Arbeitsplätze. Es besteht kein wirkliches Interesse an der Vermeidung von Umweltschäden, denn sowohl deren Verursacher als auch die Schadens-Sanierer profitieren.

Die TeilnehmerInnen der Konferenz rufen dazu auf, dem Ritual des Scheiterns erfolgversprechendere Strategien entgegenzusetzen. Sie haben bewusst darauf verzichtet, zum wiederholten Male Schäden zu beschreiben, sich mit Schadensbegrenzung zu befassen oder einzelne Verursachergruppen anzuprangern. Die Konferenz hat sich stattdessen mit den dahinterliegenden Ursachen beschäftigt. Sie erklärt:

– Machen wir uns auf den Weg, neue Lebensziele zu suchen, jenseits von Konsum.

– Lassen wir uns nicht länger von Politik, Wirtschaft und Werbung einreden, was für uns das Beste ist. Wir wissen es besser! Wir nehmen unser Leben selbstbewusst in die eigenen Hände und kämpfen für einfache, demokratische, dezentrale und überschaubare Strukturen, die uns die Möglichkeit der Einflußnahme zurückgeben.

– Lassen wir uns nicht weiter hetzen. Kehren wir zurück zu ruhigeren, langsameren Lebensformen.

Dieser Weg ist nicht leicht. Er wird viele Konflikte mit sich bringen, gesellschaftliche und private. Aber er ist der einzige Weg, der uns und unserer Mitwelt eine lebenswerte und überlebensfähige Zukunft sichern wird.

Die Konferenz ist zu der Überzeugung gelangt, dass es Pfade aus der zerstörerischen Entwicklungslogik gibt. Diese Pfade werden auch zu einem neuen Verständnis von Gerechtigkeit führen: Die Schätze der Natur sind begrenzt. Wie soll ihre Nutzbarkeit zwischen den Generationen, zwischen den Kulturen der Erde und wie in unserer Gesellschaft erhalten und verteilt werden?

Die KonferenzteilnehmerInnen fordern die Umweltpolitiker auf, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die Gesellschaft diesen Weg finden kann. Das heißt:

– Erstens, einzugestehen, dass wir ab heute und sehr grundlegend vom gewohnten Lebenstil Abschied nehmen müssen, wenn tiefgreifende soziale Erschütterungen künftig vermieden werden sollen. Dazu ist die Entwicklung von neuen, gemeinsamen Zielen notwendig.

– Zweitens, den gesellschaftlichen Prozeß der Ziel- und Antwortsuche zu organisieren. Dafür gilt es, die Kreativität zu erschließen – in Bildung, Unternehmen, Verwaltung und Bevölkerung. Die Beteiligung der BürgerInnen an Planungsprozessen und die Erweiterung der Informationsmöglichkeiten über Umweltbelastung und ihre Ursachen sind dafür eine wichtige Voraussetzung.

– Drittens müssen die Preise besonders umweltbelastender Güter und Dienstleistungen steigen, damit sich jeder ökologisch orientiertes Verhalten leisten kann. Dafür ist eine ökologische Steuerreform eines der möglichen Instrumente.