Kiedel, Klaus-Peter Kiedel: Küstenschiffer – Alltag auf Motorseglern, Kümos und Containerfeedern; Schriften des Deutschen Schiffahrtsmuseums, Band 42; Ernst Kabel Verlag, Hamburg 1996;
ISBN 3-8225-0358-4; Preis 68 D-Mark.
Nebenan (das bezieht sich auf die Platzierung im Heft) ist vom Nachwuchs der deutschen Seeschifffahrt und deren Zukunftsproblemen die Rede – hier geht es um ein Stück Vergangenheit des Kapitels „Arbeit an Bord“. Im Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) Bremerhaven läuft derzeit eine Sonderausstellung zum Thema „Küstenschiffer“, und zwar noch bis zum 10. November. DSM-Archivleiter Klaus-Peter Kiedel, Schifffahrtshistoriker und selbst begeisterter Hobby-Küstenschiffer, hat zu der von ihm selbst konzipierten Ausstellung ein Begleitbuch erstellt, das als Band 42 der DSM-Schriftenreihe bei Hamburger Ernst Kabel Verlag erschienen ist.
Heutzutage predigen viele (tatsächliche wie selbst ernannte) Logistik- und Verkehrsexperten quer durch alle Parteien gerne wieder von der lange Zeit wenig beachteten Küstenschifffahrt. Als angeblich „umweltfreundliche“ Alternative zur Lkw-erstickten Autobahn wollen viele den kurzen Seeweg verstanden wissen, manche lamentieren aber auch Konzepte herbei, die bei Umsetzung nur die jetzigen Probleme der Straße aufs Wasser und an die Küste verlagern würden. Vielen dieser Experten sollte Kiedels Buch zur Pflichtlektüre gemacht werden – denn sie wissen nicht, wovon sie reden, wissen nicht, was auf Kümos und Feedern wirklich „angesagt“ ist.
22 Lebensbilder von ehemaligen und aktiven Küstenschiffern hat Kiedel zusammengetragen, hat ihre Erlebnisberichte, ihre oft tagebuchartig skizzierten Erinnerungen liebevoll redigiert und illustriert. Beginnend in den zwanziger Jahren, spannt sich der Erfahrungsbogen bis in unsere Tage; vom Schiffsjungen über den Matrosen und die Köchin bis zum angestellten oder selbständigen Kapitän reicht die Palette der zum Teil sehr persönlichen, aber immer anschaulichen und informativen Berichte. Sie alle erzählen von einem meist heißgeliebten, spannenden, abwechslungsreichen Beruf – von einem Berufsalltag, der sich zugleich aber oft als hart und entbehrungsreich erweist.
Kiedels Buch wird eingeleitet von einem Rückblick auf 100 Jahre Küstenschifffahrt, aus der Feder von Klaus Köster vom ehemaligen „Verband Deutscher Küstenschiffseigner“ (VDK), der Anfang 1995 mit dem Verband Deutscher Reeder (VDR) fusionierte. Danach geht es zunächst zurück in die zwanziger und dreißiger Jahre, auf die Motorsegler in Nord- und Ostsee. Es folgen Berichte aus den Jahren von 1948 bis 1995, darunter auch Schilderungen von Seeleuten aus der ehemaligen DDR, die anschaulich ihr Schifferdasein zwischen seemännischem Alltag und Parteidisziplin(ierung) beschreiben. Zum Schluss runden zwei Kapitel den Überblick ab, in denen „moderne“ Küstenschiffer zu Wort kommen: Hier geht es um den Alltag auf den heutigen Container-Feedern, die Zuliefererdienste von und zu den großen Umschlagplätzen leisten.
Kiedels Buch ist unübersehbar ein Liebeserklärung an die Küstenschifffahrt. Bei allen Widrigkeiten und Problemen: Wenn er nicht „zufällig“ DSM-Archivar wäre, würde er vielleicht selbst aktiv fahren… – Zwar sagt das Sprichwort, Liebe mache blind. Kiedel aber und seine Gesprächspartner haben sich zumeist als sehr scharfe Beobachter ihres Metiers erwiesen. Wenn Seeleute von ihren nicht unbedingt sanften Auseinandersetzungen mit ihrem Käpt’n erzählen, wenn Kümo- oder Feeder-Kapitäne ihre Schwierigkeiten schildern mit Reedern, Charterern und Hafenmanagern, dann weiß man, dass dieser Beruf trotz aller Liebe nicht immer leicht zu ertragen ist. Und wenn beschrieben wird, wie der Alltag an Bord sich heute gestaltet unter den Zeichen von Zweitregister, Billigheuern und verschärfter Ausbeutung (obwohl dieses Wort nie benutzt wird!), dann wird klar, dass auch in der Küstenschifffahrt die Zukunftsperspektiven gerade für junge Leute alles andere als rosig sind. Man legt das Buch weg, nimmt diesen unausgesprochenen Schluss zur Kenntnis und denkt: Eigentlich schade… (-bi)