Faustdick hinter den Kiemen… – Rezension

Schwert­fisch: Zeit­geist mit Grä­ten – Poli­ti­sche Per­spek­ti­ven zwi­schen Öko­lo­gie und Auto­no­mie; YETI-Press, Bre­men 1997; Paper­back, 232 Sei­ten; ISBN 3-9805-6401-0, Preis 24 D-Mark.

Schwert­fisch“ – Der Begriff klingt als AutorIn­nen­an­ga­be zwar fast ein biss­chen kon­spi­ra­tiv, ist es aber nicht. Hin­ter dem merk­wür­di­gen Pseud­onym ver­ber­gen sich sehr leben­di­ge und poli­tisch wache Men­schen, die in dem Buch selbst auch nament­lich genannt, ja, sogar in Kurz­bio­gra­phien vor­ge­stellt werden.

Eigent­lich hat alles ange­fan­gen mit der Stu­die „Zukunfts­fä­hi­ges Deutsch­land“ des Wuppertal-Instituts, über die sei­ner­zeit auch in die­ser Zeit­schrift, vor­sich­tig gesagt, viel Skep­sis ver­brei­tet wor­den ist (sie­he auch WATERKANT 4 / 1995). In den viel­fäl­ti­gen Struk­tu­ren des „Bun­des­kon­gres­ses ent­wick­lungs­po­li­ti­scher Akti­ons­grup­pen“, bes­ser bekannt unter der Abkür­zung BUKO, ent­stand vor gut zwei Jah­ren, schon vor Ver­öf­fent­li­chung der kom­plet­ten Stu­die, eine mas­si­ve Kritik-Bewegung: Ein­zel­ne Tei­le und Vor­ent­wür­fe des Wuppertal-Papiers, vor­zei­tig bekannt gewor­den, genüg­ten schon als Initi­al­zün­dung, nach der offi­zi­el­len Prä­sen­ta­ti­on des dicken Wäl­zers aus dem Weizsäcker-Institut wur­de dar­aus schnell ein Dauerbrenner.

Die BUKO-Frauen und -Män­ner wur­den schnell zu bun­des­weit her­um­rei­sen­den Agi­ta­to­rIn­nen gegen Wup­per­tal und ins­ge­samt gegen das Prin­zip „Nach­hal­tig­keit“. Nicht ohne Fol­gen für sie selbst, sie woll­ten sich von den viel­fach längst eta­blier­ten Ver­bän­den und Initia­ti­ven nicht ver­ein­nah­men las­sen. Und so ent­wi­ckel­te sich unter ihnen eine Grup­pen­struk­tur, die einer­seits die Atta­cken gegen Nach­hal­tig­keit pfleg­te und aus­bau­te – und die ande­rer­seits den eige­nen Poli­tik­stil (wie erst recht den der ande­ren) einer eben­so hef­ti­gen Kri­tik unter­zog. Und als­bald wur­de klar, dass es zwi­schen bei­den, Stil und Nach­hal­tig­keits­de­bat­te, deut­li­che Par­al­le­len gab, ja, dass bei­de sich gegen­sei­tig bedingten.

Es kam, wie’s kom­men muss­te: Irgend­wann wur­den die The­sen und Papie­re zur Vor­be­rei­tung der Dis­kus­si­on inner­halb des BUKO zusam­men­ge­tra­gen. Dabei muss­te nicht nur ein zusam­men­fas­sen­der Name her, son­dern es war auch bald unaus­weich­lich, die ver­schie­de­nen Ansich­ten in Buch­form zusam­men­zu­fas­sen. Und so geht es denn auf mehr als 200 Sei­ten und in unter­schied­lichs­ten Sti­len um Öko­lo­gie und Befrei­ung und Femi­nis­mus, um Zukunfts­fä­hig­keit und Nach­hal­tig­keit und lin­ke Uto­pien, um Glo­ba­li­sie­rung und Demo­kra­tie und Alternativen.

Man kann sich lan­ge dar­über strei­ten, ob „Schwert­fisch“ eine ange­mes­se­ne Bezeich­nung ist: Ursprüng­lich, so erklärt das Buch, habe man sich in Erin­ne­rung „an den größ­ten leben­den Zivi­li­sa­ti­ons­kri­ti­ker, Sati­ri­ker und Roman­au­tor“, Dou­glas Adams, den Namen „Dan­ke für den Fisch“ gege­ben. Wie und war­um dar­aus „Schwert­fisch“ gewor­den ist, bleibt im Dun­keln, aber schon die Fra­ge, ob ein Adams’-Begriff dem erns­ten Anlie­gen der Grup­pe und die­ses Buches gerecht wird, sei dahingestellt.

Kei­nen Streit kann und darf es geben, was die Berech­ti­gung die­ses Buches als Dis­kus­si­ons­stoff und Denkan­re­gung angeht. Man muss nicht alle Posi­tio­nen, die hier zusam­men­ge­tra­gen wor­den sind, tei­len (kann es auch gar nicht, weil sie zum Teil auch unter­ein­an­der durch­aus wider­sprüch­lich sind!), aber man soll­te den Kopf frei haben, sich die­se Posi­tio­nen rein­zu­zie­hen und über sie nach­zu­den­ken. Eine ori­gi­nel­le Hil­fe­stel­lung leis­tet dabei aus­ge­rech­net ein – Umfra­ge­test: Die Grup­pe hat ein­gangs ein­zel­ne, zuspit­zen­de Zita­te aus den Auf­sät­zen der fol­gen­den Sei­ten zu einem Fra­ge­bo­gen zusam­men­ge­stellt, den man sich nun vor­neh­men und aus­fül­len kann. Gefragt wird in der Ska­la von 0 bis 5 nach der Ein­schät­zung, wel­chem Zitat man kei­nen, wenig oder hohen Dis­kus­si­ons­be­darf zuschreibt.

Mit­tel­wer­te (2 und 3) zäh­len nicht bei der Aus­wer­tung, denn die­ses Buch eig­net sich tat­säch­lich nicht zum kom­plexo­me­tri­schen Hin­durch­la­vie­ren. Man muss es ent­we­der lie­ben oder has­sen, und bei der Ent­schei­dung dar­über kann man sich von die­sem Test anlei­ten las­sen: Man muss näm­lich nicht stur von vor­ne nach hin­ten lesen, man kann durch­aus ent­schei­den, ob man sich erst die Auf­sät­ze vor­nimmt, deren Zita­te man für sehr dis­kus­si­ons­wür­dig gehal­ten hat­te – oder umge­kehrt. Aller­dings birgt die­se Lese-Anleitung auch ein Risi­ko: Wer nur das eine oder nur das ande­re liest, kriegt ein nur unvoll­stän­di­ges Bild von den umfas­sen­den Ansät­zen der Grup­pe „Schwert­fisch“.

Ich gebe zu: Ich habe das Buch selbst noch nicht ganz voll­stän­dig gele­sen. So sehr die The­men der ein­zel­nen Auf­sät­ze auch rei­zen, nur man­che von ihnen sind sprach­lich „grif­fig“ und all­ge­mein ver­ständ­lich, bei ande­ren muss man sich ganz schön hef­tig durchs so genann­te Soziologen-Deutsch hin­durch kämp­fen. Das ist nicht immer ein­fach und kos­tet Zeit, zumal die­ses Buch – aus wel­chen Grün­den auch immer – ein nicht unbe­dingt viel­le­se­freund­li­ches Lay­out hat.

Trotz­dem lohnt es, sich die­ser Anstren­gung zu unter­zie­hen, denn die „Schwert­fi­schIn­nen“ haben es, was bis­si­ge Kri­tik und phan­ta­sie­vol­le Ideen angeht, faust­dick hin­ter den Kie­men. Und ihre Kri­tik an Nachhaltigkeits- und Standort-Geschrei, an Glo­ba­li­sie­rung und Ent­so­li­da­ri­sie­rung ist ein geball­tes Pfund für alle, die mit dem Begriff „Zeit­geist“ nicht heh­re Ambi­tio­nen ver­bin­den, son­dern die­sen Geist nur für den Inhalt von Kapi­ta­lis­mus’ Wun­der­lam­pe hal­ten. (-bi-)